Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

sterben oder verarmen werde. Diese besitzen weder
die häuslichen Geschicklichkeiten, noch die Tücke an-
derer Kobolde, sondern sind einsamer, träumerischer
Natur, schreiten, wenn es dämmert, wie in tiefen
Gedanken langsam und schweigend an irgend einer
verspäteten Milchmagd oder einem Kinde vorüber
und find ohne Zweifel echte Münsterländer, da man
kein Beispiel hat, daß sie Jemanden beschädigt oder
absichtlich erschreckt hätten. Man unterscheidet sie in
"Timphüte" und "Langhüte." Die ersteren kleine,
runzliche Männchen, in altmodischer Tracht, mit
eisgrauem Barte und dreieckigem Hütchen; die an-
deren übernatürlich lang und hager, mit langem
Schlapphut, aber beide gleich wohlwollend, nur daß
der Timphut bestimmten Segen bringt, der Lang-
hut dagegen nur Unglück zu verhüten sucht. Zu-
weilen halten sie nur in den Umgebungen, den
Alleen des Schlosses, dem Wald- und Wiesen-
grunde des Hofes ihre philosophischen Spaziergänge;
gewöhnlich haben sie jedoch außerdem einen Speicher
oder eine wüste Bodenkammer inne, wo man sie
zuweilen Nachts auf- und abgehen, oder einen
knarrenden Haspel langsam umdrehen hört. Bei
Feuersbrünsten hat man den Hausgeist schon ernst-
haft aus den Flammen schreiten und einen Feldweg
einschlagen sehen, um nie wiederzukehren, und es
war dann hundert gegen eins zu wetten, daß die

ſterben oder verarmen werde. Dieſe beſitzen weder
die häuslichen Geſchicklichkeiten, noch die Tücke an-
derer Kobolde, ſondern ſind einſamer, träumeriſcher
Natur, ſchreiten, wenn es dämmert, wie in tiefen
Gedanken langſam und ſchweigend an irgend einer
verſpäteten Milchmagd oder einem Kinde vorüber
und find ohne Zweifel echte Münſterländer, da man
kein Beiſpiel hat, daß ſie Jemanden beſchädigt oder
abſichtlich erſchreckt hätten. Man unterſcheidet ſie in
„Timphüte“ und „Langhüte.“ Die erſteren kleine,
runzliche Männchen, in altmodiſcher Tracht, mit
eisgrauem Barte und dreieckigem Hütchen; die an-
deren übernatürlich lang und hager, mit langem
Schlapphut, aber beide gleich wohlwollend, nur daß
der Timphut beſtimmten Segen bringt, der Lang-
hut dagegen nur Unglück zu verhüten ſucht. Zu-
weilen halten ſie nur in den Umgebungen, den
Alleen des Schloſſes, dem Wald- und Wieſen-
grunde des Hofes ihre philoſophiſchen Spaziergänge;
gewöhnlich haben ſie jedoch außerdem einen Speicher
oder eine wüſte Bodenkammer inne, wo man ſie
zuweilen Nachts auf- und abgehen, oder einen
knarrenden Haspel langſam umdrehen hört. Bei
Feuersbrünſten hat man den Hausgeiſt ſchon ernſt-
haft aus den Flammen ſchreiten und einen Feldweg
einſchlagen ſehen, um nie wiederzukehren, und es
war dann hundert gegen eins zu wetten, daß die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0303" n="287"/>
&#x017F;terben oder verarmen werde. Die&#x017F;e be&#x017F;itzen weder<lb/>
die häuslichen Ge&#x017F;chicklichkeiten, noch die Tücke an-<lb/>
derer Kobolde, &#x017F;ondern &#x017F;ind ein&#x017F;amer, träumeri&#x017F;cher<lb/>
Natur, &#x017F;chreiten, wenn es dämmert, wie in tiefen<lb/>
