wie das Leichenmahl ihr Recht und sie sorgen mit dafür, daß der Todte ein feines Hemd erhält, recht viele schwarze Schleifen und einen recht flimmernden Kranz und Strauß von Spiegeln, Rauschgold und künstlichen Blumen, da er unfehlbar am jüngsten Tage in demselben Aufzuge erscheinen wird, wo sie dann Lob und Tadel mit den Hinterlassenen zu theilen haben. Der Münsterländer ist überhaupt sehr abergläubisch, sein Aberglaube aber so harmlos, wie er selber. Von Zauberkünsten weiß er nichts, von Hexen und bösen Geistern wenig, obwohl er sich sehr vor dem Teufel fürchtet, jedoch meint, daß dieser wenig Veranlassung finde, im Münsterlande umzugehen. Die häufigen Gespenster im Moor, Haide und Wald sind arme Seelen aus dem Fege- feuer, deren täglich in vielen tausend Rosenkränzen gedacht wird, und ohne Zweifel mit Nutzen, da man zu bemerken glaubt, daß die "Sonntags- spinnerin" ihre blutigen Arme immer seltener aus dem Gebüsche streckt, der "diebische Torfgräber" nicht halb so kläglich mehr im Moore ächzt und vollends der "kopflose Geiger" seinen Sitz auf dem Waldstege gänzlich verlassen zu haben scheint. Von den ebenfalls häufigen Hausgeistern in Schlössern und großen Bauernhöfen denkt man etwas unklar, aber auch nicht schlimm und glaubt, daß mit ihrem völligen Verschwinden die Familie des Besitzers aus-
wie das Leichenmahl ihr Recht und ſie ſorgen mit dafür, daß der Todte ein feines Hemd erhält, recht viele ſchwarze Schleifen und einen recht flimmernden Kranz und Strauß von Spiegeln, Rauſchgold und künſtlichen Blumen, da er unfehlbar am jüngſten Tage in demſelben Aufzuge erſcheinen wird, wo ſie dann Lob und Tadel mit den Hinterlaſſenen zu theilen haben. Der Münſterländer iſt überhaupt ſehr abergläubiſch, ſein Aberglaube aber ſo harmlos, wie er ſelber. Von Zauberkünſten weiß er nichts, von Hexen und böſen Geiſtern wenig, obwohl er ſich ſehr vor dem Teufel fürchtet, jedoch meint, daß dieſer wenig Veranlaſſung finde, im Münſterlande umzugehen. Die häufigen Geſpenſter im Moor, Haide und Wald ſind arme Seelen aus dem Fege- feuer, deren täglich in vielen tauſend Roſenkränzen gedacht wird, und ohne Zweifel mit Nutzen, da man zu bemerken glaubt, daß die „Sonntags- ſpinnerin“ ihre blutigen Arme immer ſeltener aus dem Gebüſche ſtreckt, der „diebiſche Torfgräber“ nicht halb ſo kläglich mehr im Moore ächzt und vollends der „kopfloſe Geiger“ ſeinen Sitz auf dem Waldſtege gänzlich verlaſſen zu haben ſcheint. Von den ebenfalls häufigen Hausgeiſtern in Schlöſſern und großen Bauernhöfen denkt man etwas unklar, aber auch nicht ſchlimm und glaubt, daß mit ihrem völligen Verſchwinden die Familie des Beſitzers aus-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0302"n="286"/>
wie das Leichenmahl ihr Recht und ſie ſorgen mit<lb/>
dafür, daß der Todte ein feines Hemd erhält, recht<lb/>
viele ſchwarze Schleifen und einen recht flimmernden<lb/>
Kranz und Strauß von Spiegeln, Rauſchgold und<lb/>
künſtlichen Blumen, da er unfehlbar am jüngſten<lb/>
Tage in demſelben Aufzuge erſcheinen wird, wo ſie<lb/>
dann Lob und Tadel mit den Hinterlaſſenen zu<lb/>
theilen haben. Der Münſterländer iſt überhaupt<lb/>ſehr abergläubiſch, ſein Aberglaube aber ſo harmlos,<lb/>
wie er ſelber. Von Zauberkünſten weiß er nichts,<lb/>
von Hexen und böſen Geiſtern wenig, obwohl er<lb/>ſich ſehr vor dem Teufel fürchtet, jedoch meint, daß<lb/>
dieſer wenig Veranlaſſung finde, im Münſterlande<lb/>
umzugehen. Die häufigen Geſpenſter im Moor,<lb/>
Haide und Wald ſind arme Seelen aus dem Fege-<lb/>
feuer, deren täglich in vielen tauſend Roſenkränzen<lb/>
gedacht wird, und ohne Zweifel mit Nutzen, da<lb/>
man zu bemerken glaubt, daß die „Sonntags-<lb/>ſpinnerin“ ihre blutigen Arme immer ſeltener aus<lb/>
dem Gebüſche ſtreckt, der „diebiſche Torfgräber“<lb/>
nicht halb ſo kläglich mehr im Moore ächzt und<lb/>
vollends der „kopfloſe Geiger“ſeinen Sitz auf dem<lb/>
Waldſtege gänzlich verlaſſen zu haben ſcheint. Von<lb/>
den ebenfalls häufigen Hausgeiſtern in Schlöſſern<lb/>
und großen Bauernhöfen denkt man etwas unklar,<lb/>
aber auch nicht ſchlimm und glaubt, daß mit ihrem<lb/>
völligen Verſchwinden die Familie des Beſitzers aus-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[286/0302]
wie das Leichenmahl ihr Recht und ſie ſorgen mit
dafür, daß der Todte ein feines Hemd erhält, recht
viele ſchwarze Schleifen und einen recht flimmernden
Kranz und Strauß von Spiegeln, Rauſchgold und
künſtlichen Blumen, da er unfehlbar am jüngſten
Tage in demſelben Aufzuge erſcheinen wird, wo ſie
dann Lob und Tadel mit den Hinterlaſſenen zu
theilen haben. Der Münſterländer iſt überhaupt
ſehr abergläubiſch, ſein Aberglaube aber ſo harmlos,
wie er ſelber. Von Zauberkünſten weiß er nichts,
von Hexen und böſen Geiſtern wenig, obwohl er
ſich ſehr vor dem Teufel fürchtet, jedoch meint, daß
dieſer wenig Veranlaſſung finde, im Münſterlande
umzugehen. Die häufigen Geſpenſter im Moor,
Haide und Wald ſind arme Seelen aus dem Fege-
feuer, deren täglich in vielen tauſend Roſenkränzen
gedacht wird, und ohne Zweifel mit Nutzen, da
man zu bemerken glaubt, daß die „Sonntags-
ſpinnerin“ ihre blutigen Arme immer ſeltener aus
dem Gebüſche ſtreckt, der „diebiſche Torfgräber“
nicht halb ſo kläglich mehr im Moore ächzt und
vollends der „kopfloſe Geiger“ ſeinen Sitz auf dem
Waldſtege gänzlich verlaſſen zu haben ſcheint. Von
den ebenfalls häufigen Hausgeiſtern in Schlöſſern
und großen Bauernhöfen denkt man etwas unklar,
aber auch nicht ſchlimm und glaubt, daß mit ihrem
völligen Verſchwinden die Familie des Beſitzers aus-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/302>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.