Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

willig würde aufgenommen werden; wenigstens hatte er in die
Seeprovinzen den Befehl gesandt, die Flotte bereit zu halten, um
nöthigenfalls Attika unverzüglich überfallen zu können; und in dem
Lager Alexanders war damals viel die Rede von einem Kriege
gegen Athen, auf den sich die Macedonier in Folge der alten
Feindschaft gar sehr freuten 80). In der That hatten die Athe-
ner, wenn sie sich ernstlich der Zurückführung der Verbannten
zu widersetzen und ihre Souveränität gegen Alexander aufrecht
zu erhalten beabsichtigten, bei der Ankunft des Harpalus die treff-
lichste Gelegenheit, sich für jeden Fall mit Geld und Söld-
nern zu versehen; sie hätten in der rücksichtslosen Aufnahme des
Harpalus einen Beweis ihrer Unabhängigkeit geben und in seinen
Schätzen, in seinen sechstausend Söldnern Mittel, sie zu verthei-
digen, haben können. Sie zogen es vor, halbe Maaßregeln zu er-
greifen, die, weit entfernt einen sicheren und ehrenvollen Ausweg zu
bieten, dem Macedonischen Einfluß in Athen einen neuen Sieg
bereiten sollten. Demosthenes begriff so wenig die entscheidende
Bedeutung dieser politischen Alternative, daß er, wenigstens vor
jener Nacht mit dem Becher, gegen das Interesse der gefährdeten
Selbstständigkeit Athens sprach. Statt des bedeutenden Nutzens,
den die Geschichte des Harpalus für den Staat haben konnte,
wurde sie zum Skandal, und die Rivalität der Demagogen kam
hinzu, sie auf das Ausgedehnteste zum Macedonischen Vortheil zu
verwenden.

Es war allgemein bekannt, daß des Harpalus Gold bei mehr
als Einem der Volksführer Eingang gefunden; das Volk war in
Besorgniß vor Antipater, vor Alexander; man begann die Annah-
me jener Geschenke als öffentlichen Verrath zu betrachten, man
fürchtete, daß der König in Kurzem die Gelder und strenge Re-
chenschaft fordern würde. Harpalus hatte siebenhundert und funfzig
Talente mit in das Land gebracht, und nicht viel über dreihundert
fanden sich auf der Burg; zugleich erfuhr man, daß des Harpalus
vertrauter Sklave in Philoxenus Gewalt sei, und bald liefen von

80) Curtius X. 2. 2., Justin. XIII. 5. s. den Heroldsruf des
Gorgus bei Athen. XII. p. 537

willig wuͤrde aufgenommen werden; wenigſtens hatte er in die
Seeprovinzen den Befehl geſandt, die Flotte bereit zu halten, um
noͤthigenfalls Attika unverzuͤglich uͤberfallen zu koͤnnen; und in dem
Lager Alexanders war damals viel die Rede von einem Kriege
gegen Athen, auf den ſich die Macedonier in Folge der alten
Feindſchaft gar ſehr freuten 80). In der That hatten die Athe-
ner, wenn ſie ſich ernſtlich der Zuruͤckfuͤhrung der Verbannten
zu widerſetzen und ihre Souveraͤnitaͤt gegen Alexander aufrecht
zu erhalten beabſichtigten, bei der Ankunft des Harpalus die treff-
lichſte Gelegenheit, ſich fuͤr jeden Fall mit Geld und Soͤld-
nern zu verſehen; ſie haͤtten in der ruͤckſichtsloſen Aufnahme des
Harpalus einen Beweis ihrer Unabhaͤngigkeit geben und in ſeinen
Schaͤtzen, in ſeinen ſechstauſend Soͤldnern Mittel, ſie zu verthei-
digen, haben koͤnnen. Sie zogen es vor, halbe Maaßregeln zu er-
greifen, die, weit entfernt einen ſicheren und ehrenvollen Ausweg zu
bieten, dem Macedoniſchen Einfluß in Athen einen neuen Sieg
bereiten ſollten. Demoſthenes begriff ſo wenig die entſcheidende
Bedeutung dieſer politiſchen Alternative, daß er, wenigſtens vor
jener Nacht mit dem Becher, gegen das Intereſſe der gefaͤhrdeten
Selbſtſtaͤndigkeit Athens ſprach. Statt des bedeutenden Nutzens,
den die Geſchichte des Harpalus fuͤr den Staat haben konnte,
wurde ſie zum Skandal, und die Rivalitaͤt der Demagogen kam
hinzu, ſie auf das Ausgedehnteſte zum Macedoniſchen Vortheil zu
verwenden.

