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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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dem Blute eines Königs zufließen sollten; große Geister fesselt
an den Feind ein engeres Band als das der Freundschaft, der
Gewohnheit oder des Interesses je werden kann. Bedenkt man,
wie die Königin Mutter, wie die Gemahlin und Kinder des Groß-
königs von Alexander aufgenommen waren, wie er überall ihr Un-
glück zu ehren und zu lindern suchte, so kann man nicht zweifeln,
welches Schicksal er dem gefangenen Könige gewährt hätte, dessen
Leben in Feindes Hand sicherer gewesen wäre, als unter Persern
und Blutsverwandten.

Alexander hatte Darius verfolgt, um den Besitz Asiens nicht
zu gewinnen, sondern vor dem einzig rechtmäßigen Einspruch zu
sichern. Wäre Darius lebend in seine Hand gefallen, so konnten
die Persischen Großen dem Gewaltrecht des Eroberers mit gleichem
Rechte Gewalt entgegensetzen, und die Abdikation ihres Königs
unfreiwillig und Verrath an der Persischen Sache, sich selbst als
die ächten Vertreter des alten Perserthumes nennen. Umgekehrt
jetzt; jene Großen waren, als Mörder des Königs, Verräther an
der Persischen Sache geworden, das natürliche Vermächtniß des
ermordeten Königs bestellte den Sieger Alexander zum Rächer an
seinen Mördern; die Majestät des Persischen Königthums, durch
das Recht des Schwertes gewonnen, ward jetzt zum Schwerte des
Rechtes und der Rache in Alexanders Hand, sie hatte keinen Feind
mehr, als die letzten Vertreter, keinen Vertreter, als den einstigen
Feind desselben Königthumes.

So hatte sich die Stellung der Persischen Großen merkwürdig
verändert; die ihren König nach der Schlacht von Gaugamela nicht
verlassen hatten, meist Satrapen der östlichen Provinzen, hatten
ihre eigene Sache geschützt, wenn sie um die Person des Königs
zusammenhielten; jene Aufopferung und rührende Anhänglichkeit
des Artabazus, der, einst in Pydna an König Philipps Hofe will-
kommener Gast, einer ehrenvollen Aufnahme bei Alexander hätte
gewiß sein können, theilten wenige, da sie ohne Nutzen und voll
Gefahr erschien; sobald des Großkönigs Unglück ihren Vortheil, ja
die Existenz ihrer Macht auf das Spiel setzte, begannen sie sich
und ihre Ansprüche auf Kosten dieses Königs zu schützen, durch des-
sen Verblendung und Schwäche allein sie das Reich der Perser
ins Verderben gestürzt glaubten; das ewige Fliehen des Darius

dem Blute eines Königs zufließen ſollten; große Geiſter feſſelt
an den Feind ein engeres Band als das der Freundſchaft, der
Gewohnheit oder des Intereſſes je werden kann. Bedenkt man,
wie die Königin Mutter, wie die Gemahlin und Kinder des Groß-
königs von Alexander aufgenommen waren, wie er überall ihr Un-
glück zu ehren und zu lindern ſuchte, ſo kann man nicht zweifeln,
welches Schickſal er dem gefangenen Könige gewährt hätte, deſſen
Leben in Feindes Hand ſicherer geweſen wäre, als unter Perſern
und Blutsverwandten.

Alexander hatte Darius verfolgt, um den Beſitz Aſiens nicht
zu gewinnen, ſondern vor dem einzig rechtmäßigen Einſpruch zu
ſichern. Wäre Darius lebend in ſeine Hand gefallen, ſo konnten
die Perſiſchen Großen dem Gewaltrecht des Eroberers mit gleichem
Rechte Gewalt entgegenſetzen, und die Abdikation ihres Königs
unfreiwillig und Verrath an der Perſiſchen Sache, ſich ſelbſt als
die ächten Vertreter des alten Perſerthumes nennen. Umgekehrt
jetzt; jene Großen waren, als Mörder des Königs, Verräther an
der Perſiſchen Sache geworden, das natürliche Vermächtniß des
ermordeten Königs beſtellte den Sieger Alexander zum Rächer an
ſeinen Mördern; die Majeſtät des Perſiſchen Königthums, durch
das Recht des Schwertes gewonnen, ward jetzt zum Schwerte des
Rechtes und der Rache in Alexanders Hand, ſie hatte keinen Feind
mehr, als die letzten Vertreter, keinen Vertreter, als den einſtigen
Feind deſſelben Königthumes.

