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Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860.

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mir die Ohren vom Kopfe fressen." -- "Die
Canaille hat uns gesehen," sagte ein Anderer. --

"Morgen sollst du auf die Reise mit einem
Stein am Halse," fuhr Friedrich fort und stieß
nach dem Hunde. -- "Friedrich, stell dich nicht an
wie ein Narr! Du kennst mich und du verstehst
mich auch!" Ein Blick begleitete diese Worte, der
schnell wirkte. -- "Herr Brandes, denkt an meine
Mutter!" -- "Das thu' ich. Hast du nichts im
Walde gehört?" -- "Im Walde?" -- Der Knabe
warf einen raschen Blick auf des Försters Gesicht.
-- "Eure Holzfäller, sonst nichts." -- "Meine
Holzfäller!"

Die ohnehin dunkle Gesichtsfarbe des Försters
ging in tiefes Braunroth über. "Wie viele sind
ihrer, und wo treiben sie ihr Wesen?" -- "Wo-
hin Ihr sie geschickt habt; ich weiß es nicht." --
Brandes wandte sich zu seinen Gefährten: "Geht
voran; ich komme gleich nach."

Als einer nach dem andern im Dickicht ver-
schwunden war, trat Brandes dicht vor den Knaben:
"Friedrich", sagte er mit dem Ton unterdrückter
Wuth, "meine Geduld ist zu Ende; ich möchte dich
prügeln wie einen Hund, und mehr seid ihr auch
nicht werth. Ihr Lumpenpack, dem kein Ziegel
auf dem Dach gehört! Bis zum Betteln habt
ihr es, gottlob, bald gebracht, und an meiner Thür

mir die Ohren vom Kopfe freſſen.“ — „Die
Canaille hat uns geſehen,“ ſagte ein Anderer. —

„Morgen ſollſt du auf die Reiſe mit einem
Stein am Halſe,“ fuhr Friedrich fort und ſtieß
nach dem Hunde. — „Friedrich, ſtell dich nicht an
wie ein Narr! Du kennſt mich und du verſtehſt
mich auch!“ Ein Blick begleitete dieſe Worte, der
ſchnell wirkte. — „Herr Brandes, denkt an meine
Mutter!“ — „Das thu’ ich. Haſt du nichts im
Walde gehört?“ — „Im Walde?“ — Der Knabe
warf einen raſchen Blick auf des Förſters Geſicht.
— „Eure Holzfäller, ſonſt nichts.“ — „Meine
Holzfäller!“

Die ohnehin dunkle Geſichtsfarbe des Förſters
ging in tiefes Braunroth über. „Wie viele ſind
ihrer, und wo treiben ſie ihr Weſen?“ — „Wo-
hin Ihr ſie geſchickt habt; ich weiß es nicht.“ —
Brandes wandte ſich zu ſeinen Gefährten: „Geht
voran; ich komme gleich nach.“

Als einer nach dem andern im Dickicht ver-
ſchwunden war, trat Brandes dicht vor den Knaben:
„Friedrich“, ſagte er mit dem Ton unterdrückter
Wuth, „meine Geduld iſt zu Ende; ich möchte dich
prügeln wie einen Hund, und mehr ſeid ihr auch
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[178/0194] mir die Ohren vom Kopfe freſſen.“ — „Die Canaille hat uns geſehen,“ ſagte ein Anderer. — „Morgen ſollſt du auf die Reiſe mit einem Stein am Halſe,“ fuhr Friedrich fort und ſtieß nach dem Hunde. — „Friedrich, ſtell dich nicht an wie ein Narr! Du kennſt mich und du verſtehſt mich auch!“ Ein Blick begleitete dieſe Worte, der ſchnell wirkte. — „Herr Brandes, denkt an meine Mutter!“ — „Das thu’ ich. Haſt du nichts im Walde gehört?“ — „Im Walde?“ — Der Knabe warf einen raſchen Blick auf des Förſters Geſicht. — „Eure Holzfäller, ſonſt nichts.“ — „Meine Holzfäller!“ Die ohnehin dunkle Geſichtsfarbe des Förſters ging in tiefes Braunroth über. „Wie viele ſind ihrer, und wo treiben ſie ihr Weſen?“ — „Wo- hin Ihr ſie geſchickt habt; ich weiß es nicht.“ — Brandes wandte ſich zu ſeinen Gefährten: „Geht voran; ich komme gleich nach.“ Als einer nach dem andern im Dickicht ver- ſchwunden war, trat Brandes dicht vor den Knaben: „Friedrich“, ſagte er mit dem Ton unterdrückter Wuth, „meine Geduld iſt zu Ende; ich möchte dich prügeln wie einen Hund, und mehr ſeid ihr auch nicht werth. Ihr Lumpenpack, dem kein Ziegel auf dem Dach gehört! Bis zum Betteln habt ihr es, gottlob, bald gebracht, und an meiner Thür

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Letzte Gaben. Nachgelassene Blätter. Hrsg. v. Levin Schücking. Hannover, 1860, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_letzte_1860/194>, abgerufen am 21.05.2024.