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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890.

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Acclimatisation.
Erscheinung sei. Beides ist richtig; es ist unmöglich,
ihr Zustandekommen anders aufzufassen, als durch die
gemeinsame Einwirkung der klimatischen Agentien her-
vorgerufen, als physiologische Anpassung an die gege-
benen Verhältnisse; aber gleichzeitig ist diese Biologie-
Aeusserung auch mit dem bestimmten Organismus durch
die durch Tausende von Generationen hindurch gleich-
mässig erhalten gebliebene Rhythmik so innig verwachsen,
dass sie sich von demselben nicht ohne weiteres trennen
lässt, ebensowenig wie die morphologischen Spezies-
Charaktere, und bei grosser Schmiegsamkeit über gewisse
Grenzen der Periodenverschiebung nicht hinausgeht.

Wie weit sich die Acclimatisation treiben lässt, zeigen die
Kulturen in den botanischen Gärten, die auch bei uns für die
Tropenpflanzen ein künstliches Klima durch Gewächshauseinrich-
tungen erzeugen, um wenigstens Wärme und Feuchtigkeit der
Heimat einigermassen entsprechend verteilen zu können. Für das
Sonnenlicht allerdings gibt es zur Zeit des nordischen Winters
keinen Ersatz, und die schlimme Wirkung davon, dass eine Art
von Schlafzustand durch die trüben Wintertage bei Tropenbewohnern
erregt wird, die damit nie zu rechnen haben, ist augenscheinlich.
Dennoch blühen immerhin nicht wenige derselben bei uns. --
Viele nordische Laubbäume hat man nach Madeira verpflanzen
können, wo sie aber dennoch der durch Laubabfall sich kenn-
zeichnenden Winterruhe, trotz des günstigsten Klimas, unterliegen.
Nach Heer (Verhandl. d. Schweiz. naturf. Gesellschaft 1851, S. 54)
bleibt die Buche auf dieser durch die Gleichförmigkeit ihrer Tem-
peratur während des ganzen Jahres ausgezeichneten Insel 149 Tage
blattlos, die Eiche 110 Tage, der amerikanische Tulpenbaum
(Liriodendron) 87 Tage; der Weinstock ruht blattlos 157 Tage,
und dieses alles bei einer Temperatur, welche der des Sommers in
Mitteleuropa sehr ähnlich ist, und bei einer Beleuchtung, welche
nicht entfernt an den nordischen Spätherbst erinnert. Aber in Cu-
mana trägt, wie schon Humboldt berichtete, die dort stets belaubte
Rebe Europas fortwährend Blüten und Früchte. -- Die amerikani-
schen Cactus (Opuntia) sind in Südeuropa ohne irgendwelche be-
merkbare Schädigung bei annähernd gleicher Vegetationsperiode
wie wild geworden; aber die Agave americana, welche in ihrer
amerikanischen Heimat in der Zeit von meist nur 5 Jahren ihr
Leben mit der Blüte und Fruchtreife beenden soll, wird schon auf
den Kanaren doppelt so alt und erreicht in unseren Gärten ein
"hundertjähriges" Alter bis zu demselben Entwickelungszustande.

Am stärksten erblich und also umgekehrt am langsamsten
veränderlich scheinen bei der Mehrzahl der Gewächse die unteren
spezifischen Nullpunkte ihrer Vegetationsprozesse zu sein; daher

Acclimatisation.
Erscheinung sei. Beides ist richtig; es ist unmöglich,
ihr Zustandekommen anders aufzufassen, als durch die
gemeinsame Einwirkung der klimatischen Agentien her-
vorgerufen, als physiologische Anpassung an die gege-
benen Verhältnisse; aber gleichzeitig ist diese Biologie-
Aeusserung auch mit dem bestimmten Organismus durch
die durch Tausende von Generationen hindurch gleich-
mässig erhalten gebliebene Rhythmik so innig verwachsen,
dass sie sich von demselben nicht ohne weiteres trennen
lässt, ebensowenig wie die morphologischen Spezies-
Charaktere, und bei grosser Schmiegsamkeit über gewisse
Grenzen der Periodenverschiebung nicht hinausgeht.

