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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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sischen Königthums, des wiedererstandenen, die Völker zum Abfall
zu reizen. Und als nun gar nach der jahrelangen Abwesenheit des
Königs, nach dem immer wilderen Umsichgreifen der Unordnung
und der Usurpation, die Gerüchte von dem Untergange des Hee-
res in der Gedrosischen Wüste sich bis ins Unendliche vergrößert
verbreiteten, da mochte die Bewegung an allen Orten und in allen
Gemüthern einen Grad erreichen, der einen vollkommenen Sturz
alles Bestehenden befürchten ließ.

Das waren die Verhältnisse, unter denen Alexander mit den
Ueberresten seines Heeres in die Westprovinzen zurückkehrte; es
stand Alles auf dem Spiele; ein Zeichen von Besorgniß oder
Schwäche, und das Reich stürzte über seinen Gründer in Trüm-
mern; nur die kühnste Entschlossenheit, die ernsteste Kraft des
Willens und der That konnte den König und sein Reich retten;
Gnade und Langmuth wäre Geständniß der Ohnmacht gewesen,
und hätte die Völker, die auch jetzt noch in treuer Ergebenheit
dem Könige anhingen, um ihre letzte Hoffnung gebracht; es be-
durfte der strengsten und schonungslosesten Gerechtigkeit, um den
unter dem Druck der Satrapen und Strategen schmachtenden
Völkern Genugthuung zu geben und das Vertrauen zu der Macht
des großen Königs zu bewahren; es bedurfte eines schnellen und
niederschmetternden Gerichtes, um der Majestät des Königthums
ihren vollen Glanz wieder zu geben und die Schrecken ihres Zor-
nes in alle Ferne zu verbreiten. Und in Wahrheit, Alexander
mochte, seitdem er dem Lande seiner Hoffnung den Rücken ge-
wandt, seitdem sich am Hyphasis und in der Wüste die Sonne
seines Glücks tief und tiefer geneigt, seitdem er den furchtbaren
Wechsel menschlicher Dinge in dem Hinsterben seiner Tausende er-
fahren, in jener Stimmung der Bitterkeit und Menschenverach-
tung sein, deren der zürnende Despot bedurfte; vorüber war die
Zeit des Strebens und Erkämpfens, der Enthusiasmus der Ju-
gend und der Hoffnungen war erkaltet, und zu oft getäuscht be-
gann sein Vertrauen dem Argwohn zu weichen; eine Welt hatte
er umgestaltet, er begann zu fühlen, daß er sich mit ihr verwan-
delt habe; es galt jetzt die Zügel der umumschränkten Gewalt fest
zu ergreifen und zu halten, es galt jetzt schnelles Gericht, neuen
Gehorsam, strenges Regiment.

ſiſchen Koͤnigthums, des wiedererſtandenen, die Voͤlker zum Abfall
zu reizen. Und als nun gar nach der jahrelangen Abweſenheit des
Koͤnigs, nach dem immer wilderen Umſichgreifen der Unordnung
und der Uſurpation, die Geruͤchte von dem Untergange des Hee-
res in der Gedroſiſchen Wuͤſte ſich bis ins Unendliche vergroͤßert
verbreiteten, da mochte die Bewegung an allen Orten und in allen
Gemuͤthern einen Grad erreichen, der einen vollkommenen Sturz
alles Beſtehenden befuͤrchten ließ.

