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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.

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Die Sünderin.

Der Polizeibeamte schien allmählig doch von der rüh¬
renden, so ganz mit der Welt unbekannten Einfachheit
der jungen Mutter erweicht zu werden, und fragte
milder:

"Aber können Sie denn von dem Vater des Kindes
keine Unterstützung bekommen, denn Sie sehen doch ein,
daß Sie irgend eine Unterhaltsquelle haben müssen?"--

Daran hatte sie nicht gedacht, sie wußte gar nicht
einmal, wo der Vater war. Was konnte sie das bisher
auch kümmern?

"Das ist schlimm, mein Kind!" sagte der Beamte
theilnehmend. "Wenn Sie keine Erwerbsquelle nachzu¬
weisen vermögen, so ist anzunehmen, daß Sie und Ihr
Kind demnächst der Gemeinde zur Last fallen werden,
und meine Instruktionen lauten bestimmt dahin, Sie
schon in drei Tagen, falls Sie bis dahin keinen Dienst¬
schein beibringen, nach Ihrer Heimath zu verweisen. Es
ist daher das Beste, was ich Ihnen nur rathen kann,
daß Sie Ihr Kind in Pflege geben und sich wieder eine
Stelle suchen. -- Kommen Sie dann zu mir, damit ich
Ihnen den Schein ausstelle." --

Mit diesen Worten begab er sich fort, Mathilden in
der tödtlichsten Verzweiflung ihrer rathlosen Seele zurück¬

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Die Suͤnderin.

Der Polizeibeamte ſchien allmaͤhlig doch von der ruͤh¬
renden, ſo ganz mit der Welt unbekannten Einfachheit
der jungen Mutter erweicht zu werden, und fragte
milder:

„Aber koͤnnen Sie denn von dem Vater des Kindes
keine Unterſtuͤtzung bekommen, denn Sie ſehen doch ein,
daß Sie irgend eine Unterhaltsquelle haben muͤſſen?“—

Daran hatte ſie nicht gedacht, ſie wußte gar nicht
einmal, wo der Vater war. Was konnte ſie das bisher
auch kuͤmmern?

„Das iſt ſchlimm, mein Kind!“ ſagte der Beamte
theilnehmend. „Wenn Sie keine Erwerbsquelle nachzu¬
weiſen vermoͤgen, ſo iſt anzunehmen, daß Sie und Ihr
Kind demnaͤchſt der Gemeinde zur Laſt fallen werden,
und meine Inſtruktionen lauten beſtimmt dahin, Sie
ſchon in drei Tagen, falls Sie bis dahin keinen Dienſt¬
ſchein beibringen, nach Ihrer Heimath zu verweiſen. Es
iſt daher das Beſte, was ich Ihnen nur rathen kann,
daß Sie Ihr Kind in Pflege geben und ſich wieder eine
Stelle ſuchen. — Kommen Sie dann zu mir, damit ich
Ihnen den Schein ausſtelle.“ —

Mit dieſen Worten begab er ſich fort, Mathilden in
der toͤdtlichſten Verzweiflung ihrer rathloſen Seele zuruͤck¬

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[81/0095] Die Suͤnderin. Der Polizeibeamte ſchien allmaͤhlig doch von der ruͤh¬ renden, ſo ganz mit der Welt unbekannten Einfachheit der jungen Mutter erweicht zu werden, und fragte milder: „Aber koͤnnen Sie denn von dem Vater des Kindes keine Unterſtuͤtzung bekommen, denn Sie ſehen doch ein, daß Sie irgend eine Unterhaltsquelle haben muͤſſen?“— Daran hatte ſie nicht gedacht, ſie wußte gar nicht einmal, wo der Vater war. Was konnte ſie das bisher auch kuͤmmern? „Das iſt ſchlimm, mein Kind!“ ſagte der Beamte theilnehmend. „Wenn Sie keine Erwerbsquelle nachzu¬ weiſen vermoͤgen, ſo iſt anzunehmen, daß Sie und Ihr Kind demnaͤchſt der Gemeinde zur Laſt fallen werden, und meine Inſtruktionen lauten beſtimmt dahin, Sie ſchon in drei Tagen, falls Sie bis dahin keinen Dienſt¬ ſchein beibringen, nach Ihrer Heimath zu verweiſen. Es iſt daher das Beſte, was ich Ihnen nur rathen kann, daß Sie Ihr Kind in Pflege geben und ſich wieder eine Stelle ſuchen. — Kommen Sie dann zu mir, damit ich Ihnen den Schein ausſtelle.“ — Mit dieſen Worten begab er ſich fort, Mathilden in der toͤdtlichſten Verzweiflung ihrer rathloſen Seele zuruͤck¬ 6

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Zitationshilfe: Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/95>, abgerufen am 22.05.2024.