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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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ins Innere; noch öder und furchtbarer ist die Einöde der Küste
und der Weg durch sie hin gen Westen. Wenn man von Indien
aus durch die Pässe des großen Scheidegebirges gestiegen, so öff-
net sich eine tiefe Landschaft, links das Meer, gen Westen und
Norden mächtige Gebirge, in der Tiefe ein Fluß, der zum Ocean
eilt, das letzte strömende Wasser auf diesem Wege; Getraidefelder
am Fuß der Berge, Dörfer und Flecken in der Ebene zerstreut,
die letzten auf einem Wege von Monaten. Gen Norden führen
aus dieser "Ebene" 2) düstere Zickzackpässe in die Bergwüste von
Kelat; gen Westen ziehen die Berge der Oriten bis ans Meer
hinab. Man übersteigt sie und nun beginnen die Schrecken der
furchtbarsten Einöde; die Küste ist flachsandig, glühend heiß, ohne
Gras und Strauch, von den Sandbetten vertrockneter Ströme
durchfurcht, fast unbewohnbar, die elenden Fischerhütten, die ein-
zeln auf Meilen weit an dem Strande zerstreut sind, von Fisch-
gräten und Seetang erbaut, unter einsamen Palmengruppen, die
wenigen Menschen noch elender als ihr Land. Eine Tagereise
landein streichen nackte Klippenzüge, von Gießbächen durchrissen,
die in der Regenzeit plötzlich anschwellen, reißend und brausend
zur Küste stürzen und dort die tiefen Mündungsbetten auswühlen,
sonst das Jahr hindurch trocken liegen, mit Genist, Mimosen
und Tamarisken überwuchert, voll Wölfen, Schakalen und Mü-
ckenschwärmen. Hinter diesen Klippenzügen dehnt sich die Wüste
Gedrosten, mehrere Tagereisen breit, von wenigen wandernden
Stämmen durchirrt, dem Fremdling mehr als furchtbar; Einöde,
Dürre, Wassermangel sind hier die kleinsten Leiden; Tages stechende
Sonne, glühender Staub, der das Auge entzündet und den Athem
erdrückt, Nachts durchfröstelnde Kühle und das Heulen hungriger
Raubthiere, nirgend ein Obdach oder Grasplatz, nirgend Speise
und Trank, nirgend ein sicherer Weg oder ein Ziel des Weges.

2) Der Name der Provinz Lussa hat in der Judgalischen
Sprache diese Bedeutung. Die Pässe oder Lukh's sind gen Nor-
den die Bergstraße (Kohen-wan s. Pottingers Tagebuch, 1. Februar)
gen Osten nach Indien der von Hydrabad und Kurache, gen We-
sten der von Hinglatz, der zum Strande hinab führt, und der von
Bela auf der Straße gen Kedje; s. Pottinger p. 431. Uebersetzung.
30 *

ins Innere; noch oͤder und furchtbarer iſt die Einoͤde der Kuͤſte
und der Weg durch ſie hin gen Weſten. Wenn man von Indien
aus durch die Paͤſſe des großen Scheidegebirges geſtiegen, ſo oͤff-
net ſich eine tiefe Landſchaft, links das Meer, gen Weſten und
Norden maͤchtige Gebirge, in der Tiefe ein Fluß, der zum Ocean
eilt, das letzte ſtroͤmende Waſſer auf dieſem Wege; Getraidefelder
am Fuß der Berge, Doͤrfer und Flecken in der Ebene zerſtreut,
die letzten auf einem Wege von Monaten. Gen Norden fuͤhren
aus dieſer „Ebene“ 2) duͤſtere Zickzackpaͤſſe in die Bergwuͤſte von
Kelat; gen Weſten ziehen die Berge der Oriten bis ans Meer
hinab. Man uͤberſteigt ſie und nun beginnen die Schrecken der
furchtbarſten Einoͤde; die Kuͤſte iſt flachſandig, gluͤhend heiß, ohne
Gras und Strauch, von den Sandbetten vertrockneter Stroͤme
durchfurcht, faſt unbewohnbar, die elenden Fiſcherhuͤtten, die ein-
zeln auf Meilen weit an dem Strande zerſtreut ſind, von Fiſch-
graͤten und Seetang erbaut, unter einſamen Palmengruppen, die
wenigen Menſchen noch elender als ihr Land. Eine Tagereiſe
landein ſtreichen nackte Klippenzuͤge, von Gießbaͤchen durchriſſen,
die in der Regenzeit ploͤtzlich anſchwellen, reißend und brauſend
zur Kuͤſte ſtuͤrzen und dort die tiefen Muͤndungsbetten auswuͤhlen,
ſonſt das Jahr hindurch trocken liegen, mit Geniſt, Mimoſen
und Tamarisken uͤberwuchert, voll Woͤlfen, Schakalen und Muͤ-
ckenſchwaͤrmen. Hinter dieſen Klippenzuͤgen dehnt ſich die Wuͤſte
Gedroſten, mehrere Tagereiſen breit, von wenigen wandernden
Staͤmmen durchirrt, dem Fremdling mehr als furchtbar; Einoͤde,
Duͤrre, Waſſermangel ſind hier die kleinſten Leiden; Tages ſtechende
Sonne, gluͤhender Staub, der das Auge entzuͤndet und den Athem
erdruͤckt, Nachts durchfroͤſtelnde Kuͤhle und das Heulen hungriger
Raubthiere, nirgend ein Obdach oder Grasplatz, nirgend Speiſe
und Trank, nirgend ein ſicherer Weg oder ein Ziel des Weges.

