dem Stamm hinabgeglitten und starrte, die Arme über den Kopf verschlungen in das leise einschleichende Morgenroth. Plötzlich fuhr er auf: über sein Gesicht fuhr ein Blitz, er horchte einige Sekunden mit vorgebeugtem Oberleib wie ein Jagdhund, dem die Luft Witterung zuträgt. Dann schob er schnell zwei Finger in den Mund und pfiff gellend und anhaltend. -- "Fidel, du verfluchtes Thier!" Ein Steinwurf traf die Seite des unbesorgten Hundes, der vom Schlafe aufgeschreckt, zuerst um sich biß und dann heulend auf drei Beinen dort Trost suchte, von wo das Uebel ausgegangen war.
In demselben Augenblicke wurden die Zweige eines nahen Gebüsches fast ohne Geräusch zurück- geschoben und ein Mann trat heraus, im grünen Jagdrock, den silbernen Wappenschild am Arm, die gespannte Büchse in der Hand. Er ließ schnell seine Blicke über die Schlucht fahren und sie dann mit besonderer Schärfe auf dem Knaben verweilen, trat dann vor, winkte nach dem Gebüsch, und allmählig wurden 7 bis 8 Männer sichtbar, alle in ähnlicher Kleidung, Waidmesser im Gürtel und die gespannten Gewehre in der Hand.
"Friedrich, was war das?" fragte der zuerst Erschienene. -- "Ich wollte, daß der Racker auf der Stelle krepirte. Seinetwegen können die Kühe
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dem Stamm hinabgeglitten und ſtarrte, die Arme über den Kopf verſchlungen in das leiſe einſchleichende Morgenroth. Plötzlich fuhr er auf: über ſein Geſicht fuhr ein Blitz, er horchte einige Sekunden mit vorgebeugtem Oberleib wie ein Jagdhund, dem die Luft Witterung zuträgt. Dann ſchob er ſchnell zwei Finger in den Mund und pfiff gellend und anhaltend. — „Fidel, du verfluchtes Thier!“ Ein Steinwurf traf die Seite des unbeſorgten Hundes, der vom Schlafe aufgeſchreckt, zuerſt um ſich biß und dann heulend auf drei Beinen dort Troſt ſuchte, von wo das Uebel ausgegangen war.
In demſelben Augenblicke wurden die Zweige eines nahen Gebüſches faſt ohne Geräuſch zurück- geſchoben und ein Mann trat heraus, im grünen Jagdrock, den ſilbernen Wappenſchild am Arm, die geſpannte Büchſe in der Hand. Er ließ ſchnell ſeine Blicke über die Schlucht fahren und ſie dann mit beſonderer Schärfe auf dem Knaben verweilen, trat dann vor, winkte nach dem Gebüſch, und allmählig wurden 7 bis 8 Männer ſichtbar, alle in ähnlicher Kleidung, Waidmeſſer im Gürtel und die geſpannten Gewehre in der Hand.
„Friedrich, was war das?“ fragte der zuerſt Erſchienene. — „Ich wollte, daß der Racker auf der Stelle krepirte. Seinetwegen können die Kühe
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dem Stamm hinabgeglitten und ſtarrte, die Arme
über den Kopf verſchlungen in das leiſe einſchleichende
Morgenroth. Plötzlich fuhr er auf: über ſein
Geſicht fuhr ein Blitz, er horchte einige Sekunden
mit vorgebeugtem Oberleib wie ein Jagdhund, dem
die Luft Witterung zuträgt. Dann ſchob er ſchnell
zwei Finger in den Mund und pfiff gellend und
anhaltend. — „Fidel, du verfluchtes Thier!“ Ein
Steinwurf traf die Seite des unbeſorgten Hundes,
der vom Schlafe aufgeſchreckt, zuerſt um ſich biß
und dann heulend auf drei Beinen dort Troſt
ſuchte, von wo das Uebel ausgegangen war.
In demſelben Augenblicke wurden die Zweige
eines nahen Gebüſches faſt ohne Geräuſch zurück-
geſchoben und ein Mann trat heraus, im grünen
Jagdrock, den ſilbernen Wappenſchild am Arm,
die geſpannte Büchſe in der Hand. Er ließ ſchnell
ſeine Blicke über die Schlucht fahren und ſie dann
mit beſonderer Schärfe auf dem Knaben verweilen,
trat dann vor, winkte nach dem Gebüſch, und
allmählig wurden 7 bis 8 Männer ſichtbar, alle
in ähnlicher Kleidung, Waidmeſſer im Gürtel und
die geſpannten Gewehre in der Hand.
„Friedrich, was war das?“ fragte der zuerſt
Erſchienene. — „Ich wollte, daß der Racker auf
der Stelle krepirte. Seinetwegen können die Kühe
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schü… [mehr]
Die "Letzten Gaben" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle "Die Judenbuche" zuerst 1842 im "Morgenblatt für gebildete Leser"; die "Westfälischen Schilderungen" erschienen 1845 in den "Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte "Der Nachtwanderer", "Doppeltgänger" und "Halt fest!"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.
Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/193>, abgerufen am 16.07.2024.
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