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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Städte Persiens, auf dem Throne des Cyrus gesessen und nach
Persischer Weise die Huldigungen der Großen entgegengenommen,
durfte der flüchtige König nicht länger den Namen seiner verlore-
nen Herrlichkeit, eine Fahne zu immer neuem Aufruhr, durch die
Steppen von Iran und Turan tragen. Der Wille und die Noth-
wendigkeit, den Feind zu fangen, wurde nach der heroischen Natur
Alexanders zur persönlichen Leidenschaft, zum Achilleischen Zorn;
so verfolgte er ihn mit einer Hast, die an das Ungeheuere grenzte,
und die, vielen seiner braven Krieger zum Verderben, ihn dem ge-
rechten Vorwurf der furchtbarsten Schonungslosigkeit aussetzen
würde, wenn er nicht selbst Mühe und Ermüdung, Hitze und
Durst mit seinen Leuten getheilt, selbst die wilde Jagd der vier
Nächte geführt und bis zur letzten Erschöpfung ausgehalten hätte.
Damals, heißt es, brachten ihm Leute einen Trunk Wasser im Ei-
senhelm; er durstete und nahm den Helm, er sah seine Reuter
traurig nach dem Labetrunk blicken, und gab ihn zurück: "Tränke
ich allein, meine Leute verlören den Muth." Da jauchzten die
braven Macedonier: "Führe uns, wohin Du willst! wir sind nicht
ermattet, wir dürsten auch nicht, ja wir sind nicht mehr sterblich,
so lange Du unser König bist!" So spornten sie ihre Rosse an
und jagten mit ihrem Könige weiter, bis sie den Feind sahen und
den todten König fanden 67). Man hat Alexanders Glück
darin wieder erkennen wollen, daß sein Gegner todt, nicht lebend
in seine Hand gefallen; er würde stets ein Gegenstand gerechter
Besorgniß für Alexander, ein Anlaß gefährlicher Wünsche und
Pläne für die Perser gewesen sein, und endlich hätte doch nur über
seinen Leichnam der Weg zum ruhigen Besitze Asiens geführt;
Alexander sei glücklich zu preisen, daß ihm nur die Frucht, nicht
auch die Schuld dieses Mordes zugefallen; er habe sich um der
Perser Willen das Ansehen geben können, als beklage er ihres
Großkönigs Tod. Vielleicht hat Alexander, wie nach ihm der
große Römer, über den schmachvollen und erschütternden Untergang
seines Feindes sich der Vortheile zu freuen vergessen, die ihm aus

67) So Plutarch 42. Arrian (VI. 26.) verlegt die Erzählung
nach Gedrosien, Curtius (VII. 5. 10.) in den Paropamisus, Polyän
(IV. 3. 25.) giebt sie ohne bestimmte Lokalisirung.

Städte Perſiens, auf dem Throne des Cyrus geſeſſen und nach
Perſiſcher Weiſe die Huldigungen der Großen entgegengenommen,
durfte der flüchtige König nicht länger den Namen ſeiner verlore-
nen Herrlichkeit, eine Fahne zu immer neuem Aufruhr, durch die
Steppen von Iran und Turan tragen. Der Wille und die Noth-
wendigkeit, den Feind zu fangen, wurde nach der heroiſchen Natur
Alexanders zur perſönlichen Leidenſchaft, zum Achilleiſchen Zorn;
ſo verfolgte er ihn mit einer Haſt, die an das Ungeheuere grenzte,
und die, vielen ſeiner braven Krieger zum Verderben, ihn dem ge-
rechten Vorwurf der furchtbarſten Schonungsloſigkeit ausſetzen
würde, wenn er nicht ſelbſt Mühe und Ermüdung, Hitze und
Durſt mit ſeinen Leuten getheilt, ſelbſt die wilde Jagd der vier
Nächte geführt und bis zur letzten Erſchöpfung ausgehalten hätte.
Damals, heißt es, brachten ihm Leute einen Trunk Waſſer im Ei-
ſenhelm; er durſtete und nahm den Helm, er ſah ſeine Reuter
traurig nach dem Labetrunk blicken, und gab ihn zurück: „Tränke
ich allein, meine Leute verlören den Muth.“ Da jauchzten die
braven Macedonier: „Führe uns, wohin Du willſt! wir ſind nicht
ermattet, wir dürſten auch nicht, ja wir ſind nicht mehr ſterblich,
ſo lange Du unſer König biſt!“ So ſpornten ſie ihre Roſſe an
und jagten mit ihrem Könige weiter, bis ſie den Feind ſahen und
den todten König fanden 67). Man hat Alexanders Glück
darin wieder erkennen wollen, daß ſein Gegner todt, nicht lebend
in ſeine Hand gefallen; er würde ſtets ein Gegenſtand gerechter
Beſorgniß für Alexander, ein Anlaß gefährlicher Wünſche und
Pläne für die Perſer geweſen ſein, und endlich hätte doch nur über
ſeinen Leichnam der Weg zum ruhigen Beſitze Aſiens geführt;
Alexander ſei glücklich zu preiſen, daß ihm nur die Frucht, nicht
auch die Schuld dieſes Mordes zugefallen; er habe ſich um der
Perſer Willen das Anſehen geben können, als beklage er ihres
Großkönigs Tod. Vielleicht hat Alexander, wie nach ihm der
große Römer, über den ſchmachvollen und erſchütternden Untergang
ſeines Feindes ſich der Vortheile zu freuen vergeſſen, die ihm aus