2) Der Name der Provinz Luſſa hat in der Judgaliſchen
Sprache dieſe Bedeutung. Die Paͤſſe oder Lukh’s ſind gen Nor-
den die Bergſtraße (Kohen-wan ſ. Pottingers Tagebuch, 1. Februar)
gen Oſten nach Indien der von Hydrabad und Kurache, gen We-
ſten der von Hinglatz, der zum Strande hinab fuͤhrt, und der von
Bela auf der Straße gen Kedje; ſ. Pottinger p. 431. Ueberſetzung.
30 *
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[467/0481] ins Innere; noch oͤder und furchtbarer iſt die Einoͤde der Kuͤſte und der Weg durch ſie hin gen Weſten. Wenn man von Indien aus durch die Paͤſſe des großen Scheidegebirges geſtiegen, ſo oͤff- net ſich eine tiefe Landſchaft, links das Meer, gen Weſten und Norden maͤchtige Gebirge, in der Tiefe ein Fluß, der zum Ocean eilt, das letzte ſtroͤmende Waſſer auf dieſem Wege; Getraidefelder am Fuß der Berge, Doͤrfer und Flecken in der Ebene zerſtreut, die letzten auf einem Wege von Monaten. Gen Norden fuͤhren aus dieſer „Ebene“ 2) duͤſtere Zickzackpaͤſſe in die Bergwuͤſte von Kelat; gen Weſten ziehen die Berge der Oriten bis ans Meer hinab. Man uͤberſteigt ſie und nun beginnen die Schrecken der furchtbarſten Einoͤde; die Kuͤſte iſt flachſandig, gluͤhend heiß, ohne Gras und Strauch, von den Sandbetten vertrockneter Stroͤme durchfurcht, faſt unbewohnbar, die elenden Fiſcherhuͤtten, die ein- zeln auf Meilen weit an dem Strande zerſtreut ſind, von Fiſch- graͤten und Seetang erbaut, unter einſamen Palmengruppen, die wenigen Menſchen noch elender als ihr Land. Eine Tagereiſe landein ſtreichen nackte Klippenzuͤge, von Gießbaͤchen durchriſſen, die in der Regenzeit ploͤtzlich anſchwellen, reißend und brauſend zur Kuͤſte ſtuͤrzen und dort die tiefen Muͤndungsbetten auswuͤhlen, ſonſt das Jahr hindurch trocken liegen, mit Geniſt, Mimoſen und Tamarisken uͤberwuchert, voll Woͤlfen, Schakalen und Muͤ- ckenſchwaͤrmen. Hinter dieſen Klippenzuͤgen dehnt ſich die Wuͤſte Gedroſten, mehrere Tagereiſen breit, von wenigen wandernden Staͤmmen durchirrt, dem Fremdling mehr als furchtbar; Einoͤde, Duͤrre, Waſſermangel ſind hier die kleinſten Leiden; Tages ſtechende Sonne, gluͤhender Staub, der das Auge entzuͤndet und den Athem erdruͤckt, Nachts durchfroͤſtelnde Kuͤhle und das Heulen hungriger Raubthiere, nirgend ein Obdach oder Grasplatz, nirgend Speiſe und Trank, nirgend ein ſicherer Weg oder ein Ziel des Weges. 2) Der Name der Provinz Luſſa hat in der Judgaliſchen Sprache dieſe Bedeutung. Die Paͤſſe oder Lukh’s ſind gen Nor- den die Bergſtraße (Kohen-wan ſ. Pottingers Tagebuch, 1. Februar) gen Oſten nach Indien der von Hydrabad und Kurache, gen We- ſten der von Hinglatz, der zum Strande hinab fuͤhrt, und der von Bela auf der Straße gen Kedje; ſ. Pottinger p. 431. Ueberſetzung. 30 *

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/481>, abgerufen am 27.04.2024.