Gedanken lang&#x017F;am und &#x017F;chweigend an irgend einer<lb/>
ver&#x017F;päteten Milchmagd oder einem Kinde vorüber<lb/>
und find ohne Zweifel echte Mün&#x017F;terländer, da man<lb/>
kein Bei&#x017F;piel hat, daß &#x017F;ie Jemanden be&#x017F;chädigt oder<lb/>
ab&#x017F;ichtlich er&#x017F;chreckt hätten. Man unter&#x017F;cheidet &#x017F;ie in<lb/>
&#x201E;Timphüte&#x201C; und &#x201E;Langhüte.&#x201C; Die er&#x017F;teren kleine,<lb/>
runzliche Männchen, in altmodi&#x017F;cher Tracht, mit<lb/>
eisgrauem Barte und dreieckigem Hütchen; die an-<lb/>
deren übernatürlich lang und hager, mit langem<lb/>
Schlapphut, aber beide gleich wohlwollend, nur daß<lb/>
der Timphut be&#x017F;timmten Segen bringt, der Lang-<lb/>
hut dagegen nur Unglück zu verhüten &#x017F;ucht. Zu-<lb/>
weilen halten &#x017F;ie nur in den Umgebungen, den<lb/>
Alleen des Schlo&#x017F;&#x017F;es, dem Wald- und Wie&#x017F;en-<lb/>
grunde des Hofes ihre philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Spaziergänge;<lb/>
gewöhnlich haben &#x017F;ie jedoch außerdem einen Speicher<lb/>
oder eine wü&#x017F;te Bodenkammer inne, wo man &#x017F;ie<lb/>
zuweilen Nachts auf- und abgehen, oder einen<lb/>
knarrenden Haspel lang&#x017F;am umdrehen hört. Bei<lb/>
Feuersbrün&#x017F;ten hat man den Hausgei&#x017F;t &#x017F;chon ern&#x017F;t-<lb/>
haft aus den Flammen &#x017F;chreiten und einen Feldweg<lb/>
ein&#x017F;chlagen &#x017F;ehen, um nie wiederzukehren, und es<lb/>
war dann hundert gegen eins zu wetten, daß die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0303] ſterben oder verarmen werde. Dieſe beſitzen weder die häuslichen Geſchicklichkeiten, noch die Tücke an- derer Kobolde, ſondern ſind einſamer, träumeriſcher Natur, ſchreiten, wenn es dämmert, wie in tiefen Gedanken langſam und ſchweigend an irgend einer verſpäteten Milchmagd oder einem Kinde vorüber und find ohne Zweifel echte Münſterländer, da man kein Beiſpiel hat, daß ſie Jemanden beſchädigt oder abſichtlich erſchreckt hätten. Man unterſcheidet ſie in „Timphüte“ und „Langhüte.“ Die erſteren kleine, runzliche Männchen, in altmodiſcher Tracht, mit eisgrauem Barte und dreieckigem Hütchen; die an- deren übernatürlich lang und hager, mit langem Schlapphut, aber beide gleich wohlwollend, nur daß der Timphut beſtimmten Segen bringt, der Lang- hut dagegen nur Unglück zu verhüten ſucht. Zu- weilen halten ſie nur in den Umgebungen, den Alleen des Schloſſes, dem Wald- und Wieſen- grunde des Hofes ihre philoſophiſchen Spaziergänge; gewöhnlich haben ſie jedoch außerdem einen Speicher oder eine wüſte Bodenkammer inne, wo man ſie zuweilen Nachts auf- und abgehen, oder einen knarrenden Haspel langſam umdrehen hört. Bei Feuersbrünſten hat man den Hausgeiſt ſchon ernſt- haft aus den Flammen ſchreiten und einen Feldweg einſchlagen ſehen, um nie wiederzukehren, und es war dann hundert gegen eins zu wetten, daß die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/303
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/303>, abgerufen am 23.11.2024.