Es war allgemein bekannt, daß des Harpalus Gold bei mehr
als Einem der Volksfuͤhrer Eingang gefunden; das Volk war in
Beſorgniß vor Antipater, vor Alexander; man begann die Annah-
me jener Geſchenke als oͤffentlichen Verrath zu betrachten, man
fuͤrchtete, daß der Koͤnig in Kurzem die Gelder und ſtrenge Re-
chenſchaft fordern wuͤrde. Harpalus hatte ſiebenhundert und funfzig
Talente mit in das Land gebracht, und nicht viel uͤber dreihundert
fanden ſich auf der Burg; zugleich erfuhr man, daß des Harpalus
vertrauter Sklave in Philoxenus Gewalt ſei, und bald liefen von

80) Curtius X. 2. 2., Justin. XIII. 5. ſ. den Heroldsruf des
Gorgus bei Athen. XII. p. 537
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0546" n="532"/>
willig wu&#x0364;rde aufgenommen werden; wenig&#x017F;tens hatte er in die<lb/>
Seeprovinzen den Befehl ge&#x017F;andt, die Flotte bereit zu halten, um<lb/>
no&#x0364;thigenfalls Attika unverzu&#x0364;glich u&#x0364;berfallen zu ko&#x0364;nnen; und in dem<lb/>
Lager Alexanders war damals viel die Rede von einem Kriege<lb/>
gegen Athen, auf den &#x017F;ich die Macedonier in Folge der alten<lb/>
Feind&#x017F;chaft gar &#x017F;ehr freuten <note place="foot" n="80)"><hi rendition="#aq">Curtius X. 2. 2., Justin. XIII.</hi> 5. &#x017F;. den Heroldsruf des<lb/>
Gorgus bei <hi rendition="#aq">Athen. XII. p.</hi> 537</note>. In der That hatten die Athe-<lb/>
ner, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich ern&#x017F;tlich der Zuru&#x0364;ckfu&#x0364;hrung der Verbannten<lb/>
zu wider&#x017F;etzen und ihre Souvera&#x0364;nita&#x0364;t gegen Alexander aufrecht<lb/>
zu erhalten beab&#x017F;ichtigten, bei der Ankunft des Harpalus die treff-<lb/>
lich&#x017F;te Gelegenheit, &#x017F;ich fu&#x0364;r jeden Fall mit Geld und So&#x0364;ld-<lb/>
nern zu ver&#x017F;ehen; &#x017F;ie ha&#x0364;tten in der ru&#x0364;ck&#x017F;ichtslo&#x017F;en Aufnahme des<lb/>
Harpalus einen Beweis ihrer Unabha&#x0364;ngigkeit geben und in &#x017F;einen<lb/>
Scha&#x0364;tzen, in &#x017F;einen &#x017F;echstau&#x017F;end So&#x0364;ldnern Mittel, &#x017F;ie zu verthei-<lb/>
digen, haben ko&#x0364;nnen. Sie zogen es vor, halbe Maaßregeln zu er-<lb/>
greifen, die, weit entfernt einen &#x017F;icheren und ehrenvollen Ausweg zu<lb/>
bieten, dem Macedoni&#x017F;chen Einfluß in Athen einen neuen Sieg<lb/>
bereiten &#x017F;ollten. Demo&#x017F;thenes begriff &#x017F;o wenig die ent&#x017F;cheidende<lb/>
Bedeutung die&#x017F;er politi&#x017F;chen Alternative, daß er, wenig&#x017F;tens vor<lb/>
jener Nacht mit dem Becher, gegen das Intere&#x017F;&#x017F;e der gefa&#x0364;hrdeten<lb/>
Selb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit Athens &#x017F;prach. Statt des bedeutenden Nutzens,<lb/>
den die Ge&#x017F;chichte des Harpalus fu&#x0364;r den Staat haben konnte,<lb/>
wurde &#x017F;ie zum Skandal, und die Rivalita&#x0364;t der Demagogen kam<lb/>
hinzu, &#x017F;ie auf das Ausgedehnte&#x017F;te zum Macedoni&#x017F;chen Vortheil zu<lb/>
verwenden.</p><lb/>
