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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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senden. Dann eilte er zum Oberpriester der Neith, um
demselben mitzutheilen, was er von dem Könige erzwun-
gen habe.

Neithoteph schüttelte bedenklich das kluge Haupt über
die drohenden Worte des Amasis, und verabschiedete den
Thronerben nach einer kurzen Reihe von Ermahnungen,
ohne welche er denselben niemals von sich zu lassen pflegte.

Psamtik begab sich in seine Wohnung.

Seine fehlgeschlagene Rache, der neue unheilvolle
Bruch mit seinem Vater, die Furcht vor dem Spotte
der Fremden, das Gefühl seiner Abhängigkeit von dem
Willen der Priester, der Glaube an ein finsteres Geschick,
welches von Geburt an über seinem Haupte schwebe, be-
drückte sein Herz und umnebelte seinen Geist.

Von einer geliebten Gattin und fünf blühenden Kin-
dern war ihm Nichts geblieben, als eine Tochter und ein
kleiner Knabe, den er innig liebte. Zu diesem zog es ihn
jetzt, bei diesem hoffte er Trost und neuen Lebensmuth zu
finden. Das blaue Auge und der lachende Mund seines
Sohnes waren die einzigen Dinge, welche das frostige
Herz dieses Mannes erwärmen konnten.

"Wo ist mein Sohn?" fragte er den ersten Höfling,
welcher ihm in den Weg trat.

"So eben hat der König den Prinzen Ramses mit
seiner Wärterin holen lassen," antwortete der Diener.

Der Haushofmeister des Thronerben näherte sich jetzt
demselben und reichte ihm einen versiegelten auf Papyros
geschriebenen Brief, indem er, sich tief verneigend, sagte:
"Von Deinem Vater, dem Könige!"

Psamtik erbrach in zorniger Hast das gelbe Wachs
des Siegels, welches das Namensschild des Königs trug 195)
und las: "Jch habe Deinen Sohn zu mir kommen lassen,

ſenden. Dann eilte er zum Oberprieſter der Neith, um
demſelben mitzutheilen, was er von dem Könige erzwun-
gen habe.

Neithoteph ſchüttelte bedenklich das kluge Haupt über
die drohenden Worte des Amaſis, und verabſchiedete den
Thronerben nach einer kurzen Reihe von Ermahnungen,
ohne welche er denſelben niemals von ſich zu laſſen pflegte.

Pſamtik begab ſich in ſeine Wohnung.

Seine fehlgeſchlagene Rache, der neue unheilvolle
Bruch mit ſeinem Vater, die Furcht vor dem Spotte
der Fremden, das Gefühl ſeiner Abhängigkeit von dem
Willen der Prieſter, der Glaube an ein finſteres Geſchick,
welches von Geburt an über ſeinem Haupte ſchwebe, be-
drückte ſein Herz und umnebelte ſeinen Geiſt.

Von einer geliebten Gattin und fünf blühenden Kin-
dern war ihm Nichts geblieben, als eine Tochter und ein
kleiner Knabe, den er innig liebte. Zu dieſem zog es ihn
jetzt, bei dieſem hoffte er Troſt und neuen Lebensmuth zu
finden. Das blaue Auge und der lachende Mund ſeines
Sohnes waren die einzigen Dinge, welche das froſtige
Herz dieſes Mannes erwärmen konnten.

„Wo iſt mein Sohn?“ fragte er den erſten Höfling,
welcher ihm in den Weg trat.

„So eben hat der König den Prinzen Ramſes mit
ſeiner Wärterin holen laſſen,“ antwortete der Diener.

Der Haushofmeiſter des Thronerben näherte ſich jetzt
demſelben und reichte ihm einen verſiegelten auf Papyros
geſchriebenen Brief, indem er, ſich tief verneigend, ſagte:
„Von Deinem Vater, dem Könige!“

Pſamtik erbrach in zorniger Haſt das gelbe Wachs
des Siegels, welches das Namensſchild des Königs trug 195)
und las: „Jch habe Deinen Sohn zu mir kommen laſſen,

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[153/0171] ſenden. Dann eilte er zum Oberprieſter der Neith, um demſelben mitzutheilen, was er von dem Könige erzwun- gen habe. Neithoteph ſchüttelte bedenklich das kluge Haupt über die drohenden Worte des Amaſis, und verabſchiedete den Thronerben nach einer kurzen Reihe von Ermahnungen, ohne welche er denſelben niemals von ſich zu laſſen pflegte. Pſamtik begab ſich in ſeine Wohnung. Seine fehlgeſchlagene Rache, der neue unheilvolle Bruch mit ſeinem Vater, die Furcht vor dem Spotte der Fremden, das Gefühl ſeiner Abhängigkeit von dem Willen der Prieſter, der Glaube an ein finſteres Geſchick, welches von Geburt an über ſeinem Haupte ſchwebe, be- drückte ſein Herz und umnebelte ſeinen Geiſt. Von einer geliebten Gattin und fünf blühenden Kin- dern war ihm Nichts geblieben, als eine Tochter und ein kleiner Knabe, den er innig liebte. Zu dieſem zog es ihn jetzt, bei dieſem hoffte er Troſt und neuen Lebensmuth zu finden. Das blaue Auge und der lachende Mund ſeines Sohnes waren die einzigen Dinge, welche das froſtige Herz dieſes Mannes erwärmen konnten. „Wo iſt mein Sohn?“ fragte er den erſten Höfling, welcher ihm in den Weg trat. „So eben hat der König den Prinzen Ramſes mit ſeiner Wärterin holen laſſen,“ antwortete der Diener. Der Haushofmeiſter des Thronerben näherte ſich jetzt demſelben und reichte ihm einen verſiegelten auf Papyros geſchriebenen Brief, indem er, ſich tief verneigend, ſagte: „Von Deinem Vater, dem Könige!“ Pſamtik erbrach in zorniger Haſt das gelbe Wachs des Siegels, welches das Namensſchild des Königs trug 195) und las: „Jch habe Deinen Sohn zu mir kommen laſſen,

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/171>, abgerufen am 30.04.2024.