67) So Plutarch 42. Arrian (VI. 26.) verlegt die Erzählung
nach Gedroſien, Curtius (VII. 5. 10.) in den Paropamiſus, Polyän
(IV. 3. 25.) giebt ſie ohne beſtimmte Lokaliſirung.
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[261/0275] Städte Perſiens, auf dem Throne des Cyrus geſeſſen und nach Perſiſcher Weiſe die Huldigungen der Großen entgegengenommen, durfte der flüchtige König nicht länger den Namen ſeiner verlore- nen Herrlichkeit, eine Fahne zu immer neuem Aufruhr, durch die Steppen von Iran und Turan tragen. Der Wille und die Noth- wendigkeit, den Feind zu fangen, wurde nach der heroiſchen Natur Alexanders zur perſönlichen Leidenſchaft, zum Achilleiſchen Zorn; ſo verfolgte er ihn mit einer Haſt, die an das Ungeheuere grenzte, und die, vielen ſeiner braven Krieger zum Verderben, ihn dem ge- rechten Vorwurf der furchtbarſten Schonungsloſigkeit ausſetzen würde, wenn er nicht ſelbſt Mühe und Ermüdung, Hitze und Durſt mit ſeinen Leuten getheilt, ſelbſt die wilde Jagd der vier Nächte geführt und bis zur letzten Erſchöpfung ausgehalten hätte. Damals, heißt es, brachten ihm Leute einen Trunk Waſſer im Ei- ſenhelm; er durſtete und nahm den Helm, er ſah ſeine Reuter traurig nach dem Labetrunk blicken, und gab ihn zurück: „Tränke ich allein, meine Leute verlören den Muth.“ Da jauchzten die braven Macedonier: „Führe uns, wohin Du willſt! wir ſind nicht ermattet, wir dürſten auch nicht, ja wir ſind nicht mehr ſterblich, ſo lange Du unſer König biſt!“ So ſpornten ſie ihre Roſſe an und jagten mit ihrem Könige weiter, bis ſie den Feind ſahen und den todten König fanden 67). Man hat Alexanders Glück darin wieder erkennen wollen, daß ſein Gegner todt, nicht lebend in ſeine Hand gefallen; er würde ſtets ein Gegenſtand gerechter Beſorgniß für Alexander, ein Anlaß gefährlicher Wünſche und Pläne für die Perſer geweſen ſein, und endlich hätte doch nur über ſeinen Leichnam der Weg zum ruhigen Beſitze Aſiens geführt; Alexander ſei glücklich zu preiſen, daß ihm nur die Frucht, nicht auch die Schuld dieſes Mordes zugefallen; er habe ſich um der Perſer Willen das Anſehen geben können, als beklage er ihres Großkönigs Tod. Vielleicht hat Alexander, wie nach ihm der große Römer, über den ſchmachvollen und erſchütternden Untergang ſeines Feindes ſich der Vortheile zu freuen vergeſſen, die ihm aus 67) So Plutarch 42. Arrian (VI. 26.) verlegt die Erzählung nach Gedroſien, Curtius (VII. 5. 10.) in den Paropamiſus, Polyän (IV. 3. 25.) giebt ſie ohne beſtimmte Lokaliſirung.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/275>, abgerufen am 22.11.2024.