          <p>Es war allgemein bekannt, daß des Harpalus Gold bei mehr<lb/>
als Einem der Volksfu&#x0364;hrer Eingang gefunden; das Volk war in<lb/>
Be&#x017F;orgniß vor Antipater, vor Alexander; man begann die Annah-<lb/>
me jener Ge&#x017F;chenke als o&#x0364;ffentlichen Verrath zu betrachten, man<lb/>
fu&#x0364;rchtete, daß der Ko&#x0364;nig in Kurzem die Gelder und &#x017F;trenge Re-<lb/>
chen&#x017F;chaft fordern wu&#x0364;rde. Harpalus hatte &#x017F;iebenhundert und funfzig<lb/>
Talente mit in das Land gebracht, und nicht viel u&#x0364;ber dreihundert<lb/>
fanden &#x017F;ich auf der Burg; zugleich erfuhr man, daß des Harpalus<lb/>
vertrauter Sklave in Philoxenus Gewalt &#x017F;ei, und bald liefen von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[532/0546] willig wuͤrde aufgenommen werden; wenigſtens hatte er in die Seeprovinzen den Befehl geſandt, die Flotte bereit zu halten, um noͤthigenfalls Attika unverzuͤglich uͤberfallen zu koͤnnen; und in dem Lager Alexanders war damals viel die Rede von einem Kriege gegen Athen, auf den ſich die Macedonier in Folge der alten Feindſchaft gar ſehr freuten 80). In der That hatten die Athe- ner, wenn ſie ſich ernſtlich der Zuruͤckfuͤhrung der Verbannten zu widerſetzen und ihre Souveraͤnitaͤt gegen Alexander aufrecht zu erhalten beabſichtigten, bei der Ankunft des Harpalus die treff- lichſte Gelegenheit, ſich fuͤr jeden Fall mit Geld und Soͤld- nern zu verſehen; ſie haͤtten in der ruͤckſichtsloſen Aufnahme des Harpalus einen Beweis ihrer Unabhaͤngigkeit geben und in ſeinen Schaͤtzen, in ſeinen ſechstauſend Soͤldnern Mittel, ſie zu verthei- digen, haben koͤnnen. Sie zogen es vor, halbe Maaßregeln zu er- greifen, die, weit entfernt einen ſicheren und ehrenvollen Ausweg zu bieten, dem Macedoniſchen Einfluß in Athen einen neuen Sieg bereiten ſollten. Demoſthenes begriff ſo wenig die entſcheidende Bedeutung dieſer politiſchen Alternative, daß er, wenigſtens vor jener Nacht mit dem Becher, gegen das Intereſſe der gefaͤhrdeten Selbſtſtaͤndigkeit Athens ſprach. Statt des bedeutenden Nutzens, den die Geſchichte des Harpalus fuͤr den Staat haben konnte, wurde ſie zum Skandal, und die Rivalitaͤt der Demagogen kam hinzu, ſie auf das Ausgedehnteſte zum Macedoniſchen Vortheil zu verwenden. Es war allgemein bekannt, daß des Harpalus Gold bei mehr als Einem der Volksfuͤhrer Eingang gefunden; das Volk war in Beſorgniß vor Antipater, vor Alexander; man begann die Annah- me jener Geſchenke als oͤffentlichen Verrath zu betrachten, man fuͤrchtete, daß der Koͤnig in Kurzem die Gelder und ſtrenge Re- chenſchaft fordern wuͤrde. Harpalus hatte ſiebenhundert und funfzig Talente mit in das Land gebracht, und nicht viel uͤber dreihundert fanden ſich auf der Burg; zugleich erfuhr man, daß des Harpalus vertrauter Sklave in Philoxenus Gewalt ſei, und bald liefen von 80) Curtius X. 2. 2., Justin. XIII. 5. ſ. den Heroldsruf des Gorgus bei Athen. XII. p. 537

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/546
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/546>, abgerufen am 04.05.2024.