können wir leicht hochnordische und hochalpine Pflanzen in Kalt- häusern überwintern, wo sie bei viel höheren Temperaturen (+ 3°, ohne Frost) als in ihrer Heimat im Winter ruhen; aber tropische Gewächse, in Winterszeit in Kalthäusern gehalten, sterben wegen der unter ihre Vegetationsnullpunkte erniedrigten Temperatur ab.
Auch in den Erscheinungen des täglichen Blattschlafes zeigt sich bei der einzelnen Pflanze ein zähes Festhalten bis zu gewissen Punkten, wofür Experimente mit tropischen Bohnen in höheren Breiten sprechen (siehe Griseb. Ber. für 1850, S. 61).
Phänologie. Die Wichtigkeit der Länge und Zeit- lage der Vegetationsperiode eines Landes für die dar- stellende Geographie hat seit lange zu strengeren sta- tistischen Feststellungen darüber geführt, welche besonders für die Länder der nördlich gemässigten Zone von Wich- tigkeit sind, wo der Einzug des Frühlings mit Sehnsucht erwartet wird und wo eine Verfrühung oder Verspätung desselben gleichbedeutend ist mit höherer oder geringerer Anbaufähigkeit fremder, längere Wachstumzeit erfor- dernder Gewächse. Nun sollen zwar streng genommen für die Beurteilung der Vegetationsperiode eines einzelnen Gewächses dessen beginnende Wachstumserscheinungen in Bildung neuer Blätter etc. und der Schluss dieser Thätigkeit, der Beginn und das Ende der erst dann in voller Intensität anhebenden Ernährungsthätigkeit, und endlich die Entwickelung und der Reifeprozess seiner Vermehrungsorgane (Blüte- und Fruchtbildung, Sporen- reifung) in Betracht gezogen werden; ausserdem setzt sich die Vegetationsperiode eines bestimmten Landes zu- sammen aus den verschiedenen Perioden seiner einzelnen Pflanzenbürger und beginnt z. B. in Deutschland mit dem Treiben des Schneeglöckchens und endet kaum mit dem Blätterfall des letzten Baumes. Doch hat man hier, um sich nicht in Einzelheiten zu verlieren, für jedes Land charakteristische Erscheinungen des Pflanzenlebens, welche einen deutlichen Markstein in seiner Physiognomie be- dingen, herausgegriffen zur Beobachtung und notiert deren Eintritt als "phänologische Erscheinungen", wählt als solche die aus dem Schnee hervorlugenden Blüten in Grönland, die Belaubung der Wälder in Deutschland, die ersten Blütenbildungen an den nach der trockenen Jahres-
Phänologische Erscheinungen.
können wir leicht hochnordische und hochalpine Pflanzen in Kalt- häusern überwintern, wo sie bei viel höheren Temperaturen (+ 3°, ohne Frost) als in ihrer Heimat im Winter ruhen; aber tropische Gewächse, in Winterszeit in Kalthäusern gehalten, sterben wegen der unter ihre Vegetationsnullpunkte erniedrigten Temperatur ab.
Auch in den Erscheinungen des täglichen Blattschlafes zeigt sich bei der einzelnen Pflanze ein zähes Festhalten bis zu gewissen Punkten, wofür Experimente mit tropischen Bohnen in höheren Breiten sprechen (siehe Griseb. Ber. für 1850, S. 61).
