Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

Durch diese Wüste, so wird erzählt, kehrte die Königin Semira-
mis aus Indien heim, und von den Hunderttausenden ihres Hee-
res retteten sich mit ihr nicht zwanzig Menschen gen Babylon;
auch Cyrus soll diesen Rückweg genommen und das gleiche Schick-
sal erfahren haben; selbst der Fanatismus des Islam hat nicht
gewagt erobernd in diese Wüste einzudringen; der Kalif verbot sei-
nem Feldherrn Abdallah dieß Land, das der sichtliche Zorn des
Propheten getroffen.

Alexander hat diesen Weg gewählt, nicht um Größeres zu
vollbringen als Cyrus und Semiramis, wie das Alterthum, noch
um die Verluste der Indischen Heerfahrt durch größere Verluste
vergessen zu machen, wie der Unverstand neuerer Geschichtsschrei-
ber geglaubt hat. Er mußte diesen Weg wählen; es durften
nicht zwischen den Satrapien des Indus und des Persischen Mee-
res herrenlose Länderstrecken oder ununterworfene Völkerstämme
den Zusammenhang der Occupation stören, sie durften es um so
weniger, da die Klippenzüge am Saum der Einöde räuberischen
Horden und rebellischen Satrapen ein stetes Asyl geboten hätten.
Noch wichtiger war die Rücksicht auf die Flotte, welche längs der
wüsten Küste dahin fahren und den Seeweg zwischen Indien und
Persien öffnen sollte; sie konnte nicht auf Monate lang verpro-
viantirt und mit Wasser versehen werden; um beides einzunehmen
mußte sie von Zeit zu Zeit an die Küste gehen, von der sie sich
bei der Natur der damaligen Nautik überhaupt nicht entfernen
durfte. Sollte diese Expedition irgend glücken und ihr Zweck,
die Fahrt vom Euphrat zum Indus zu öffnen, erreicht werden,
so war es vor Allem nothwendig, die Küste zugänglich zu machen,
Wasserbrunnen zu graben, Vorräthe zu beschaffen, Widerstand von
Seiten der Einwohner zu hindern, die Bevölkerung namentlich
der reicheren Distrikte mit in den Verband des Reiches hinein zu
ziehen. Dieß waren die Gründe, die den König Alexander veran-
laßten, durch Gedrosien zurück zu kehren, obschon ihm die Natur
jener Landesstrecke nicht unbekannt sein konnte; er durfte den gro-
ßen Plan nicht um der Gefahren Willen, die ihm nothwendig
folgten, Preis geben, er durfte die Opfer nicht scheuen, die ihm
das Unternehmen kosten sollte, er durfte die Stimme der Mensch-
lichkeit und Besorgniß nicht achten, wo es galt, wesentliche Zwecke

Durch dieſe Wuͤſte, ſo wird erzaͤhlt, kehrte die Koͤnigin Semira-
mis aus Indien heim, und von den Hunderttauſenden ihres Hee-
res retteten ſich mit ihr nicht zwanzig Menſchen gen Babylon;
auch Cyrus ſoll dieſen Ruͤckweg genommen und das gleiche Schick-
ſal erfahren haben; ſelbſt der Fanatismus des Islam hat nicht
gewagt erobernd in dieſe Wuͤſte einzudringen; der Kalif verbot ſei-
nem Feldherrn Abdallah dieß Land, das der ſichtliche Zorn des
Propheten getroffen.

