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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Alexander durch seinen zu frühen Tod entrissen werden sollte,
durchgebildet hat; jedenfalls muß sie ein großer und der letzte
Fortschritt in der Geschichte der Hellenischen Freiheit, die mit
ihm dem Principe nach unterging, genannt werden. Sie gab
ein wesentliches Element zu einer neuen und höheren Gestaltung
des Staatslebens, zu einer Monarchie, die von dem morgenländi-
schen Despotismus die Majestät das Thrones, von der einst de-
mokratischen Freiheit die Berechtigung und die persönliche Selbst-
ständigkeit der Beherrschten überkam. Mit Alexander errang das
Staatsleben diese höhere Gestaltung, die, in den Hellenischen Sa-
gen vorgedeutet, im Macedonischen Königthum auf unentwickelte
Weise überliefert, erst jetzt mit dem Sturze der Asiatischen Des-
potie und der demokratischen Freiheit zum historischen Bewußtsein
ward. Das Reich Alexanders ist der erste Versuch eines monar-
chischen Organismus, wie ihn bisher weder das Morgenland, noch
die Theorien Hellenischer Philosophen geahnet hatten. Und wenn
dieser erste Versuch noch beschränkt und mangelhaft gewesen, wenn
das Neue selbst noch despotisch in der Person Alexanders aufge-
treten ist, so darf man weder vergessen, daß in der Vollendung
dieses Systems selbst die Geschichte unserer Gegenwart noch
immer ihre höchste Arbeit findet, noch auch verkennen, was
es heißt, daß den verknechteten Völkern Asiens ihre Nationalität,
dem zerrissenen Leben Griechenlands Friede und Einheit zurückge-
geben worden, daß die Völker, sonst rechtlos der Willkühr des
Despoten gegenüber, fortan Recht und Anerkennung, und die
Staaten, sonst herrenlos ihrer eigenen Willkühr Preis gegeben,
einen Herren erhielten. Von Alexander her datiren die Anfänge
einer Entwickelung, die allein das große Problem eines wahrhaft
staatlichen Lebens zu lösen vermag; und selbst in den Hellenistischen
Reichen hat sich trotz der furchtbaren Entartung, der sie bald ver-
fallen sind, eine verfassungsmäßige Isegorie der sogenannten Ma-
cedonier, Selbstständigkeit und Berechtigung der barbarischen Un-
terthanen, gleiches Recht und Gesetz für Alle, mindestens der Form
nach, erhalten.

Wie großartig und einflußreich die organisirende Thätigkeit
Alexanders für sein Reich und für die Förderung seiner Völker
gewesen ist, das läßt sich mehr voraussetzen als nachweisen; nur

Alexander durch ſeinen zu fruͤhen Tod entriſſen werden ſollte,
durchgebildet hat; jedenfalls muß ſie ein großer und der letzte
Fortſchritt in der Geſchichte der Helleniſchen Freiheit, die mit
ihm dem Principe nach unterging, genannt werden. Sie gab
ein weſentliches Element zu einer neuen und hoͤheren Geſtaltung
des Staatslebens, zu einer Monarchie, die von dem morgenlaͤndi-
ſchen Despotismus die Majeſtaͤt das Thrones, von der einſt de-
mokratiſchen Freiheit die Berechtigung und die perſoͤnliche Selbſt-
ſtaͤndigkeit der Beherrſchten uͤberkam. Mit Alexander errang das
Staatsleben dieſe hoͤhere Geſtaltung, die, in den Helleniſchen Sa-
gen vorgedeutet, im Macedoniſchen Koͤnigthum auf unentwickelte
Weiſe uͤberliefert, erſt jetzt mit dem Sturze der Aſiatiſchen Des-
potie und der demokratiſchen Freiheit zum hiſtoriſchen Bewußtſein
ward. Das Reich Alexanders iſt der erſte Verſuch eines monar-
chiſchen Organismus, wie ihn bisher weder das Morgenland, noch
die Theorien Helleniſcher Philoſophen geahnet hatten. Und wenn
dieſer erſte Verſuch noch beſchraͤnkt und mangelhaft geweſen, wenn
das Neue ſelbſt noch despotiſch in der Perſon Alexanders aufge-
treten iſt, ſo darf man weder vergeſſen, daß in der Vollendung
dieſes Syſtems ſelbſt die Geſchichte unſerer Gegenwart noch
immer ihre hoͤchſte Arbeit findet, noch auch verkennen, was
es heißt, daß den verknechteten Voͤlkern Aſiens ihre Nationalitaͤt,
dem zerriſſenen Leben Griechenlands Friede und Einheit zuruͤckge-
geben worden, daß die Voͤlker, ſonſt rechtlos der Willkuͤhr des
Despoten gegenuͤber, fortan Recht und Anerkennung, und die
Staaten, ſonſt herrenlos ihrer eigenen Willkuͤhr Preis gegeben,
einen Herren erhielten. Von Alexander her datiren die Anfaͤnge
einer Entwickelung, die allein das große Problem eines wahrhaft
ſtaatlichen Lebens zu loͤſen vermag; und ſelbſt in den Helleniſtiſchen
Reichen hat ſich trotz der furchtbaren Entartung, der ſie bald ver-
fallen ſind, eine verfaſſungsmaͤßige Iſegorie der ſogenannten Ma-
cedonier, Selbſtſtaͤndigkeit und Berechtigung der barbariſchen Un-
terthanen, gleiches Recht und Geſetz fuͤr Alle, mindeſtens der Form
nach, erhalten.

