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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Wassermangel war um so weniger zu fürchten, da reichlich Schnee
gefallen war, welcher zugleich das Ersteigen der Felsen doppelt ge-
fährlich machte. Als Alexander vor dieser Burg ankam, ließ er
durch Artabazus Sohn Kophenes den Befehlshaber der Burg Ari-
omazes zur Uebergabe auffordern, indem er Allen, die sich in dersel-
ben befanden, freien Abzug versprach; die Barbaren antworteten;
er möge sich geflügelte Soldaten suchen. Alexander war entschlos-
sen, um jeden Preis den Felsen zu erobern; eine Kriegslist mußte
das Unmögliche möglich machen. Er ließ in seinem Lager durch
Heroldsruf verkünden, die Felsenstirn, die über der Burg emporrage,
müsse erstiegen werden; zwölf Preise bis zu zwölf Talenten seien de-
nen, die die Ersten oben wären, bestimmt; für Alle, die an dem küh-
nen Wagniß Theil nähmen, werde es ruhmvoll sein. Dreihundert
Macedonier 67), die das Felsenklettern verstanden, begierig, unter den
Augen des Königs sich auszuzeichnen, traten hervor und empfingen
die näheren Befehle; dann versah sich jeder mit einigen Eisenpflö-
cken, wie sie bei den Zelten gebraucht werden, und mit starken
flächsernen Stricken; sie nahmen Mundvorrath auf zwei Tage und
von den Waffen das Schwert und die Lanze mit. Um Mitter-
nacht naheten sie sich der Stelle des Felsens, die am steilsten und
deshalb unbewacht war; anfangs stiegen sie mühsam, bald began-
nen die jäh abgestürzten Felswände, glatte Eislagen, lose Schnee-
decken, mit jedem Schritt wuchs die Mühe und die Gefahr. Drei-
ßig dieser Kühnen stürzten in den Abgrund, endlich mit Tagesan-
bruch hatten die Anderen den Gipfel erreicht, und ihre Fähnchen
flatterten hell im Frühwinde. Sobald Alexander, der voll ängst-
licher Erwartung über das Schicksal seiner Getreuen unten am
Fuß des Berges stand, das verabredete Zeichen sah, ließ er die

67) Nach der ausdrücklichen Angabe Arrians, der Polyaen. IV.
3. 29. nicht entgegen ist, waren es Macedonier; und daß diese, gym-
nastisch geübt und selbst in Berggegenden zu Hause, dergleichen ver-
standen, beweiset der Uebergang über den Ossa im Jahre 336. Man
braucht deshalb wohl nicht an Felsenkletterer aus dem benachbar-
ten Badackschan, die 1600 Jahre später gerühmt werden (Cheref-
feddin II. c. 37. p.
343.) zu denken.

Waſſermangel war um ſo weniger zu fuͤrchten, da reichlich Schnee
gefallen war, welcher zugleich das Erſteigen der Felſen doppelt ge-
faͤhrlich machte. Als Alexander vor dieſer Burg ankam, ließ er
durch Artabazus Sohn Kophenes den Befehlshaber der Burg Ari-
omazes zur Uebergabe auffordern, indem er Allen, die ſich in derſel-
ben befanden, freien Abzug verſprach; die Barbaren antworteten;
er moͤge ſich gefluͤgelte Soldaten ſuchen. Alexander war entſchloſ-
ſen, um jeden Preis den Felſen zu erobern; eine Kriegsliſt mußte
das Unmoͤgliche moͤglich machen. Er ließ in ſeinem Lager durch
Heroldsruf verkuͤnden, die Felſenſtirn, die uͤber der Burg emporrage,
muͤſſe erſtiegen werden; zwoͤlf Preiſe bis zu zwoͤlf Talenten ſeien de-
nen, die die Erſten oben waͤren, beſtimmt; fuͤr Alle, die an dem kuͤh-
nen Wagniß Theil naͤhmen, werde es ruhmvoll ſein. Dreihundert
Macedonier 67), die das Felſenklettern verſtanden, begierig, unter den
Augen des Koͤnigs ſich auszuzeichnen, traten hervor und empfingen
die naͤheren Befehle; dann verſah ſich jeder mit einigen Eiſenpfloͤ-
cken, wie ſie bei den Zelten gebraucht werden, und mit ſtarken
flaͤchſernen Stricken; ſie nahmen Mundvorrath auf zwei Tage und
von den Waffen das Schwert und die Lanze mit. Um Mitter-
nacht naheten ſie ſich der Stelle des Felſens, die am ſteilſten und
deshalb unbewacht war; anfangs ſtiegen ſie muͤhſam, bald began-
nen die jaͤh abgeſtuͤrzten Felswaͤnde, glatte Eislagen, loſe Schnee-
decken, mit jedem Schritt wuchs die Muͤhe und die Gefahr. Drei-
ßig dieſer Kuͤhnen ſtuͤrzten in den Abgrund, endlich mit Tagesan-
bruch hatten die Anderen den Gipfel erreicht, und ihre Faͤhnchen
flatterten hell im Fruͤhwinde. Sobald Alexander, der voll aͤngſt-
licher Erwartung uͤber das Schickſal ſeiner Getreuen unten am
Fuß des Berges ſtand, das verabredete Zeichen ſah, ließ er die