Das waren die Verhaͤltniſſe, unter denen Alexander mit den
Ueberreſten ſeines Heeres in die Weſtprovinzen zuruͤckkehrte; es
ſtand Alles auf dem Spiele; ein Zeichen von Beſorgniß oder
Schwaͤche, und das Reich ſtuͤrzte uͤber ſeinen Gruͤnder in Truͤm-
mern; nur die kuͤhnſte Entſchloſſenheit, die ernſteſte Kraft des
Willens und der That konnte den Koͤnig und ſein Reich retten;
Gnade und Langmuth waͤre Geſtaͤndniß der Ohnmacht geweſen,
und haͤtte die Voͤlker, die auch jetzt noch in treuer Ergebenheit
dem Koͤnige anhingen, um ihre letzte Hoffnung gebracht; es be-
durfte der ſtrengſten und ſchonungsloſeſten Gerechtigkeit, um den
unter dem Druck der Satrapen und Strategen ſchmachtenden
Voͤlkern Genugthuung zu geben und das Vertrauen zu der Macht
des großen Koͤnigs zu bewahren; es bedurfte eines ſchnellen und
niederſchmetternden Gerichtes, um der Majeſtaͤt des Koͤnigthums
ihren vollen Glanz wieder zu geben und die Schrecken ihres Zor-
nes in alle Ferne zu verbreiten. Und in Wahrheit, Alexander
mochte, ſeitdem er dem Lande ſeiner Hoffnung den Ruͤcken ge-
wandt, ſeitdem ſich am Hyphaſis und in der Wuͤſte die Sonne
ſeines Gluͤcks tief und tiefer geneigt, ſeitdem er den furchtbaren
Wechſel menſchlicher Dinge in dem Hinſterben ſeiner Tauſende er-
fahren, in jener Stimmung der Bitterkeit und Menſchenverach-
tung ſein, deren der zuͤrnende Despot bedurfte; voruͤber war die
Zeit des Strebens und Erkaͤmpfens, der Enthuſiasmus der Ju-
gend und der Hoffnungen war erkaltet, und zu oft getaͤuſcht be-
gann ſein Vertrauen dem Argwohn zu weichen; eine Welt hatte
er umgeſtaltet, er begann zu fuͤhlen, daß er ſich mit ihr verwan-
delt habe; es galt jetzt die Zuͤgel der umumſchraͤnkten Gewalt feſt
zu ergreifen und zu halten, es galt jetzt ſchnelles Gericht, neuen
Gehorſam, ſtrenges Regiment.

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[486/0500] ſiſchen Koͤnigthums, des wiedererſtandenen, die Voͤlker zum Abfall zu reizen. Und als nun gar nach der jahrelangen Abweſenheit des Koͤnigs, nach dem immer wilderen Umſichgreifen der Unordnung und der Uſurpation, die Geruͤchte von dem Untergange des Hee- res in der Gedroſiſchen Wuͤſte ſich bis ins Unendliche vergroͤßert verbreiteten, da mochte die Bewegung an allen Orten und in allen Gemuͤthern einen Grad erreichen, der einen vollkommenen Sturz alles Beſtehenden befuͤrchten ließ. Das waren die Verhaͤltniſſe, unter denen Alexander mit den Ueberreſten ſeines Heeres in die Weſtprovinzen zuruͤckkehrte; es ſtand Alles auf dem Spiele; ein Zeichen von Beſorgniß oder Schwaͤche, und das Reich ſtuͤrzte uͤber ſeinen Gruͤnder in Truͤm- mern; nur die kuͤhnſte Entſchloſſenheit, die ernſteſte Kraft des Willens und der That konnte den Koͤnig und ſein Reich retten; Gnade und Langmuth waͤre Geſtaͤndniß der Ohnmacht geweſen, und haͤtte die Voͤlker, die auch jetzt noch in treuer Ergebenheit dem Koͤnige anhingen, um ihre letzte Hoffnung gebracht; es be- durfte der ſtrengſten und ſchonungsloſeſten Gerechtigkeit, um den unter dem Druck der Satrapen und Strategen ſchmachtenden Voͤlkern Genugthuung zu geben und das Vertrauen zu der Macht des großen Koͤnigs zu bewahren; es bedurfte eines ſchnellen und niederſchmetternden Gerichtes, um der Majeſtaͤt des Koͤnigthums ihren vollen Glanz wieder zu geben und die Schrecken ihres Zor- nes in alle Ferne zu verbreiten. Und in Wahrheit, Alexander mochte, ſeitdem er dem Lande ſeiner Hoffnung den Ruͤcken ge- wandt, ſeitdem ſich am Hyphaſis und in der Wuͤſte die Sonne ſeines Gluͤcks tief und tiefer geneigt, ſeitdem er den furchtbaren Wechſel menſchlicher Dinge in dem Hinſterben ſeiner Tauſende er- fahren, in jener Stimmung der Bitterkeit und Menſchenverach- tung ſein, deren der zuͤrnende Despot bedurfte; voruͤber war die Zeit des Strebens und Erkaͤmpfens, der Enthuſiasmus der Ju- gend und der Hoffnungen war erkaltet, und zu oft getaͤuſcht be- gann ſein Vertrauen dem Argwohn zu weichen; eine Welt hatte er umgeſtaltet, er begann zu fuͤhlen, daß er ſich mit ihr verwan- delt habe; es galt jetzt die Zuͤgel der umumſchraͤnkten Gewalt feſt zu ergreifen und zu halten, es galt jetzt ſchnelles Gericht, neuen Gehorſam, ſtrenges Regiment.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/500>, abgerufen am 27.04.2024.