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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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ist höchst anziehend, sie manchem späteren ent-
sprechenden Begebnisse zu vergleichen. Der minder
Begabte und nicht bis zum Schauer Gesteigerte "hört"
-- er hört den dumpfen Hammerschlag auf dem
Sargdeckel und das Rollen des Leichenwagens, hört
den Waffenlärm, das Wirbeln der Trommeln, das
Trappeln der Rosse, und den gleichförmigen Tritt
der marschirenden Colonnen. -- Er hört das Ge-
schrei der Verunglückten, und an Thür oder Fenster-
laden das Anpochen desjenigen, der ihn oder seinen
Nachfolger zur Hülfe auffordern wird. -- Der
Nichtbegabte steht neben dem Vorschauer und ahnet
Nichts, während die Pferde im Stalle ängstlich
schnauben und schlagen, und der Hund jämmerlich
heulend, mit eingeklemmtem Schweife seinem Herrn
zwischen die Beine kriecht. -- Die Gabe soll sich
jedoch übertragen, wenn ein Nebenstehender dem
Vorgucker über die linke Schulter sieht, wo er zwar
für dieses Mal nichts bemerkt, fortan aber für den
Anderen die nächtliche Schau halten muß. -- Wir
sagen dies fast ungern, da dieser Zusatz einem un-
läugbaren und höchst merkwürdigen Phänomen den
Stempel des Lächerlichen aufdrückt. -- Wir haben
den Münsterländer früher furchtsam genannt, dennoch
erträgt er den eben berührten Verkehr mit der über-
sinnlichen Welt mit vieler Ruhe, wie überall seine
Furchtsamkeit sich nicht auf passive Zustände er-

iſt höchſt anziehend, ſie manchem ſpäteren ent-
ſprechenden Begebniſſe zu vergleichen. Der minder
Begabte und nicht bis zum Schauer Geſteigerte „hört“
— er hört den dumpfen Hammerſchlag auf dem
Sargdeckel und das Rollen des Leichenwagens, hört
den Waffenlärm, das Wirbeln der Trommeln, das
Trappeln der Roſſe, und den gleichförmigen Tritt
der marſchirenden Colonnen. — Er hört das Ge-
ſchrei der Verunglückten, und an Thür oder Fenſter-
laden das Anpochen desjenigen, der ihn oder ſeinen
Nachfolger zur Hülfe auffordern wird. — Der
Nichtbegabte ſteht neben dem Vorſchauer und ahnet
Nichts, während die Pferde im Stalle ängſtlich
ſchnauben und ſchlagen, und der Hund jämmerlich
heulend, mit eingeklemmtem Schweife ſeinem Herrn
zwiſchen die Beine kriecht. — Die Gabe ſoll ſich
jedoch übertragen, wenn ein Nebenſtehender dem
Vorgucker über die linke Schulter ſieht, wo er zwar
für dieſes Mal nichts bemerkt, fortan aber für den
Anderen die nächtliche Schau halten muß. — Wir
ſagen dies faſt ungern, da dieſer Zuſatz einem un-
läugbaren und höchſt merkwürdigen Phänomen den
Stempel des Lächerlichen aufdrückt. — Wir haben
den Münſterländer früher furchtſam genannt, dennoch
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[290/0306] iſt höchſt anziehend, ſie manchem ſpäteren ent- ſprechenden Begebniſſe zu vergleichen. Der minder Begabte und nicht bis zum Schauer Geſteigerte „hört“ — er hört den dumpfen Hammerſchlag auf dem Sargdeckel und das Rollen des Leichenwagens, hört den Waffenlärm, das Wirbeln der Trommeln, das Trappeln der Roſſe, und den gleichförmigen Tritt der marſchirenden Colonnen. — Er hört das Ge- ſchrei der Verunglückten, und an Thür oder Fenſter- laden das Anpochen desjenigen, der ihn oder ſeinen Nachfolger zur Hülfe auffordern wird. — Der Nichtbegabte ſteht neben dem Vorſchauer und ahnet Nichts, während die Pferde im Stalle ängſtlich ſchnauben und ſchlagen, und der Hund jämmerlich heulend, mit eingeklemmtem Schweife ſeinem Herrn zwiſchen die Beine kriecht. — Die Gabe ſoll ſich jedoch übertragen, wenn ein Nebenſtehender dem Vorgucker über die linke Schulter ſieht, wo er zwar für dieſes Mal nichts bemerkt, fortan aber für den Anderen die nächtliche Schau halten muß. — Wir ſagen dies faſt ungern, da dieſer Zuſatz einem un- läugbaren und höchſt merkwürdigen Phänomen den Stempel des Lächerlichen aufdrückt. — Wir haben den Münſterländer früher furchtſam genannt, dennoch erträgt er den eben berührten Verkehr mit der über- ſinnlichen Welt mit vieler Ruhe, wie überall ſeine Furchtſamkeit ſich nicht auf paſſive Zuſtände er-

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/306>, abgerufen am 18.05.2024.