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Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868.

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bleiben. Erst indem wir mitten unter ihnen stehend uns von ihnen,
sie von uns unterscheiden, uns mit den verschiedenen Seiten und Er-
regbarkeiten unserer sinnlichen Existenz unter andern und andern Ex-
ponenten zu ihnen verhalten, und nach diesen Exponenten sie unter
sich selbst unterscheiden und vergleichen, erst in unserm Ich, durch
unser Erkennen, in unserm Wissen erhält das in Raum und Zeit Seiende
weitere Benennungen, weitere Bestimmtheiten; erst so entwickeln sich
uns die leeren Allgemeinheiten Raum und Zeit, die leeren Zusammen-
fassungen Natur und Geschichte zu discretem Inhalt, zu bestimmten
Vorstellungsreihen, zum Nebeneinander und Nacheinander der Einzeln-
heiten.

Raum und Zeit unterscheiden sich wie Ruhe und Rastlosigkeit, wie
Lässigkeit und Eile, wie Gebundenheit und Lossein. Es sind Gegen-
sätze, aber immer mit einander verbundene; sie sind untrennbar, aber
immer mit einander ringend. Denn Alles ist in Bewegung. Das Selbst-
gefühl unsres Lebens, unsres geistigen und sinnlichen Seins, das, selbst
so in sich polarisirt, weder bloss sinnlich oder bloss geistig, noch ab-
wechselnd das eine oder andere, sondern das lebendige Einssein des
Zwiespaltes ist, giebt uns den Begriff der Bewegung und seiner Mo-
mente Raum und Zeit. Unbewegt wäre uns die Welt der Erscheinun-
gen unfassbar; ohne Bewegung in uns selbst wären wir ausser Stande
sie zu erfassen. Dass die Welt draussen bewegt ist, wie wir in uns,
lässt sie uns unter der Analogie dessen, was in uns selber vorgeht, be-
greifen.

Wir wissen freilich, dass in der Bewegung Raum und Zeit immer
vereint sind, dass die Zeit gleichsam den trägen Raum in immer neuer
Bewegung zu überwinden, die Bewegung immer wieder aus der Unge-
duld der Zeit in die Ruhe des Seins zurückzusinken und sich auszu-
breiten strebt. Wie kommt nun die menschliche Betrachtung dazu, ge-
wisse Erscheinungsreihen in dem rastlos bewegten Sein der Dinge mehr
nach der zeitlichen, andere mehr nach der räumlichen Seite zu be-
trachten, die einen als Natur, die andern als Geschichte zusammen-
zufassen?

Allerdings sehen wir ringsumher stete Bewegung, steten Wechsel.
Aber wir unterscheiden gewisse Erscheinungen, in denen das Zeitliche
zurücktritt, in denen es gleichsam nur vorübergehend erscheint, um in

bleiben. Erst indem wir mitten unter ihnen stehend uns von ihnen,
sie von uns unterscheiden, uns mit den verschiedenen Seiten und Er-
regbarkeiten unserer sinnlichen Existenz unter andern und andern Ex-
ponenten zu ihnen verhalten, und nach diesen Exponenten sie unter
sich selbst unterscheiden und vergleichen, erst in unserm Ich, durch
unser Erkennen, in unserm Wissen erhält das in Raum und Zeit Seiende
weitere Benennungen, weitere Bestimmtheiten; erst so entwickeln sich
uns die leeren Allgemeinheiten Raum und Zeit, die leeren Zusammen-
fassungen Natur und Geschichte zu discretem Inhalt, zu bestimmten
Vorstellungsreihen, zum Nebeneinander und Nacheinander der Einzeln-
heiten.

