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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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So offenbarte sich in der Haltungslosigkeit und Besorglichkeit
der Athenischen Demokratie auf das Unzweideutigste ihre Unfähig-
keit, der unendlich überlegenen Macht Alexanders gegenüber, auch
nur den äußeren Schein einer Selbstständigkeit zu behaupten, die
nicht mehr im Sinne der Zeit war; mit Athen war die Demo-
kratie, wie sie bisher im Leben der Hellenischen Völker vorge-
herrscht hette, moralisch vernichtet; und wenn jetzt Athen sich dem
höheren monarchischen Einfluß, wie ihn das neue Hellenistische
Königthum geltend machte, zu fügen beginnen mußte, so war der
letzte Anhalt, den die alt demokratische Parthei in Griechenland
bisher noch gehabt hatte, zerstört, und die letzte politische Schwie-
rigkeit, die den Tendenzen der neuen Zeit noch im Wege stand, hin-
weggeräumt; fortan mußte sich Griechenland in ähnlicher Weise,
wie die Länder Asiens, zum Königthum Alexanders verhalten.
Dieses Verhältniß war kein anderes, als das einer relativ freien,
in ihren Gesetzen, Rechten und Gewohnheiten anerkannten Volks-
thümlichkeit, die fortan ihre Einheit in jenem Königthume fand,
und die frühere souveräne Freiheit einzelner Staaten, wie sie sich
bis zur unseligsten Zersplitterung geltend gemacht hatte, unter der
allgemeinen Souveränität eines Königthums zu städtischen Frei-
heiten umbildete.

Es liegt außer dem Bereich dieser Darstellung, zu bezeichnen,
wie weit sich diese Umgestaltung des Hellenischen Lebens, der

Geld- und Waffensendungen von Athen aus (l. c.), die derselbe
Diodor XVII. 111. schon einmal erwähnt hat. Dasselbe würde
sich auch von selbst verstehen, wenn man die Folgen des Harpali-
schen Prozesses bedenkt; Demades leitete den Staat, Hyperides, zu
aller Zeit schwankend und ohne politischen Muth, war seit Jahr
und Tag dem Demosthenes und seiner Parthei entfremdet, Phocion
war selbst nach Alexanders Tode gegen den Krieg; wer also hätte
jene Verhandlungen beantragen und leiten sollen, wer unter den
Augen des Demades und bei der besorglichen Stimmung der Athe-
ner, wie sie der große Prozeß offenbarte, solchen Vorschlag beim
Volke oder im Rathe zu machen gewagt, zumal da die wohlhabende
Klasse in Athen (die ktematikoi bei Diodor l. c.) auch späterhin
dem Kriege entschieden abgeneigt war?

So offenbarte ſich in der Haltungsloſigkeit und Beſorglichkeit
der Atheniſchen Demokratie auf das Unzweideutigſte ihre Unfaͤhig-
keit, der unendlich uͤberlegenen Macht Alexanders gegenuͤber, auch
nur den aͤußeren Schein einer Selbſtſtaͤndigkeit zu behaupten, die
nicht mehr im Sinne der Zeit war; mit Athen war die Demo-
kratie, wie ſie bisher im Leben der Helleniſchen Voͤlker vorge-
herrſcht hette, moraliſch vernichtet; und wenn jetzt Athen ſich dem
hoͤheren monarchiſchen Einfluß, wie ihn das neue Helleniſtiſche
Koͤnigthum geltend machte, zu fuͤgen beginnen mußte, ſo war der
letzte Anhalt, den die alt demokratiſche Parthei in Griechenland
bisher noch gehabt hatte, zerſtoͤrt, und die letzte politiſche Schwie-
rigkeit, die den Tendenzen der neuen Zeit noch im Wege ſtand, hin-
weggeraͤumt; fortan mußte ſich Griechenland in aͤhnlicher Weiſe,
wie die Laͤnder Aſiens, zum Koͤnigthum Alexanders verhalten.
Dieſes Verhaͤltniß war kein anderes, als das einer relativ freien,
in ihren Geſetzen, Rechten und Gewohnheiten anerkannten Volks-
thuͤmlichkeit, die fortan ihre Einheit in jenem Koͤnigthume fand,
und die fruͤhere ſouveraͤne Freiheit einzelner Staaten, wie ſie ſich
bis zur unſeligſten Zerſplitterung geltend gemacht hatte, unter der
allgemeinen Souveraͤnitaͤt eines Koͤnigthums zu ſtaͤdtiſchen Frei-
heiten umbildete.

