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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

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länger schweigen, und mit einer Stimme, welche wie
Posaunenklänge durch die weite Halle schmetterte, rief er
aus: "Weißt Du wohl, wessen Dasein ich opfern müßte,
wenn mir nicht das Leben meiner Kinder und die Erhal-
tung des von mir begründeten Herrscherhauses lieber wäre,
als die Wohlfahrt dieses Landes? Kennst Du, großspreche-
rischer, rachdürstiger Sohn des Unheils, den zukünftigen
Verderber dieses herrlichen, uralten Reichs? Du bist es,
Du, Psamtik, der von den Göttern gezeichnete, von den
Menschen gefürchtete Mann, dessen Herz keine Liebe, dessen
Brust keine Freundschaft, dessen Antlitz kein Lächeln, dessen
Seele kein Mitleid kennt! -- Aber Du hast keine Schuld
an Deinem unseligen Wesen und den schlimmen Erfolgen,
welche alles traurig enden, was Du beginnst. -- Höre
jetzt, denn einmal muß es gesagt sein, was ich Dir lange
verschweigen zu müssen glaubte: Jch hatte meinen Vor-
gänger gestürzt und ihn gezwungen, mir seine Schwester
Tentcheta zum Weibe zu geben. Sie gewann mich lieb
und versprach, ein Jahr nach der Hochzeit, mich mit einem
Kinde beschenken zu wollen. Jn der Nacht, welche Deiner
Geburt vorherging, schlief ich, vor dem Lager meiner
Gattin sitzend, ein. -- Da träumte mir folgendes:

"Deine Mutter lag am Ufer des Nils und klagte mir, sie
empfinde Schmerzen in der Brust. Jch beugte mich zu
ihr hernieder und sah, daß eine Cypresse ihrem Herzen
entwuchs. Der Baum wurde immer größer, immer breiter
und schwärzer; seine Wurzeln aber wanden sich um Deine
Mutter und erwürgten sie. Ein kalter Schauder faßte
mich. Jch wollte fliehen. Plötzlich erhob sich von Osten
her ein furchtbarer Orkan, der die Cypresse umstürzte und
sie niederwarf, so daß ihre breiten Zweige in den Nil
schlugen. -- Da hörte der Strom zu fließen auf; sein

länger ſchweigen, und mit einer Stimme, welche wie
Poſaunenklänge durch die weite Halle ſchmetterte, rief er
aus: „Weißt Du wohl, weſſen Daſein ich opfern müßte,
wenn mir nicht das Leben meiner Kinder und die Erhal-
tung des von mir begründeten Herrſcherhauſes lieber wäre,
als die Wohlfahrt dieſes Landes? Kennſt Du, großſpreche-
riſcher, rachdürſtiger Sohn des Unheils, den zukünftigen
Verderber dieſes herrlichen, uralten Reichs? Du biſt es,
Du, Pſamtik, der von den Göttern gezeichnete, von den
Menſchen gefürchtete Mann, deſſen Herz keine Liebe, deſſen
Bruſt keine Freundſchaft, deſſen Antlitz kein Lächeln, deſſen
Seele kein Mitleid kennt! — Aber Du haſt keine Schuld
an Deinem unſeligen Weſen und den ſchlimmen Erfolgen,
welche alles traurig enden, was Du beginnſt. — Höre
jetzt, denn einmal muß es geſagt ſein, was ich Dir lange
verſchweigen zu müſſen glaubte: Jch hatte meinen Vor-
gänger geſtürzt und ihn gezwungen, mir ſeine Schweſter
Tentcheta zum Weibe zu geben. Sie gewann mich lieb
und verſprach, ein Jahr nach der Hochzeit, mich mit einem
Kinde beſchenken zu wollen. Jn der Nacht, welche Deiner
Geburt vorherging, ſchlief ich, vor dem Lager meiner
Gattin ſitzend, ein. — Da träumte mir folgendes:

„Deine Mutter lag am Ufer des Nils und klagte mir, ſie
empfinde Schmerzen in der Bruſt. Jch beugte mich zu
ihr hernieder und ſah, daß eine Cypreſſe ihrem Herzen
entwuchs. Der Baum wurde immer größer, immer breiter
und ſchwärzer; ſeine Wurzeln aber wanden ſich um Deine
Mutter und erwürgten ſie. Ein kalter Schauder faßte
mich. Jch wollte fliehen. Plötzlich erhob ſich von Oſten
her ein furchtbarer Orkan, der die Cypreſſe umſtürzte und
ſie niederwarf, ſo daß ihre breiten Zweige in den Nil
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[92/0110] länger ſchweigen, und mit einer Stimme, welche wie Poſaunenklänge durch die weite Halle ſchmetterte, rief er aus: „Weißt Du wohl, weſſen Daſein ich opfern müßte, wenn mir nicht das Leben meiner Kinder und die Erhal- tung des von mir begründeten Herrſcherhauſes lieber wäre, als die Wohlfahrt dieſes Landes? Kennſt Du, großſpreche- riſcher, rachdürſtiger Sohn des Unheils, den zukünftigen Verderber dieſes herrlichen, uralten Reichs? Du biſt es, Du, Pſamtik, der von den Göttern gezeichnete, von den Menſchen gefürchtete Mann, deſſen Herz keine Liebe, deſſen Bruſt keine Freundſchaft, deſſen Antlitz kein Lächeln, deſſen Seele kein Mitleid kennt! — Aber Du haſt keine Schuld an Deinem unſeligen Weſen und den ſchlimmen Erfolgen, welche alles traurig enden, was Du beginnſt. — Höre jetzt, denn einmal muß es geſagt ſein, was ich Dir lange verſchweigen zu müſſen glaubte: Jch hatte meinen Vor- gänger geſtürzt und ihn gezwungen, mir ſeine Schweſter Tentcheta zum Weibe zu geben. Sie gewann mich lieb und verſprach, ein Jahr nach der Hochzeit, mich mit einem Kinde beſchenken zu wollen. Jn der Nacht, welche Deiner Geburt vorherging, ſchlief ich, vor dem Lager meiner Gattin ſitzend, ein. — Da träumte mir folgendes: „Deine Mutter lag am Ufer des Nils und klagte mir, ſie empfinde Schmerzen in der Bruſt. Jch beugte mich zu ihr hernieder und ſah, daß eine Cypreſſe ihrem Herzen entwuchs. Der Baum wurde immer größer, immer breiter und ſchwärzer; ſeine Wurzeln aber wanden ſich um Deine Mutter und erwürgten ſie. Ein kalter Schauder faßte mich. Jch wollte fliehen. Plötzlich erhob ſich von Oſten her ein furchtbarer Orkan, der die Cypreſſe umſtürzte und ſie niederwarf, ſo daß ihre breiten Zweige in den Nil ſchlugen. — Da hörte der Strom zu fließen auf; ſein

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/110>, abgerufen am 06.05.2024.