Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

dung erlag seine Seele dem Kummer, der Schande und der Be-
täubung; verlassen und vergessen, in seinem Reiche heimathlos, ein
Flüchtling unter Verräthern, ein König in Ketten, so fiel er von
den Dolchen seiner Satrapen, seiner Blutsverwandten durchbohrt;
ihm blieb der eine Ruhm, nicht mit der Krone sein Leben erkaust,
noch dem Verbrechen ein Recht über die königliche Majestät zuge-
standen zu haben, sondern als König gestorben zu sein. Als König
ehrte ihn Alexander; er sandte den Leichnam zur Bestattung in die
Gräber von Persepolis; und Sisygambis begrub den Sohn.

Alexander hatte mehr erreicht als erwartet; nach zwei
Schlachten hatte er den geschlagenen König fliehen lassen; aber
seit er sich von Persischen Großen umgeben, von den Völkern
Asiens als Herrn und König verehrt sah, seit er, Herr der heiligen

hatten. Mit den fünfhundert Auserwählten und mit der letzten
Kraftanstrengung zog der König von dieser Station während der
Nacht (vom zehnten zum eilften), in der die Perser zu dem Vor-
sprunge von drei Meilen noch einen etwas größeren Nachtmarsch (Arrian.)
hinzufügten, weiter, worauf er am Morgen, nach einem Gewalt-
marsch von acht Meilen (Arrian: vierhundert Stadien), den Feind er-
blickte. Der Ort könnte ungefähr in der Gegend von Amravan, ge-
gen sieben Meilen vor Damaghan oder Hekatompylos und neun Mei-
len hinter Semnoun zu suchen sein. -- Plutarch sagt, nur sechszig
Mann hätten mit dem Könige ausgehalten; jedenfalls ist die gänz-
liche Erschöpfung der einzig denkbare Grund dafür, daß Alexander
den letzten Rest der Perser nicht weiter verfolgte. Unglaublich ist es
nicht, daß vor Alexanders sechszig Mann die ganze Schaar der Kö-
nigsmörder zerstiebte; ohne die entfernteste Ahnung von Alexanders
schneller Verfolgung mußten sie eben so überrascht, wie von der Nähe
größerer Streitmacht überzeugt sein; und seit dem Abzuge der Grie-
chischen Söldner konnte Alexander schon einen Handstreich wagen.
Von großen Märschen im Alterthume, so wie von der großen Marsch-
fertigkeit der Macedonier s. St. Croix p. 322. -- Die Darstellung
von Curtius ist, wenn auch anschaulich und ergreifend, doch nicht
ohne rhetorische Ausschmückung; die Erzählung von dem Trunk
Wasser, den der Macedonier Polystratus dem sterbenden Darius ge-
reicht haben soll, wage ich bei Arrians Stillschweigen nicht zu vertre-
ten, obschon sie zu den beliebtesten Gemeinplätzen der antiken Schön-
rednerei gehört.

dung erlag ſeine Seele dem Kummer, der Schande und der Be-
täubung; verlaſſen und vergeſſen, in ſeinem Reiche heimathlos, ein
Flüchtling unter Verräthern, ein König in Ketten, ſo fiel er von
den Dolchen ſeiner Satrapen, ſeiner Blutsverwandten durchbohrt;
ihm blieb der eine Ruhm, nicht mit der Krone ſein Leben erkauſt,
noch dem Verbrechen ein Recht über die königliche Majeſtät zuge-
ſtanden zu haben, ſondern als König geſtorben zu ſein. Als König
ehrte ihn Alexander; er ſandte den Leichnam zur Beſtattung in die
Gräber von Perſepolis; und Siſygambis begrub den Sohn.

Alexander hatte mehr erreicht als erwartet; nach zwei
Schlachten hatte er den geſchlagenen König fliehen laſſen; aber
ſeit er ſich von Perſiſchen Großen umgeben, von den Völkern
Aſiens als Herrn und König verehrt ſah, ſeit er, Herr der heiligen