Es liegt außer dem Bereich dieſer Darſtellung, zu bezeichnen,
wie weit ſich dieſe Umgeſtaltung des Helleniſchen Lebens, der

Geld- und Waffenſendungen von Athen aus (l. c.), die derſelbe
Diodor XVII. 111. ſchon einmal erwaͤhnt hat. Daſſelbe wuͤrde
ſich auch von ſelbſt verſtehen, wenn man die Folgen des Harpali-
ſchen Prozeſſes bedenkt; Demades leitete den Staat, Hyperides, zu
aller Zeit ſchwankend und ohne politiſchen Muth, war ſeit Jahr
und Tag dem Demoſthenes und ſeiner Parthei entfremdet, Phocion
war ſelbſt nach Alexanders Tode gegen den Krieg; wer alſo haͤtte
jene Verhandlungen beantragen und leiten ſollen, wer unter den
Augen des Demades und bei der beſorglichen Stimmung der Athe-
ner, wie ſie der große Prozeß offenbarte, ſolchen Vorſchlag beim
Volke oder im Rathe zu machen gewagt, zumal da die wohlhabende
Klaſſe in Athen (die κτηματικοὶ bei Diodor l. c.) auch ſpaͤterhin
dem Kriege entſchieden abgeneigt war?
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[537/0551] So offenbarte ſich in der Haltungsloſigkeit und Beſorglichkeit der Atheniſchen Demokratie auf das Unzweideutigſte ihre Unfaͤhig- keit, der unendlich uͤberlegenen Macht Alexanders gegenuͤber, auch nur den aͤußeren Schein einer Selbſtſtaͤndigkeit zu behaupten, die nicht mehr im Sinne der Zeit war; mit Athen war die Demo- kratie, wie ſie bisher im Leben der Helleniſchen Voͤlker vorge- herrſcht hette, moraliſch vernichtet; und wenn jetzt Athen ſich dem hoͤheren monarchiſchen Einfluß, wie ihn das neue Helleniſtiſche Koͤnigthum geltend machte, zu fuͤgen beginnen mußte, ſo war der letzte Anhalt, den die alt demokratiſche Parthei in Griechenland bisher noch gehabt hatte, zerſtoͤrt, und die letzte politiſche Schwie- rigkeit, die den Tendenzen der neuen Zeit noch im Wege ſtand, hin- weggeraͤumt; fortan mußte ſich Griechenland in aͤhnlicher Weiſe, wie die Laͤnder Aſiens, zum Koͤnigthum Alexanders verhalten. Dieſes Verhaͤltniß war kein anderes, als das einer relativ freien, in ihren Geſetzen, Rechten und Gewohnheiten anerkannten Volks- thuͤmlichkeit, die fortan ihre Einheit in jenem Koͤnigthume fand, und die fruͤhere ſouveraͤne Freiheit einzelner Staaten, wie ſie ſich bis zur unſeligſten Zerſplitterung geltend gemacht hatte, unter der allgemeinen Souveraͤnitaͤt eines Koͤnigthums zu ſtaͤdtiſchen Frei- heiten umbildete. Es liegt außer dem Bereich dieſer Darſtellung, zu bezeichnen, wie weit ſich dieſe Umgeſtaltung des Helleniſchen Lebens, der 89) 89) Geld- und Waffenſendungen von Athen aus (l. c.), die derſelbe Diodor XVII. 111. ſchon einmal erwaͤhnt hat. Daſſelbe wuͤrde ſich auch von ſelbſt verſtehen, wenn man die Folgen des Harpali- ſchen Prozeſſes bedenkt; Demades leitete den Staat, Hyperides, zu aller Zeit ſchwankend und ohne politiſchen Muth, war ſeit Jahr und Tag dem Demoſthenes und ſeiner Parthei entfremdet, Phocion war ſelbſt nach Alexanders Tode gegen den Krieg; wer alſo haͤtte jene Verhandlungen beantragen und leiten ſollen, wer unter den Augen des Demades und bei der beſorglichen Stimmung der Athe- ner, wie ſie der große Prozeß offenbarte, ſolchen Vorſchlag beim Volke oder im Rathe zu machen gewagt, zumal da die wohlhabende Klaſſe in Athen (die κτηματικοὶ bei Diodor l. c.) auch ſpaͤterhin dem Kriege entſchieden abgeneigt war?

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/551>, abgerufen am 22.11.2024.