Alexander hat dieſen Weg gewaͤhlt, nicht um Groͤßeres zu
vollbringen als Cyrus und Semiramis, wie das Alterthum, noch
um die Verluſte der Indiſchen Heerfahrt durch groͤßere Verluſte
vergeſſen zu machen, wie der Unverſtand neuerer Geſchichtsſchrei-
ber geglaubt hat. Er mußte dieſen Weg waͤhlen; es durften
nicht zwiſchen den Satrapien des Indus und des Perſiſchen Mee-
res herrenloſe Laͤnderſtrecken oder ununterworfene Voͤlkerſtaͤmme
den Zuſammenhang der Occupation ſtoͤren, ſie durften es um ſo
weniger, da die Klippenzuͤge am Saum der Einoͤde raͤuberiſchen
Horden und rebelliſchen Satrapen ein ſtetes Aſyl geboten haͤtten.
Noch wichtiger war die Ruͤckſicht auf die Flotte, welche laͤngs der
wuͤſten Kuͤſte dahin fahren und den Seeweg zwiſchen Indien und
Perſien oͤffnen ſollte; ſie konnte nicht auf Monate lang verpro-
viantirt und mit Waſſer verſehen werden; um beides einzunehmen
mußte ſie von Zeit zu Zeit an die Kuͤſte gehen, von der ſie ſich
bei der Natur der damaligen Nautik uͤberhaupt nicht entfernen
durfte. Sollte dieſe Expedition irgend gluͤcken und ihr Zweck,
die Fahrt vom Euphrat zum Indus zu oͤffnen, erreicht werden,
ſo war es vor Allem nothwendig, die Kuͤſte zugaͤnglich zu machen,
Waſſerbrunnen zu graben, Vorraͤthe zu beſchaffen, Widerſtand von
Seiten der Einwohner zu hindern, die Bevoͤlkerung namentlich
der reicheren Diſtrikte mit in den Verband des Reiches hinein zu
ziehen. Dieß waren die Gruͤnde, die den Koͤnig Alexander veran-
laßten, durch Gedroſien zuruͤck zu kehren, obſchon ihm die Natur
jener Landesſtrecke nicht unbekannt ſein konnte; er durfte den gro-
ßen Plan nicht um der Gefahren Willen, die ihm nothwendig
folgten, Preis geben, er durfte die Opfer nicht ſcheuen, die ihm
das Unternehmen koſten ſollte, er durfte die Stimme der Menſch-
lichkeit und Beſorgniß nicht achten, wo es galt, weſentliche Zwecke