Phänologie. Die Wichtigkeit der Länge und Zeit- lage der Vegetationsperiode eines Landes für die dar- stellende Geographie hat seit lange zu strengeren sta- tistischen Feststellungen darüber geführt, welche besonders für die Länder der nördlich gemässigten Zone von Wich- tigkeit sind, wo der Einzug des Frühlings mit Sehnsucht erwartet wird und wo eine Verfrühung oder Verspätung desselben gleichbedeutend ist mit höherer oder geringerer Anbaufähigkeit fremder, längere Wachstumzeit erfor- dernder Gewächse. Nun sollen zwar streng genommen für die Beurteilung der Vegetationsperiode eines einzelnen Gewächses dessen beginnende Wachstumserscheinungen in Bildung neuer Blätter etc. und der Schluss dieser Thätigkeit, der Beginn und das Ende der erst dann in voller Intensität anhebenden Ernährungsthätigkeit, und endlich die Entwickelung und der Reifeprozess seiner Vermehrungsorgane (Blüte- und Fruchtbildung, Sporen- reifung) in Betracht gezogen werden; ausserdem setzt sich die Vegetationsperiode eines bestimmten Landes zu- sammen aus den verschiedenen Perioden seiner einzelnen Pflanzenbürger und beginnt z. B. in Deutschland mit dem Treiben des Schneeglöckchens und endet kaum mit dem Blätterfall des letzten Baumes. Doch hat man hier, um sich nicht in Einzelheiten zu verlieren, für jedes Land charakteristische Erscheinungen des Pflanzenlebens, welche einen deutlichen Markstein in seiner Physiognomie be- dingen, herausgegriffen zur Beobachtung und notiert deren Eintritt als „phänologische Erscheinungen“, wählt als solche die aus dem Schnee hervorlugenden Blüten in Grönland, die Belaubung der Wälder in Deutschland, die ersten Blütenbildungen an den nach der trockenen Jahres-
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Phänologische Erscheinungen.
können wir leicht hochnordische und hochalpine Pflanzen in Kalt-
häusern überwintern, wo sie bei viel höheren Temperaturen (+ 3°,
ohne Frost) als in ihrer Heimat im Winter ruhen; aber tropische
Gewächse, in Winterszeit in Kalthäusern gehalten, sterben wegen
der unter ihre Vegetationsnullpunkte erniedrigten Temperatur ab.
Auch in den Erscheinungen des täglichen Blattschlafes zeigt
sich bei der einzelnen Pflanze ein zähes Festhalten bis zu gewissen
Punkten, wofür Experimente mit tropischen Bohnen in höheren
Breiten sprechen (siehe Griseb. Ber. für 1850, S. 61).
Phänologie. Die Wichtigkeit der Länge und Zeit-
lage der Vegetationsperiode eines Landes für die dar-
stellende Geographie hat seit lange zu strengeren sta-
tistischen Feststellungen darüber geführt, welche besonders
für die Länder der nördlich gemässigten Zone von Wich-
tigkeit sind, wo der Einzug des Frühlings mit Sehnsucht
erwartet wird und wo eine Verfrühung oder Verspätung
desselben gleichbedeutend ist mit höherer oder geringerer
Anbaufähigkeit fremder, längere Wachstumzeit erfor-
dernder Gewächse. Nun sollen zwar streng genommen
für die Beurteilung der Vegetationsperiode eines einzelnen
Gewächses dessen beginnende Wachstumserscheinungen
in Bildung neuer Blätter etc. und der Schluss dieser
Thätigkeit, der Beginn und das Ende der erst dann in
voller Intensität anhebenden Ernährungsthätigkeit, und
endlich die Entwickelung und der Reifeprozess seiner
Vermehrungsorgane (Blüte- und Fruchtbildung, Sporen-
reifung) in Betracht gezogen werden; ausserdem setzt
sich die Vegetationsperiode eines bestimmten Landes zu-
sammen aus den verschiedenen Perioden seiner einzelnen
Pflanzenbürger und beginnt z. B. in Deutschland mit dem
Treiben des Schneeglöckchens und endet kaum mit dem
Blätterfall des letzten Baumes. Doch hat man hier, um
sich nicht in Einzelheiten zu verlieren, für jedes Land
charakteristische Erscheinungen des Pflanzenlebens, welche
einen deutlichen Markstein in seiner Physiognomie be-
dingen, herausgegriffen zur Beobachtung und notiert deren
Eintritt als „phänologische Erscheinungen“, wählt
als solche die aus dem Schnee hervorlugenden Blüten in
Grönland, die Belaubung der Wälder in Deutschland, die
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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/58>, abgerufen am 24.11.2024.
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