Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

aber sie entstehen, wachsen, vergehen beide in ähnlicher Art; dies ihr
Leben unterscheidet ihm die organische Welt von Stein und Meer und
Flamme u. s. w. Es sind immer umfassendere Formen, immer allge-
meinere Begriffe, die er so entwickelt und anwendet.

Die letzten und allgemeinsten nach der Seite der sinnlichen Wahr-
nehmbarkeiten hin sind Natur und Geschichte. Sie fassen die Erschei-
nungswelt zusammen unter die zwei allgemeinsten Vorstellungen, denen,
wenn auch vielleicht nicht mit Recht, der Vorzug zu Theil geworden
ist, als Anschauungen a priori bezeichnet zu werden.

Die Totalität der Erscheinungen sind wir sicher zu umfassen, wenn
wir sie uns nach Raum und Zeit geordnet denken, wenn wir sagen
Natur und Geschichte.


Freilich wissen wir sofort, dass Alles, was im Raum ist, auch in
der Zeit ist, und umgekehrt. Die Dinge der empirischen Welt sind
nicht entweder dem Raum nach oder der Zeit nach; aber wir fassen
sie so auf, je nachdem uns das eine oder das andere Moment zu über-
wiegen scheint, je nachdem wir das eine oder das andere als das wich-
tigere, bezeichnendere, wesentliche hervorzuheben Anlass sehen.

Freilich viel gesagt ist mit dieser Begriffsbestimmung des Wortes
Geschichte nicht, wenn wir nicht im Stande sind, dieselbe in sich zu
vertiefen.

Raum und Zeit sind die weitesten, d. h. leersten Vorstellungen
unseres Geistes. Einen Inhalt bekommen sie erst in dem Maass, als
wir sie durch das Nacheinander und Nebeneinander bestimmen, das will
sagen, die Einzelnheiten unterscheiden, -- nicht bloss sagen, dass sie
sind, sondern was sie sind.

Dass diese Erscheinungen, die wir summarisch als Geschichte, als
Natur zusammenfassen, an sich noch andere Bestimmungen, andere Prä-
dicate haben als die, in Raum und Zeit zu sein, d. h. dass sie im
Raum, in der Zeit unterschieden sind, wissen wir dadurch, dass wir
selbst unserer sinnlichen Existenz nach mitten unter ihnen stehen, von
ihnen bestimmt werden, zu ihnen uns anders und anders verhalten,
d. h. wissen wir empirisch. Ohne diese Empirie würde uns Raum
und Zeit ein leeres x, würde uns die Welt der Erscheinung ein Chaos

5*

aber sie entstehen, wachsen, vergehen beide in ähnlicher Art; dies ihr
Leben unterscheidet ihm die organische Welt von Stein und Meer und
Flamme u. s. w. Es sind immer umfassendere Formen, immer allge-
meinere Begriffe, die er so entwickelt und anwendet.

Die letzten und allgemeinsten nach der Seite der sinnlichen Wahr-
nehmbarkeiten hin sind Natur und Geschichte. Sie fassen die Erschei-
nungswelt zusammen unter die zwei allgemeinsten Vorstellungen, denen,
wenn auch vielleicht nicht mit Recht, der Vorzug zu Theil geworden
ist, als Anschauungen a priori bezeichnet zu werden.

Die Totalität der Erscheinungen sind wir sicher zu umfassen, wenn
wir sie uns nach Raum und Zeit geordnet denken, wenn wir sagen
Natur und Geschichte.


Freilich wissen wir sofort, dass Alles, was im Raum ist, auch in
der Zeit ist, und umgekehrt. Die Dinge der empirischen Welt sind
nicht entweder dem Raum nach oder der Zeit nach; aber wir fassen
sie so auf, je nachdem uns das eine oder das andere Moment zu über-
wiegen scheint, je nachdem wir das eine oder das andere als das wich-
tigere, bezeichnendere, wesentliche hervorzuheben Anlass sehen.

Freilich viel gesagt ist mit dieser Begriffsbestimmung des Wortes
Geschichte nicht, wenn wir nicht im Stande sind, dieselbe in sich zu
vertiefen.

Raum und Zeit sind die weitesten, d. h. leersten Vorstellungen
unseres Geistes. Einen Inhalt bekommen sie erst in dem Maass, als
wir sie durch das Nacheinander und Nebeneinander bestimmen, das will
sagen, die Einzelnheiten unterscheiden, — nicht bloss sagen, dass sie
sind, sondern was sie sind.

Dass diese Erscheinungen, die wir summarisch als Geschichte, als
Natur zusammenfassen, an sich noch andere Bestimmungen, andere Prä-
dicate haben als die, in Raum und Zeit zu sein, d. h. dass sie im
Raum, in der Zeit unterschieden sind, wissen wir dadurch, dass wir
selbst unserer sinnlichen Existenz nach mitten unter ihnen stehen, von
ihnen bestimmt werden, zu ihnen uns anders und anders verhalten,
d. h. wissen wir empirisch. Ohne diese Empirie würde uns Raum
und Zeit ein leeres x, würde uns die Welt der Erscheinung ein Chaos