hatten. Mit den fünfhundert Auserwählten und mit der letzten
Kraftanſtrengung zog der König von dieſer Station während der
Nacht (vom zehnten zum eilften), in der die Perſer zu dem Vor-
ſprunge von drei Meilen noch einen etwas größeren Nachtmarſch (Arrian.)
hinzufügten, weiter, worauf er am Morgen, nach einem Gewalt-
marſch von acht Meilen (Arrian: vierhundert Stadien), den Feind er-
blickte. Der Ort könnte ungefähr in der Gegend von Amravan, ge-
gen ſieben Meilen vor Damaghan oder Hekatompylos und neun Mei-
len hinter Semnoun zu ſuchen ſein. — Plutarch ſagt, nur ſechszig
Mann hätten mit dem Könige ausgehalten; jedenfalls iſt die gänz-
liche Erſchöpfung der einzig denkbare Grund dafür, daß Alexander
den letzten Reſt der Perſer nicht weiter verfolgte. Unglaublich iſt es
nicht, daß vor Alexanders ſechszig Mann die ganze Schaar der Kö-
nigsmörder zerſtiebte; ohne die entfernteſte Ahnung von Alexanders
ſchneller Verfolgung mußten ſie eben ſo überraſcht, wie von der Nähe
größerer Streitmacht überzeugt ſein; und ſeit dem Abzuge der Grie-
chiſchen Söldner konnte Alexander ſchon einen Handſtreich wagen.
Von großen Märſchen im Alterthume, ſo wie von der großen Marſch-
fertigkeit der Macedonier ſ. St. Croix p. 322. — Die Darſtellung
von Curtius iſt, wenn auch anſchaulich und ergreifend, doch nicht
ohne rhetoriſche Ausſchmückung; die Erzählung von dem Trunk
Waſſer, den der Macedonier Polyſtratus dem ſterbenden Darius ge-
reicht haben ſoll, wage ich bei Arrians Stillſchweigen nicht zu vertre-
ten, obſchon ſie zu den beliebteſten Gemeinplätzen der antiken Schön-
rednerei gehört.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0274" n="260"/>
dung erlag &#x017F;eine Seele dem Kummer, der Schande und der Be-<lb/>
täubung; verla&#x017F;&#x017F;en und verge&#x017F;&#x017F;en, in &#x017F;einem Reiche heimathlos, ein<lb/>
Flüchtling unter Verräthern, ein König in Ketten, &#x017F;o fiel er von<lb/>
den Dolchen &#x017F;einer Satrapen, &#x017F;einer Blutsverwandten durchbohrt;<lb/>
ihm blieb der <hi rendition="#g">eine</hi> Ruhm, nicht mit der Krone &#x017F;ein Leben erkau&#x017F;t,<lb/>
noch dem Verbrechen ein Recht über die königliche Maje&#x017F;tät zuge-<lb/>
&#x017F;tanden zu haben, &#x017F;ondern als König ge&#x017F;torben zu &#x017F;ein. Als König<lb/>
ehrte ihn Alexander; er &#x017F;andte den Leichnam zur Be&#x017F;tattung in die<lb/>
Gräber von Per&#x017F;epolis; und Si&#x017F;ygambis begrub den Sohn.</p><lb/>
          <p>Alexander hatte mehr erreicht als erwartet; nach zwei<lb/>
Schlachten hatte er den ge&#x017F;chlagenen König fliehen la&#x017F;&#x017F;en; aber<lb/>
&#x017F;eit er &#x017F;ich von Per&#x017F;i&#x017F;chen Großen umgeben, von den Völkern<lb/>
A&#x017F;iens als Herrn und König verehrt &#x017F;ah, &#x017F;eit er, Herr der heiligen<lb/><note xml:id="note-0274" prev="#note-0273" place="foot" n="66)">hatten. Mit den fünfhundert Auserwählten und mit der letzten<lb/>
Kraftan&#x017F;trengung zog der König von die&#x017F;er Station während der<lb/>
Nacht (vom zehnten zum eilften), in der die Per&#x017F;er zu dem Vor-<lb/>
&#x017F;prunge von drei Meilen noch einen etwas größeren Nachtmar&#x017F;ch (<hi rendition="#aq">Arrian.</hi>)<lb/>
hinzufügten, weiter, worauf er am Morgen, nach einem Gewalt-<lb/>
mar&#x017F;ch von acht Meilen (Arrian: vierhundert Stadien), den Feind er-<lb/>
blickte. Der Ort könnte ungefähr in der Gegend von Amravan, ge-<lb/>
gen &#x017F;ieben Meilen vor Damaghan oder Hekatompylos und neun Mei-<lb/>
len hinter Semnoun zu &#x017F;uchen &#x017F;ein. &#x2014; Plutarch &#x017F;agt, nur &#x017F;echszig<lb/>
Mann hätten mit dem Könige ausgehalten; jedenfalls i&#x017F;t die gänz-<lb/>
liche Er&#x017F;chöpfung der einzig denkbare Grund dafür, daß Alexander<lb/>
den letzten Re&#x017F;t der Per&#x017F;er nicht weiter verfolgte. Unglaublich i&#x017F;t es<lb/>