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0482" n="468"/>
Durch die&#x017F;e Wu&#x0364;&#x017F;te, &#x017F;o wird erza&#x0364;hlt, kehrte die Ko&#x0364;nigin Semira-<lb/>
mis aus Indien heim, und von den Hunderttau&#x017F;enden ihres Hee-<lb/>
res retteten &#x017F;ich mit ihr nicht zwanzig Men&#x017F;chen gen Babylon;<lb/>
auch Cyrus &#x017F;oll die&#x017F;en Ru&#x0364;ckweg genommen und das gleiche Schick-<lb/>
&#x017F;al erfahren haben; &#x017F;elb&#x017F;t der Fanatismus des Islam hat nicht<lb/>
gewagt erobernd in die&#x017F;e Wu&#x0364;&#x017F;te einzudringen; der Kalif verbot &#x017F;ei-<lb/>
nem Feldherrn Abdallah dieß Land, das der &#x017F;ichtliche Zorn des<lb/>
Propheten getroffen.</p><lb/>
          <p>Alexander hat die&#x017F;en Weg gewa&#x0364;hlt, nicht um Gro&#x0364;ßeres zu<lb/>
vollbringen als Cyrus und Semiramis, wie das Alterthum, noch<lb/>
um die Verlu&#x017F;te der Indi&#x017F;chen Heerfahrt durch gro&#x0364;ßere Verlu&#x017F;te<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en zu machen, wie der Unver&#x017F;tand neuerer Ge&#x017F;chichts&#x017F;chrei-<lb/>
ber geglaubt hat. Er mußte die&#x017F;en Weg wa&#x0364;hlen; es durften<lb/>
nicht zwi&#x017F;chen den Satrapien des Indus und des Per&#x017F;i&#x017F;chen Mee-<lb/>
res herrenlo&#x017F;e La&#x0364;nder&#x017F;trecken oder ununterworfene Vo&#x0364;lker&#x017F;ta&#x0364;mme<lb/>
den Zu&#x017F;ammenhang der Occupation &#x017F;to&#x0364;ren, &#x017F;ie durften es um &#x017F;o<lb/>
weniger, da die Klippenzu&#x0364;ge am Saum der Eino&#x0364;de ra&#x0364;uberi&#x017F;chen<lb/>
Horden und rebelli&#x017F;chen Satrapen ein &#x017F;tetes A&#x017F;yl geboten ha&#x0364;tten.<lb/>
Noch wichtiger war die Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf die Flotte, welche la&#x0364;ngs der<lb/>
wu&#x0364;&#x017F;ten Ku&#x0364;&#x017F;te dahin fahren und den Seeweg zwi&#x017F;chen Indien und<lb/>
Per&#x017F;ien o&#x0364;ffnen &#x017F;ollte; &#x017F;ie konnte nicht auf Monate lang verpro-<lb/>
viantirt und mit Wa&#x017F;&#x017F;er ver&#x017F;ehen werden; um beides einzunehmen<lb/>
mußte &#x017F;ie von Zeit zu Zeit an die Ku&#x0364;&#x017F;te gehen, von der &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
bei der Natur der damaligen Nautik u&#x0364;berhaupt nicht entfernen<lb/>
durfte. Sollte die&#x017F;e Expedition irgend glu&#x0364;cken und ihr Zweck,<lb/>
die Fahrt vom Euphrat zum Indus zu o&#x0364;ffnen, erreicht werden,<lb/>
&#x017F;o war es vor Allem nothwendig, die Ku&#x0364;&#x017F;te zuga&#x0364;nglich zu machen,<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;erbrunnen zu graben, Vorra&#x0364;the zu be&#x017F;chaffen, Wider&#x017F;tand von<lb/>
Seiten der Einwohner zu hindern, die Bevo&#x0364;lkerung namentlich<lb/>
der reicheren Di&#x017F;trikte mit in den Verband des Reiches hinein zu<lb/>
ziehen. Dieß waren die Gru&#x0364;nde, die den Ko&#x0364;nig Alexander veran-<lb/>
laßten, durch Gedro&#x017F;ien zuru&#x0364;ck zu kehren, ob&#x017F;chon ihm die Natur<lb/>
jener Landes&#x017F;trecke nicht unbekannt &#x017F;ein konnte; er durfte den gro-<lb/>
ßen Plan nicht um der Gefahren Willen, die ihm nothwendig<lb/>
folgten, Preis geben, er durfte die Opfer nicht &#x017F;cheuen, die ihm<lb/>
das Unternehmen ko&#x017F;ten &#x017F;ollte, er durfte die Stimme der Men&#x017F;ch-<lb/>
lichkeit und Be&#x017F;orgniß nicht achten, wo es galt, we&#x017F;entliche Zwecke<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0482] Durch dieſe Wuͤſte, ſo wird erzaͤhlt, kehrte die Koͤnigin Semira- mis aus Indien heim, und von den Hunderttauſenden ihres Hee- res retteten ſich mit ihr nicht zwanzig Menſchen gen Babylon; auch Cyrus ſoll dieſen Ruͤckweg genommen und das gleiche Schick- ſal erfahren haben; ſelbſt der Fanatismus des Islam hat nicht gewagt erobernd in dieſe Wuͤſte einzudringen; der Kalif verbot ſei- nem Feldherrn Abdallah dieß Land, das der ſichtliche Zorn des Propheten getroffen. Alexander hat dieſen Weg gewaͤhlt, nicht um Groͤßeres zu vollbringen als Cyrus und Semiramis, wie das Alterthum, noch um die Verluſte der Indiſchen Heerfahrt durch groͤßere Verluſte vergeſſen zu machen, wie der Unverſtand neuerer Geſchichtsſchrei- ber geglaubt hat. Er mußte dieſen Weg waͤhlen; es durften nicht zwiſchen den Satrapien des Indus und des Perſiſchen Mee- res herrenloſe Laͤnderſtrecken oder ununterworfene Voͤlkerſtaͤmme den Zuſammenhang der Occupation ſtoͤren, ſie durften es um ſo weniger, da die Klippenzuͤge am Saum der Einoͤde raͤuberiſchen Horden und rebelliſchen Satrapen ein ſtetes Aſyl geboten haͤtten. Noch wichtiger war die Ruͤckſicht auf die Flotte, welche laͤngs der wuͤſten Kuͤſte dahin fahren und den Seeweg zwiſchen Indien und Perſien oͤffnen ſollte; ſie konnte nicht auf Monate lang verpro- viantirt und mit Waſſer verſehen werden; um beides einzunehmen mußte ſie von Zeit zu Zeit an die Kuͤſte gehen, von der ſie ſich bei der Natur der damaligen Nautik uͤberhaupt nicht entfernen durfte. Sollte dieſe Expedition irgend gluͤcken und ihr Zweck, die Fahrt vom Euphrat zum Indus zu oͤffnen, erreicht werden, ſo war es vor Allem nothwendig, die Kuͤſte zugaͤnglich zu machen, Waſſerbrunnen zu graben, Vorraͤthe zu beſchaffen, Widerſtand von Seiten der Einwohner zu hindern, die Bevoͤlkerung namentlich der reicheren Diſtrikte mit in den Verband des Reiches hinein zu ziehen. Dieß waren die Gruͤnde, die den Koͤnig Alexander veran- laßten, durch Gedroſien zuruͤck zu kehren, obſchon ihm die Natur jener Landesſtrecke nicht unbekannt ſein konnte; er durfte den gro- ßen Plan nicht um der Gefahren Willen, die ihm nothwendig folgten, Preis geben, er durfte die Opfer nicht ſcheuen, die ihm das Unternehmen koſten ſollte, er durfte die Stimme der Menſch- lichkeit und Beſorgniß nicht achten, wo es galt, weſentliche Zwecke

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/482
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/482>, abgerufen am 26.11.2024.