5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0076" n="67"/>
aber sie entstehen, wachsen, vergehen beide in ähnlicher Art; dies ihr<lb/>
Leben unterscheidet ihm die organische Welt von Stein und Meer und<lb/>
Flamme u. s. w. Es sind immer umfassendere Formen, immer allge-<lb/>
meinere Begriffe, die er so entwickelt und anwendet.</p><lb/>
          <p>Die letzten und allgemeinsten nach der Seite der sinnlichen Wahr-<lb/>
nehmbarkeiten hin sind Natur und Geschichte. Sie fassen die Erschei-<lb/>
nungswelt zusammen unter die zwei allgemeinsten Vorstellungen, denen,<lb/>
wenn auch vielleicht nicht mit Recht, der Vorzug zu Theil geworden<lb/>
ist, als Anschauungen a priori bezeichnet zu werden.</p><lb/>
          <p>Die Totalität der Erscheinungen sind wir sicher zu umfassen, wenn<lb/>
wir sie uns nach <hi rendition="#g">Raum und Zeit</hi> geordnet denken, wenn wir sagen<lb/><hi rendition="#g">Natur und Geschichte</hi>.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Freilich wissen wir sofort, dass Alles, was im Raum ist, auch in<lb/>
der Zeit ist, und umgekehrt. Die Dinge der empirischen Welt sind<lb/>
nicht entweder dem Raum nach oder der Zeit nach; aber wir fassen<lb/>
sie so auf, je nachdem uns das eine oder das andere Moment zu über-<lb/>
wiegen scheint, je nachdem wir das eine oder das andere als das wich-<lb/>
tigere, bezeichnendere, wesentliche hervorzuheben Anlass sehen.</p><lb/>
          <p>Freilich viel gesagt ist mit dieser Begriffsbestimmung des Wortes<lb/>
Geschichte nicht, wenn wir nicht im Stande sind, dieselbe in sich zu<lb/>
vertiefen.</p><lb/>
          <p>Raum und Zeit sind die weitesten, d. h. leersten Vorstellungen<lb/>
unseres Geistes. Einen Inhalt bekommen sie erst in dem Maass, als<lb/>
wir sie durch das Nacheinander und Nebeneinander bestimmen, das will<lb/>
sagen, die Einzelnheiten unterscheiden, &#x2014; nicht bloss sagen, dass sie<lb/>
sind, sondern was sie sind.</p><lb/>
          <p>Dass diese Erscheinungen, die wir summarisch als Geschichte, als<lb/>
Natur zusammenfassen, an sich noch andere Bestimmungen, andere Prä-<lb/>
dicate haben als die, in Raum und Zeit zu sein, d. h. dass sie im<lb/>
Raum, in der Zeit unterschieden sind, wissen wir dadurch, dass wir<lb/>
selbst unserer sinnlichen Existenz nach mitten unter ihnen stehen, von<lb/>
ihnen bestimmt werden, zu ihnen uns anders und anders verhalten,<lb/>
d. h. wissen wir <hi rendition="#g">empirisch</hi>. Ohne diese Empirie würde uns Raum<lb/>
und Zeit ein leeres x, würde uns die Welt der Erscheinung ein Chaos<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0076] aber sie entstehen, wachsen, vergehen beide in ähnlicher Art; dies ihr Leben unterscheidet ihm die organische Welt von Stein und Meer und Flamme u. s. w. Es sind immer umfassendere Formen, immer allge- meinere Begriffe, die er so entwickelt und anwendet. Die letzten und allgemeinsten nach der Seite der sinnlichen Wahr- nehmbarkeiten hin sind Natur und Geschichte. Sie fassen die Erschei- nungswelt zusammen unter die zwei allgemeinsten Vorstellungen, denen, wenn auch vielleicht nicht mit Recht, der Vorzug zu Theil geworden ist, als Anschauungen a priori bezeichnet zu werden. Die Totalität der Erscheinungen sind wir sicher zu umfassen, wenn wir sie uns nach Raum und Zeit geordnet denken, wenn wir sagen Natur und Geschichte. Freilich wissen wir sofort, dass Alles, was im Raum ist, auch in der Zeit ist, und umgekehrt. Die Dinge der empirischen Welt sind nicht entweder dem Raum nach oder der Zeit nach; aber wir fassen sie so auf, je nachdem uns das eine oder das andere Moment zu über- wiegen scheint, je nachdem wir das eine oder das andere als das wich- tigere, bezeichnendere, wesentliche hervorzuheben Anlass sehen. Freilich viel gesagt ist mit dieser Begriffsbestimmung des Wortes Geschichte nicht, wenn wir nicht im Stande sind, dieselbe in sich zu vertiefen. Raum und Zeit sind die weitesten, d. h. leersten Vorstellungen unseres Geistes. Einen Inhalt bekommen sie erst in dem Maass, als wir sie durch das Nacheinander und Nebeneinander bestimmen, das will sagen, die Einzelnheiten unterscheiden, — nicht bloss sagen, dass sie sind, sondern was sie sind. Dass diese Erscheinungen, die wir summarisch als Geschichte, als Natur zusammenfassen, an sich noch andere Bestimmungen, andere Prä- dicate haben als die, in Raum und Zeit zu sein, d. h. dass sie im Raum, in der Zeit unterschieden sind, wissen wir dadurch, dass wir selbst unserer sinnlichen Existenz nach mitten unter ihnen stehen, von ihnen bestimmt werden, zu ihnen uns anders und anders verhalten, d. h. wissen wir empirisch. Ohne diese Empirie würde uns Raum und Zeit ein leeres x, würde uns die Welt der Erscheinung ein Chaos 5*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/76
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/76>, abgerufen am 24.11.2024.