Wie weit sich die Acclimatisation treiben lässt, zeigen die
Kulturen in den botanischen Gärten, die auch bei uns für die
Tropenpflanzen ein künstliches Klima durch Gewächshauseinrich-
tungen erzeugen, um wenigstens Wärme und Feuchtigkeit der
Heimat einigermassen entsprechend verteilen zu können. Für das
Sonnenlicht allerdings gibt es zur Zeit des nordischen Winters
keinen Ersatz, und die schlimme Wirkung davon, dass eine Art
von Schlafzustand durch die trüben Wintertage bei Tropenbewohnern
erregt wird, die damit nie zu rechnen haben, ist augenscheinlich.
Dennoch blühen immerhin nicht wenige derselben bei uns. —
Viele nordische Laubbäume hat man nach Madeira verpflanzen
können, wo sie aber dennoch der durch Laubabfall sich kenn-
zeichnenden Winterruhe, trotz des günstigsten Klimas, unterliegen.
Nach Heer (Verhandl. d. Schweiz. naturf. Gesellschaft 1851, S. 54)
bleibt die Buche auf dieser durch die Gleichförmigkeit ihrer Tem-
peratur während des ganzen Jahres ausgezeichneten Insel 149 Tage
blattlos, die Eiche 110 Tage, der amerikanische Tulpenbaum
(Liriodendron) 87 Tage; der Weinstock ruht blattlos 157 Tage,
und dieses alles bei einer Temperatur, welche der des Sommers in
Mitteleuropa sehr ähnlich ist, und bei einer Beleuchtung, welche
nicht entfernt an den nordischen Spätherbst erinnert. Aber in Cu-
mana trägt, wie schon Humboldt berichtete, die dort stets belaubte
Rebe Europas fortwährend Blüten und Früchte. — Die amerikani-
schen Cactus (Opuntia) sind in Südeuropa ohne irgendwelche be-
merkbare Schädigung bei annähernd gleicher Vegetationsperiode
wie wild geworden; aber die Agave americana, welche in ihrer
amerikanischen Heimat in der Zeit von meist nur 5 Jahren ihr
Leben mit der Blüte und Fruchtreife beenden soll, wird schon auf
den Kanaren doppelt so alt und erreicht in unseren Gärten ein
„hundertjähriges“ Alter bis zu demselben Entwickelungszustande.

Am stärksten erblich und also umgekehrt am langsamsten
veränderlich scheinen bei der Mehrzahl der Gewächse die unteren
spezifischen Nullpunkte ihrer Vegetationsprozesse zu sein; daher

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[35/0057] Acclimatisation. Erscheinung sei. Beides ist richtig; es ist unmöglich, ihr Zustandekommen anders aufzufassen, als durch die gemeinsame Einwirkung der klimatischen Agentien her- vorgerufen, als physiologische Anpassung an die gege- benen Verhältnisse; aber gleichzeitig ist diese Biologie- Aeusserung auch mit dem bestimmten Organismus durch die durch Tausende von Generationen hindurch gleich- mässig erhalten gebliebene Rhythmik so innig verwachsen, dass sie sich von demselben nicht ohne weiteres trennen lässt, ebensowenig wie die morphologischen Spezies- Charaktere, und bei grosser Schmiegsamkeit über gewisse Grenzen der Periodenverschiebung nicht hinausgeht. Wie weit sich die Acclimatisation treiben lässt, zeigen die Kulturen in den botanischen Gärten, die auch bei uns für die Tropenpflanzen ein künstliches Klima durch Gewächshauseinrich- tungen erzeugen, um wenigstens Wärme und Feuchtigkeit der Heimat einigermassen entsprechend verteilen zu können. Für das Sonnenlicht allerdings gibt es zur Zeit des nordischen Winters keinen Ersatz, und die schlimme Wirkung davon, dass eine Art von Schlafzustand durch die trüben Wintertage bei Tropenbewohnern erregt wird, die damit nie zu rechnen haben, ist augenscheinlich. Dennoch blühen immerhin nicht wenige derselben bei uns. — Viele nordische Laubbäume hat man nach Madeira verpflanzen können, wo sie aber dennoch der durch Laubabfall sich kenn- zeichnenden Winterruhe, trotz des günstigsten Klimas, unterliegen. Nach Heer (Verhandl. d. Schweiz. naturf. Gesellschaft 1851, S. 54) bleibt die Buche auf dieser durch die Gleichförmigkeit ihrer Tem- peratur während des ganzen Jahres ausgezeichneten Insel 149 Tage blattlos, die Eiche 110 Tage, der amerikanische Tulpenbaum (Liriodendron) 87 Tage; der Weinstock ruht blattlos 157 Tage, und dieses alles bei einer Temperatur, welche der des Sommers in Mitteleuropa sehr ähnlich ist, und bei einer Beleuchtung, welche nicht entfernt an den nordischen Spätherbst erinnert. Aber in Cu- mana trägt, wie schon Humboldt berichtete, die dort stets belaubte Rebe Europas fortwährend Blüten und Früchte. — Die amerikani- schen Cactus (Opuntia) sind in Südeuropa ohne irgendwelche be- merkbare Schädigung bei annähernd gleicher Vegetationsperiode wie wild geworden; aber die Agave americana, welche in ihrer amerikanischen Heimat in der Zeit von meist nur 5 Jahren ihr Leben mit der Blüte und Fruchtreife beenden soll, wird schon auf den Kanaren doppelt so alt und erreicht in unseren Gärten ein „hundertjähriges“ Alter bis zu demselben Entwickelungszustande. Am stärksten erblich und also umgekehrt am langsamsten veränderlich scheinen bei der Mehrzahl der Gewächse die unteren spezifischen Nullpunkte ihrer Vegetationsprozesse zu sein; daher

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Zitationshilfe: Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/57>, abgerufen am 24.11.2024.