67) Nach der ausdruͤcklichen Angabe Arrians, der Polyaen. IV.
3. 29. nicht entgegen iſt, waren es Macedonier; und daß dieſe, gym-
naſtiſch geuͤbt und ſelbſt in Berggegenden zu Hauſe, dergleichen ver-
ſtanden, beweiſet der Uebergang uͤber den Oſſa im Jahre 336. Man
braucht deshalb wohl nicht an Felſenkletterer aus dem benachbar-
ten Badackſchan, die 1600 Jahre ſpaͤter geruͤhmt werden (Cheref-
feddin II. c. 37. p.
343.) zu denken.
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[334/0348] Waſſermangel war um ſo weniger zu fuͤrchten, da reichlich Schnee gefallen war, welcher zugleich das Erſteigen der Felſen doppelt ge- faͤhrlich machte. Als Alexander vor dieſer Burg ankam, ließ er durch Artabazus Sohn Kophenes den Befehlshaber der Burg Ari- omazes zur Uebergabe auffordern, indem er Allen, die ſich in derſel- ben befanden, freien Abzug verſprach; die Barbaren antworteten; er moͤge ſich gefluͤgelte Soldaten ſuchen. Alexander war entſchloſ- ſen, um jeden Preis den Felſen zu erobern; eine Kriegsliſt mußte das Unmoͤgliche moͤglich machen. Er ließ in ſeinem Lager durch Heroldsruf verkuͤnden, die Felſenſtirn, die uͤber der Burg emporrage, muͤſſe erſtiegen werden; zwoͤlf Preiſe bis zu zwoͤlf Talenten ſeien de- nen, die die Erſten oben waͤren, beſtimmt; fuͤr Alle, die an dem kuͤh- nen Wagniß Theil naͤhmen, werde es ruhmvoll ſein. Dreihundert Macedonier 67), die das Felſenklettern verſtanden, begierig, unter den Augen des Koͤnigs ſich auszuzeichnen, traten hervor und empfingen die naͤheren Befehle; dann verſah ſich jeder mit einigen Eiſenpfloͤ- cken, wie ſie bei den Zelten gebraucht werden, und mit ſtarken flaͤchſernen Stricken; ſie nahmen Mundvorrath auf zwei Tage und von den Waffen das Schwert und die Lanze mit. Um Mitter- nacht naheten ſie ſich der Stelle des Felſens, die am ſteilſten und deshalb unbewacht war; anfangs ſtiegen ſie muͤhſam, bald began- nen die jaͤh abgeſtuͤrzten Felswaͤnde, glatte Eislagen, loſe Schnee- decken, mit jedem Schritt wuchs die Muͤhe und die Gefahr. Drei- ßig dieſer Kuͤhnen ſtuͤrzten in den Abgrund, endlich mit Tagesan- bruch hatten die Anderen den Gipfel erreicht, und ihre Faͤhnchen flatterten hell im Fruͤhwinde. Sobald Alexander, der voll aͤngſt- licher Erwartung uͤber das Schickſal ſeiner Getreuen unten am Fuß des Berges ſtand, das verabredete Zeichen ſah, ließ er die 67) Nach der ausdruͤcklichen Angabe Arrians, der Polyaen. IV. 3. 29. nicht entgegen iſt, waren es Macedonier; und daß dieſe, gym- naſtiſch geuͤbt und ſelbſt in Berggegenden zu Hauſe, dergleichen ver- ſtanden, beweiſet der Uebergang uͤber den Oſſa im Jahre 336. Man braucht deshalb wohl nicht an Felſenkletterer aus dem benachbar- ten Badackſchan, die 1600 Jahre ſpaͤter geruͤhmt werden (Cheref- feddin II. c. 37. p. 343.) zu denken.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/348>, abgerufen am 26.04.2024.