Raum und Zeit unterscheiden sich wie Ruhe und Rastlosigkeit, wie
Lässigkeit und Eile, wie Gebundenheit und Lossein. Es sind Gegen-
sätze, aber immer mit einander verbundene; sie sind untrennbar, aber
immer mit einander ringend. Denn Alles ist in Bewegung. Das Selbst-
gefühl unsres Lebens, unsres geistigen und sinnlichen Seins, das, selbst
so in sich polarisirt, weder bloss sinnlich oder bloss geistig, noch ab-
wechselnd das eine oder andere, sondern das lebendige Einssein des
Zwiespaltes ist, giebt uns den Begriff der Bewegung und seiner Mo-
mente Raum und Zeit. Unbewegt wäre uns die Welt der Erscheinun-
gen unfassbar; ohne Bewegung in uns selbst wären wir ausser Stande
sie zu erfassen. Dass die Welt draussen bewegt ist, wie wir in uns,
lässt sie uns unter der Analogie dessen, was in uns selber vorgeht, be-
greifen.

Wir wissen freilich, dass in der Bewegung Raum und Zeit immer
vereint sind, dass die Zeit gleichsam den trägen Raum in immer neuer
Bewegung zu überwinden, die Bewegung immer wieder aus der Unge-
duld der Zeit in die Ruhe des Seins zurückzusinken und sich auszu-
breiten strebt. Wie kommt nun die menschliche Betrachtung dazu, ge-
wisse Erscheinungsreihen in dem rastlos bewegten Sein der Dinge mehr
nach der zeitlichen, andere mehr nach der räumlichen Seite zu be-
trachten, die einen als Natur, die andern als Geschichte zusammen-
zufassen?

Allerdings sehen wir ringsumher stete Bewegung, steten Wechsel.
Aber wir unterscheiden gewisse Erscheinungen, in denen das Zeitliche
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[68/0077] bleiben. Erst indem wir mitten unter ihnen stehend uns von ihnen, sie von uns unterscheiden, uns mit den verschiedenen Seiten und Er- regbarkeiten unserer sinnlichen Existenz unter andern und andern Ex- ponenten zu ihnen verhalten, und nach diesen Exponenten sie unter sich selbst unterscheiden und vergleichen, erst in unserm Ich, durch unser Erkennen, in unserm Wissen erhält das in Raum und Zeit Seiende weitere Benennungen, weitere Bestimmtheiten; erst so entwickeln sich uns die leeren Allgemeinheiten Raum und Zeit, die leeren Zusammen- fassungen Natur und Geschichte zu discretem Inhalt, zu bestimmten Vorstellungsreihen, zum Nebeneinander und Nacheinander der Einzeln- heiten. Raum und Zeit unterscheiden sich wie Ruhe und Rastlosigkeit, wie Lässigkeit und Eile, wie Gebundenheit und Lossein. Es sind Gegen- sätze, aber immer mit einander verbundene; sie sind untrennbar, aber immer mit einander ringend. Denn Alles ist in Bewegung. Das Selbst- gefühl unsres Lebens, unsres geistigen und sinnlichen Seins, das, selbst so in sich polarisirt, weder bloss sinnlich oder bloss geistig, noch ab- wechselnd das eine oder andere, sondern das lebendige Einssein des Zwiespaltes ist, giebt uns den Begriff der Bewegung und seiner Mo- mente Raum und Zeit. Unbewegt wäre uns die Welt der Erscheinun- gen unfassbar; ohne Bewegung in uns selbst wären wir ausser Stande sie zu erfassen. Dass die Welt draussen bewegt ist, wie wir in uns, lässt sie uns unter der Analogie dessen, was in uns selber vorgeht, be- greifen. Wir wissen freilich, dass in der Bewegung Raum und Zeit immer vereint sind, dass die Zeit gleichsam den trägen Raum in immer neuer Bewegung zu überwinden, die Bewegung immer wieder aus der Unge- duld der Zeit in die Ruhe des Seins zurückzusinken und sich auszu- breiten strebt. Wie kommt nun die menschliche Betrachtung dazu, ge- wisse Erscheinungsreihen in dem rastlos bewegten Sein der Dinge mehr nach der zeitlichen, andere mehr nach der räumlichen Seite zu be- trachten, die einen als Natur, die andern als Geschichte zusammen- zufassen? Allerdings sehen wir ringsumher stete Bewegung, steten Wechsel. Aber wir unterscheiden gewisse Erscheinungen, in denen das Zeitliche zurücktritt, in denen es gleichsam nur vorübergehend erscheint, um in

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/77>, abgerufen am 25.11.2024.