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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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Neuntes Kapitel.


Die Sonne eines neuen Tages war über Aegypten
aufgegangen. -- Der reiche Thau der Nacht, welcher am
Nil den Regen zu ersetzen pflegt, lag wie Smaragden
und Edelgestein auf den Blättern und in den Blüten; --
die Sonne stand noch tief im Osten, und die von einem
warmen Südwinde durchwehte Morgenluft lud vor der
drückenden Wärme des Mittags in die freie Luft.

Aus dem uns wohlbekannten Landhause traten zwei
weibliche Gestalten: die alte Sclavin Melitta und Sappho,
die Enkelin der Rhodopis.

Wie eine Gazelle tanzte das anmuthige Mädchen durch
den Garten. Liebreizend und jungfräulich, wie wir sie im
Schlafe gesehen, erschien sie auch jetzt. Dabei umspielte
ein schalkhafter Zug ihren rosigen Mund und die Grübchen
in Kinn und Wangen. Das volle braune Haar stahl sich
unter dem purpurrothen Kopftüchlein hervor, und das
leichte weiße Morgengewand mit den weiten Aermeln flat-
terte zwanglos um ihre geschmeidigen Glieder.

Jetzt bückte sie sich, brach eine junge Rosenknospe,
spritzte den Thau, welcher auf derselben lag, ihrer alten
Wärterin in's Gesicht; -- lachte laut und glockenrein

Neuntes Kapitel.


Die Sonne eines neuen Tages war über Aegypten
aufgegangen. — Der reiche Thau der Nacht, welcher am
Nil den Regen zu erſetzen pflegt, lag wie Smaragden
und Edelgeſtein auf den Blättern und in den Blüten; —
die Sonne ſtand noch tief im Oſten, und die von einem
warmen Südwinde durchwehte Morgenluft lud vor der
drückenden Wärme des Mittags in die freie Luft.

Aus dem uns wohlbekannten Landhauſe traten zwei
weibliche Geſtalten: die alte Sclavin Melitta und Sappho,
die Enkelin der Rhodopis.

Wie eine Gazelle tanzte das anmuthige Mädchen durch
den Garten. Liebreizend und jungfräulich, wie wir ſie im
Schlafe geſehen, erſchien ſie auch jetzt. Dabei umſpielte
ein ſchalkhafter Zug ihren roſigen Mund und die Grübchen
in Kinn und Wangen. Das volle braune Haar ſtahl ſich
unter dem purpurrothen Kopftüchlein hervor, und das
leichte weiße Morgengewand mit den weiten Aermeln flat-
terte zwanglos um ihre geſchmeidigen Glieder.

Jetzt bückte ſie ſich, brach eine junge Roſenknoſpe,
ſpritzte den Thau, welcher auf derſelben lag, ihrer alten
Wärterin in’s Geſicht; — lachte laut und glockenrein

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[[137]/0155] Neuntes Kapitel. Die Sonne eines neuen Tages war über Aegypten aufgegangen. — Der reiche Thau der Nacht, welcher am Nil den Regen zu erſetzen pflegt, lag wie Smaragden und Edelgeſtein auf den Blättern und in den Blüten; — die Sonne ſtand noch tief im Oſten, und die von einem warmen Südwinde durchwehte Morgenluft lud vor der drückenden Wärme des Mittags in die freie Luft. Aus dem uns wohlbekannten Landhauſe traten zwei weibliche Geſtalten: die alte Sclavin Melitta und Sappho, die Enkelin der Rhodopis. Wie eine Gazelle tanzte das anmuthige Mädchen durch den Garten. Liebreizend und jungfräulich, wie wir ſie im Schlafe geſehen, erſchien ſie auch jetzt. Dabei umſpielte ein ſchalkhafter Zug ihren roſigen Mund und die Grübchen in Kinn und Wangen. Das volle braune Haar ſtahl ſich unter dem purpurrothen Kopftüchlein hervor, und das leichte weiße Morgengewand mit den weiten Aermeln flat- terte zwanglos um ihre geſchmeidigen Glieder. Jetzt bückte ſie ſich, brach eine junge Roſenknoſpe, ſpritzte den Thau, welcher auf derſelben lag, ihrer alten Wärterin in’s Geſicht; — lachte laut und glockenrein

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. [137]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/155>, abgerufen am 30.04.2024.