nicht, daß vor Alexanders &#x017F;echszig Mann die ganze Schaar der Kö-<lb/>
nigsmörder zer&#x017F;tiebte; ohne die entfernte&#x017F;te Ahnung von Alexanders<lb/>
&#x017F;chneller Verfolgung mußten &#x017F;ie eben &#x017F;o überra&#x017F;cht, wie von der Nähe<lb/>
größerer Streitmacht überzeugt &#x017F;ein; und &#x017F;eit dem Abzuge der Grie-<lb/>
chi&#x017F;chen Söldner konnte Alexander &#x017F;chon einen Hand&#x017F;treich wagen.<lb/>
Von großen Mär&#x017F;chen im Alterthume, &#x017F;o wie von der großen Mar&#x017F;ch-<lb/>
fertigkeit der Macedonier &#x017F;. <hi rendition="#aq">St. Croix p.</hi> 322. &#x2014; Die Dar&#x017F;tellung<lb/>
von Curtius i&#x017F;t, wenn auch an&#x017F;chaulich und ergreifend, doch nicht<lb/>
ohne rhetori&#x017F;che Aus&#x017F;chmückung; die Erzählung von dem Trunk<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er, den der Macedonier Poly&#x017F;tratus dem &#x017F;terbenden Darius ge-<lb/>
reicht haben &#x017F;oll, wage ich bei Arrians Still&#x017F;chweigen nicht zu vertre-<lb/>
ten, ob&#x017F;chon &#x017F;ie zu den beliebte&#x017F;ten Gemeinplätzen der antiken Schön-<lb/>
rednerei gehört.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[260/0274] dung erlag ſeine Seele dem Kummer, der Schande und der Be- täubung; verlaſſen und vergeſſen, in ſeinem Reiche heimathlos, ein Flüchtling unter Verräthern, ein König in Ketten, ſo fiel er von den Dolchen ſeiner Satrapen, ſeiner Blutsverwandten durchbohrt; ihm blieb der eine Ruhm, nicht mit der Krone ſein Leben erkauſt, noch dem Verbrechen ein Recht über die königliche Majeſtät zuge- ſtanden zu haben, ſondern als König geſtorben zu ſein. Als König ehrte ihn Alexander; er ſandte den Leichnam zur Beſtattung in die Gräber von Perſepolis; und Siſygambis begrub den Sohn. Alexander hatte mehr erreicht als erwartet; nach zwei Schlachten hatte er den geſchlagenen König fliehen laſſen; aber ſeit er ſich von Perſiſchen Großen umgeben, von den Völkern Aſiens als Herrn und König verehrt ſah, ſeit er, Herr der heiligen 66) 66) hatten. Mit den fünfhundert Auserwählten und mit der letzten Kraftanſtrengung zog der König von dieſer Station während der Nacht (vom zehnten zum eilften), in der die Perſer zu dem Vor- ſprunge von drei Meilen noch einen etwas größeren Nachtmarſch (Arrian.) hinzufügten, weiter, worauf er am Morgen, nach einem Gewalt- marſch von acht Meilen (Arrian: vierhundert Stadien), den Feind er- blickte. Der Ort könnte ungefähr in der Gegend von Amravan, ge- gen ſieben Meilen vor Damaghan oder Hekatompylos und neun Mei- len hinter Semnoun zu ſuchen ſein. — Plutarch ſagt, nur ſechszig Mann hätten mit dem Könige ausgehalten; jedenfalls iſt die gänz- liche Erſchöpfung der einzig denkbare Grund dafür, daß Alexander den letzten Reſt der Perſer nicht weiter verfolgte. Unglaublich iſt es nicht, daß vor Alexanders ſechszig Mann die ganze Schaar der Kö- nigsmörder zerſtiebte; ohne die entfernteſte Ahnung von Alexanders ſchneller Verfolgung mußten ſie eben ſo überraſcht, wie von der Nähe größerer Streitmacht überzeugt ſein; und ſeit dem Abzuge der Grie- chiſchen Söldner konnte Alexander ſchon einen Handſtreich wagen. Von großen Märſchen im Alterthume, ſo wie von der großen Marſch- fertigkeit der Macedonier ſ. St. Croix p. 322. — Die Darſtellung von Curtius iſt, wenn auch anſchaulich und ergreifend, doch nicht ohne rhetoriſche Ausſchmückung; die Erzählung von dem Trunk Waſſer, den der Macedonier Polyſtratus dem ſterbenden Darius ge- reicht haben ſoll, wage ich bei Arrians Stillſchweigen nicht zu vertre- ten, obſchon ſie zu den beliebteſten Gemeinplätzen der antiken Schön- rednerei gehört.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/274
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/274>, abgerufen am 22.11.2024.