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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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streckt. -- Gänzlich abgeneigt, sich ungesetzlichen
Handlungen anzuschließen, kommt ihm doch an Muth,
ja Hartnäckigkeit des Duldens für das, was ihm
recht scheint, Keiner gleich, und ein geistreicher Mann
verglich dieses Volk einmal mit den Hindus, die,
als man ihnen ihre religiösen und bürgerlichen
Rechte schmälern wollte, sich zu vielen Tausenden
versammelten, und auf den Grund gehockt, mit
verhüllten Häuptern, standhaft den Hungertod er-
warteten. -- Dieser Vergleich hat sich mitunter als
sehr treffend erwiesen.

Unter der französischen Regierung, wo Eltern
und, nachdem diese ausgeplündert waren, auch Ge-
schwister mit ihren Habseligkeiten für diejenigen ein-
stehen mußten, die sich der Militairpflicht entzogen
hatten, haben sich zuweilen alle Zweige eines
Stammes, ohne Rücksicht auf ihre unmündigen
Kinder, zuerst bis zum letzten Heller exequiren, und
dann bis aufs Hemde auspfänden lassen, ohne daß
es einem eingefallen wäre, dem Versteckten nur mit
einem Worte den Wunsch zu äußern, daß er aus
seinem Bretterverschlage oder Heuschober hervor-
kriechen möge, und so verhaßt, ja entsetzlich Jedem
damals der Kriegsdienst war, dem manche sogar
durch freiwillige Verstümmelung, z. B. Abhacken
eines Fingers, zu entgehen suchten, so häufig trat
doch der Fall ein, daß ein Bruder sich für den

ſtreckt. — Gänzlich abgeneigt, ſich ungeſetzlichen
Handlungen anzuſchließen, kommt ihm doch an Muth,
ja Hartnäckigkeit des Duldens für das, was ihm
recht ſcheint, Keiner gleich, und ein geiſtreicher Mann
verglich dieſes Volk einmal mit den Hindus, die,
als man ihnen ihre religiöſen und bürgerlichen
Rechte ſchmälern wollte, ſich zu vielen Tauſenden
verſammelten, und auf den Grund gehockt, mit
verhüllten Häuptern, ſtandhaft den Hungertod er-
warteten. — Dieſer Vergleich hat ſich mitunter als
ſehr treffend erwieſen.

Unter der franzöſiſchen Regierung, wo Eltern
und, nachdem dieſe ausgeplündert waren, auch Ge-
ſchwiſter mit ihren Habſeligkeiten für diejenigen ein-
ſtehen mußten, die ſich der Militairpflicht entzogen
hatten, haben ſich zuweilen alle Zweige eines
Stammes, ohne Rückſicht auf ihre unmündigen
Kinder, zuerſt bis zum letzten Heller exequiren, und
dann bis aufs Hemde auspfänden laſſen, ohne daß
es einem eingefallen wäre, dem Verſteckten nur mit
einem Worte den Wunſch zu äußern, daß er aus
ſeinem Bretterverſchlage oder Heuſchober hervor-
kriechen möge, und ſo verhaßt, ja entſetzlich Jedem
damals der Kriegsdienſt war, dem manche ſogar
durch freiwillige Verſtümmelung, z. B. Abhacken
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[291/0307] ſtreckt. — Gänzlich abgeneigt, ſich ungeſetzlichen Handlungen anzuſchließen, kommt ihm doch an Muth, ja Hartnäckigkeit des Duldens für das, was ihm recht ſcheint, Keiner gleich, und ein geiſtreicher Mann verglich dieſes Volk einmal mit den Hindus, die, als man ihnen ihre religiöſen und bürgerlichen Rechte ſchmälern wollte, ſich zu vielen Tauſenden verſammelten, und auf den Grund gehockt, mit verhüllten Häuptern, ſtandhaft den Hungertod er- warteten. — Dieſer Vergleich hat ſich mitunter als ſehr treffend erwieſen. Unter der franzöſiſchen Regierung, wo Eltern und, nachdem dieſe ausgeplündert waren, auch Ge- ſchwiſter mit ihren Habſeligkeiten für diejenigen ein- ſtehen mußten, die ſich der Militairpflicht entzogen hatten, haben ſich zuweilen alle Zweige eines Stammes, ohne Rückſicht auf ihre unmündigen Kinder, zuerſt bis zum letzten Heller exequiren, und dann bis aufs Hemde auspfänden laſſen, ohne daß es einem eingefallen wäre, dem Verſteckten nur mit einem Worte den Wunſch zu äußern, daß er aus ſeinem Bretterverſchlage oder Heuſchober hervor- kriechen möge, und ſo verhaßt, ja entſetzlich Jedem damals der Kriegsdienſt war, dem manche ſogar durch freiwillige Verſtümmelung, z. B. Abhacken eines Fingers, zu entgehen ſuchten, ſo häufig trat doch der Fall ein, daß ein Bruder ſich für den

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/307>, abgerufen am 18.05.2024.