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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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damit er nicht wie Du, zum blinden Werkzeuge der Prie-
ster heranwachsen und vergessen möge, was er sich selbst
und seinem Vaterlande schuldig sei. -- Jch werde für
seine Erziehung Sorge tragen, denn die Eindrücke der
Kindheit sind nachwirkend auf das ganze spätere Leben.
Willst Du Ramses sehen, so habe ich nichts dagegen; doch
mußt Du mich vorher von Deinem Wunsche benachrichtigen
lassen."

Der Thronerbe biß sich die Lippen blutig, um seinen
Zorn den ringsumherstehenden Dienern zu verbergen. Der
Wunsch seines Vaters und Königs war nach ägyptischer
Sitte eben so bindend als der strengste Befehl. Einige
Augenblicke sann er schweigend nach; dann rief er nach
Jägern, Hunden, Bogen und Lanzen, schwang sich auf
einen leichten Wagen 196) und ließ sich von seinem Rosse-
lenker in das westlich gelegene Marschland fahren, um
dort, die Geschöpfe der Wildniß mit Meute und Geschoß
verfolgend, zu vergessen, was sein Herz bedrückte, und an
den Thieren seine vereitelte Rache zu büßen.

Gyges war gleich nach der Unterredung seines Va-
ters mit Amasis freigelassen, und von den Genossen mit
lautem Jubel empfangen worden. Der Pharao schien die
Gefangennahme des Sohnes seines Freundes durch dop-
pelte Güte wieder gut machen zu wollen, denn er beschenkte
denselben noch am selbigen Tage mit einem kostbaren
Wagen, welchen zwei edle braune Rosse 197) zogen, und
bat ihn, ein kunstreiches Damenspiel *) zum Andenken an
Sais mit nach Persien zu nehmen. Die Steine dieses
Spieles bestanden aus Elfenbein und Ebenholz. Jn eini-

*) Siehe Anmerkung 148.

damit er nicht wie Du, zum blinden Werkzeuge der Prie-
ſter heranwachſen und vergeſſen möge, was er ſich ſelbſt
und ſeinem Vaterlande ſchuldig ſei. — Jch werde für
ſeine Erziehung Sorge tragen, denn die Eindrücke der
Kindheit ſind nachwirkend auf das ganze ſpätere Leben.
Willſt Du Ramſes ſehen, ſo habe ich nichts dagegen; doch
mußt Du mich vorher von Deinem Wunſche benachrichtigen
laſſen.“

Der Thronerbe biß ſich die Lippen blutig, um ſeinen
Zorn den ringsumherſtehenden Dienern zu verbergen. Der
Wunſch ſeines Vaters und Königs war nach ägyptiſcher
Sitte eben ſo bindend als der ſtrengſte Befehl. Einige
Augenblicke ſann er ſchweigend nach; dann rief er nach
Jägern, Hunden, Bogen und Lanzen, ſchwang ſich auf
einen leichten Wagen 196) und ließ ſich von ſeinem Roſſe-
lenker in das weſtlich gelegene Marſchland fahren, um
dort, die Geſchöpfe der Wildniß mit Meute und Geſchoß
verfolgend, zu vergeſſen, was ſein Herz bedrückte, und an
den Thieren ſeine vereitelte Rache zu büßen.

Gyges war gleich nach der Unterredung ſeines Va-
ters mit Amaſis freigelaſſen, und von den Genoſſen mit
lautem Jubel empfangen worden. Der Pharao ſchien die
Gefangennahme des Sohnes ſeines Freundes durch dop-
pelte Güte wieder gut machen zu wollen, denn er beſchenkte
denſelben noch am ſelbigen Tage mit einem koſtbaren
Wagen, welchen zwei edle braune Roſſe 197) zogen, und
bat ihn, ein kunſtreiches Damenſpiel *) zum Andenken an
Sais mit nach Perſien zu nehmen. Die Steine dieſes
Spieles beſtanden aus Elfenbein und Ebenholz. Jn eini-

*) Siehe Anmerkung 148.
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[154/0172] damit er nicht wie Du, zum blinden Werkzeuge der Prie- ſter heranwachſen und vergeſſen möge, was er ſich ſelbſt und ſeinem Vaterlande ſchuldig ſei. — Jch werde für ſeine Erziehung Sorge tragen, denn die Eindrücke der Kindheit ſind nachwirkend auf das ganze ſpätere Leben. Willſt Du Ramſes ſehen, ſo habe ich nichts dagegen; doch mußt Du mich vorher von Deinem Wunſche benachrichtigen laſſen.“ Der Thronerbe biß ſich die Lippen blutig, um ſeinen Zorn den ringsumherſtehenden Dienern zu verbergen. Der Wunſch ſeines Vaters und Königs war nach ägyptiſcher Sitte eben ſo bindend als der ſtrengſte Befehl. Einige Augenblicke ſann er ſchweigend nach; dann rief er nach Jägern, Hunden, Bogen und Lanzen, ſchwang ſich auf einen leichten Wagen 196) und ließ ſich von ſeinem Roſſe- lenker in das weſtlich gelegene Marſchland fahren, um dort, die Geſchöpfe der Wildniß mit Meute und Geſchoß verfolgend, zu vergeſſen, was ſein Herz bedrückte, und an den Thieren ſeine vereitelte Rache zu büßen. Gyges war gleich nach der Unterredung ſeines Va- ters mit Amaſis freigelaſſen, und von den Genoſſen mit lautem Jubel empfangen worden. Der Pharao ſchien die Gefangennahme des Sohnes ſeines Freundes durch dop- pelte Güte wieder gut machen zu wollen, denn er beſchenkte denſelben noch am ſelbigen Tage mit einem koſtbaren Wagen, welchen zwei edle braune Roſſe 197) zogen, und bat ihn, ein kunſtreiches Damenſpiel *) zum Andenken an Sais mit nach Perſien zu nehmen. Die Steine dieſes Spieles beſtanden aus Elfenbein und Ebenholz. Jn eini- *) Siehe Anmerkung 148.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/172>, abgerufen am 30.04.2024.