Wie großartig und einflußreich die organiſirende Thaͤtigkeit
Alexanders fuͤr ſein Reich und fuͤr die Foͤrderung ſeiner Voͤlker
geweſen iſt, das laͤßt ſich mehr vorausſetzen als nachweiſen; nur

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[538/0552] Alexander durch ſeinen zu fruͤhen Tod entriſſen werden ſollte, durchgebildet hat; jedenfalls muß ſie ein großer und der letzte Fortſchritt in der Geſchichte der Helleniſchen Freiheit, die mit ihm dem Principe nach unterging, genannt werden. Sie gab ein weſentliches Element zu einer neuen und hoͤheren Geſtaltung des Staatslebens, zu einer Monarchie, die von dem morgenlaͤndi- ſchen Despotismus die Majeſtaͤt das Thrones, von der einſt de- mokratiſchen Freiheit die Berechtigung und die perſoͤnliche Selbſt- ſtaͤndigkeit der Beherrſchten uͤberkam. Mit Alexander errang das Staatsleben dieſe hoͤhere Geſtaltung, die, in den Helleniſchen Sa- gen vorgedeutet, im Macedoniſchen Koͤnigthum auf unentwickelte Weiſe uͤberliefert, erſt jetzt mit dem Sturze der Aſiatiſchen Des- potie und der demokratiſchen Freiheit zum hiſtoriſchen Bewußtſein ward. Das Reich Alexanders iſt der erſte Verſuch eines monar- chiſchen Organismus, wie ihn bisher weder das Morgenland, noch die Theorien Helleniſcher Philoſophen geahnet hatten. Und wenn dieſer erſte Verſuch noch beſchraͤnkt und mangelhaft geweſen, wenn das Neue ſelbſt noch despotiſch in der Perſon Alexanders aufge- treten iſt, ſo darf man weder vergeſſen, daß in der Vollendung dieſes Syſtems ſelbſt die Geſchichte unſerer Gegenwart noch immer ihre hoͤchſte Arbeit findet, noch auch verkennen, was es heißt, daß den verknechteten Voͤlkern Aſiens ihre Nationalitaͤt, dem zerriſſenen Leben Griechenlands Friede und Einheit zuruͤckge- geben worden, daß die Voͤlker, ſonſt rechtlos der Willkuͤhr des Despoten gegenuͤber, fortan Recht und Anerkennung, und die Staaten, ſonſt herrenlos ihrer eigenen Willkuͤhr Preis gegeben, einen Herren erhielten. Von Alexander her datiren die Anfaͤnge einer Entwickelung, die allein das große Problem eines wahrhaft ſtaatlichen Lebens zu loͤſen vermag; und ſelbſt in den Helleniſtiſchen Reichen hat ſich trotz der furchtbaren Entartung, der ſie bald ver- fallen ſind, eine verfaſſungsmaͤßige Iſegorie der ſogenannten Ma- cedonier, Selbſtſtaͤndigkeit und Berechtigung der barbariſchen Un- terthanen, gleiches Recht und Geſetz fuͤr Alle, mindeſtens der Form nach, erhalten. Wie großartig und einflußreich die organiſirende Thaͤtigkeit Alexanders fuͤr ſein Reich und fuͤr die Foͤrderung ſeiner Voͤlker geweſen iſt, das laͤßt ſich mehr vorausſetzen als nachweiſen; nur

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/552>, abgerufen am 27.04.2024.