So hatte ſich die Stellung der Perſiſchen Großen merkwürdig
verändert; die ihren König nach der Schlacht von Gaugamela nicht
verlaſſen hatten, meiſt Satrapen der öſtlichen Provinzen, hatten
ihre eigene Sache geſchützt, wenn ſie um die Perſon des Königs
zuſammenhielten; jene Aufopferung und rührende Anhänglichkeit
des Artabazus, der, einſt in Pydna an König Philipps Hofe will-
kommener Gaſt, einer ehrenvollen Aufnahme bei Alexander hätte
gewiß ſein können, theilten wenige, da ſie ohne Nutzen und voll
Gefahr erſchien; ſobald des Großkönigs Unglück ihren Vortheil, ja
die Exiſtenz ihrer Macht auf das Spiel ſetzte, begannen ſie ſich
und ihre Anſprüche auf Koſten dieſes Königs zu ſchützen, durch deſ-
ſen Verblendung und Schwäche allein ſie das Reich der Perſer
ins Verderben geſtürzt glaubten; das ewige Fliehen des Darius

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[262/0276] dem Blute eines Königs zufließen ſollten; große Geiſter feſſelt an den Feind ein engeres Band als das der Freundſchaft, der Gewohnheit oder des Intereſſes je werden kann. Bedenkt man, wie die Königin Mutter, wie die Gemahlin und Kinder des Groß- königs von Alexander aufgenommen waren, wie er überall ihr Un- glück zu ehren und zu lindern ſuchte, ſo kann man nicht zweifeln, welches Schickſal er dem gefangenen Könige gewährt hätte, deſſen Leben in Feindes Hand ſicherer geweſen wäre, als unter Perſern und Blutsverwandten. Alexander hatte Darius verfolgt, um den Beſitz Aſiens nicht zu gewinnen, ſondern vor dem einzig rechtmäßigen Einſpruch zu ſichern. Wäre Darius lebend in ſeine Hand gefallen, ſo konnten die Perſiſchen Großen dem Gewaltrecht des Eroberers mit gleichem Rechte Gewalt entgegenſetzen, und die Abdikation ihres Königs unfreiwillig und Verrath an der Perſiſchen Sache, ſich ſelbſt als die ächten Vertreter des alten Perſerthumes nennen. Umgekehrt jetzt; jene Großen waren, als Mörder des Königs, Verräther an der Perſiſchen Sache geworden, das natürliche Vermächtniß des ermordeten Königs beſtellte den Sieger Alexander zum Rächer an ſeinen Mördern; die Majeſtät des Perſiſchen Königthums, durch das Recht des Schwertes gewonnen, ward jetzt zum Schwerte des Rechtes und der Rache in Alexanders Hand, ſie hatte keinen Feind mehr, als die letzten Vertreter, keinen Vertreter, als den einſtigen Feind deſſelben Königthumes. So hatte ſich die Stellung der Perſiſchen Großen merkwürdig verändert; die ihren König nach der Schlacht von Gaugamela nicht verlaſſen hatten, meiſt Satrapen der öſtlichen Provinzen, hatten ihre eigene Sache geſchützt, wenn ſie um die Perſon des Königs zuſammenhielten; jene Aufopferung und rührende Anhänglichkeit des Artabazus, der, einſt in Pydna an König Philipps Hofe will- kommener Gaſt, einer ehrenvollen Aufnahme bei Alexander hätte gewiß ſein können, theilten wenige, da ſie ohne Nutzen und voll Gefahr erſchien; ſobald des Großkönigs Unglück ihren Vortheil, ja die Exiſtenz ihrer Macht auf das Spiel ſetzte, begannen ſie ſich und ihre Anſprüche auf Koſten dieſes Königs zu ſchützen, durch deſ- ſen Verblendung und Schwäche allein ſie das Reich der Perſer ins Verderben geſtürzt glaubten; das ewige Fliehen des Darius

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/276>, abgerufen am 25.04.2024.