Mathilde war aus einer kleinen Provinzialstadt un¬ weit der Residenz. Ihr Vater, ein armer Handwerker, mußte sich sein kümmerlich Leben sauer werden lassen, denn die Familie war stark und der Verdienst von seiner fleißigen Hände Arbeit gering. Mathilde, als die Ael¬ teste unter den Kindern, mußte zuerst versorgt werden, -- was man nämlich bei Armen so versorgen heißt. Sobald sie in die Jahre kommen, wo sie einigermaßen Arbeit erhalten können, werden sie außer dem Hause bei Fremden in Dienst oder Lehre gegeben. Alsdann fallen sie den Aeltern nicht mehr zur "Last," und die Aeltern glauben sie hinlänglich versorgt zu wissen, wenn sie keine Nahrungssorgen mehr um dieselben haben. Mathilde sollte daher in Dienst gehen. Aber in der kleinen Stadt giebt es keinen bedeutenden Lohn; in der Residenz ist es besser, da wird sie gut gehalten und kann sich etwas er¬ sparen, ja vielleicht ihr Glück machen, -- auch ist sie da entfernter von Hause. Mathilde wurde also nach der Residenz geschickt.
Hier fand sie denn bald einen Dienst in einer Schenkwirthschaft. Sie war fleißig, willig und treu, und erwarb sich schnell die Zufriedenheit ihrer Dienstherr¬ schaft. Die Gäste waren nicht minder zufrieden mit der
Die Suͤnderin.
Mathilde war aus einer kleinen Provinzialſtadt un¬ weit der Reſidenz. Ihr Vater, ein armer Handwerker, mußte ſich ſein kuͤmmerlich Leben ſauer werden laſſen, denn die Familie war ſtark und der Verdienſt von ſeiner fleißigen Haͤnde Arbeit gering. Mathilde, als die Ael¬ teſte unter den Kindern, mußte zuerſt verſorgt werden, — was man naͤmlich bei Armen ſo verſorgen heißt. Sobald ſie in die Jahre kommen, wo ſie einigermaßen Arbeit erhalten koͤnnen, werden ſie außer dem Hauſe bei Fremden in Dienſt oder Lehre gegeben. Alsdann fallen ſie den Aeltern nicht mehr zur „Laſt,“ und die Aeltern glauben ſie hinlaͤnglich verſorgt zu wiſſen, wenn ſie keine Nahrungsſorgen mehr um dieſelben haben. Mathilde ſollte daher in Dienſt gehen. Aber in der kleinen Stadt giebt es keinen bedeutenden Lohn; in der Reſidenz iſt es beſſer, da wird ſie gut gehalten und kann ſich etwas er¬ ſparen, ja vielleicht ihr Gluͤck machen, — auch iſt ſie da entfernter von Hauſe. Mathilde wurde alſo nach der Reſidenz geſchickt.
Hier fand ſie denn bald einen Dienſt in einer Schenkwirthſchaft. Sie war fleißig, willig und treu, und erwarb ſich ſchnell die Zufriedenheit ihrer Dienſtherr¬ ſchaft. Die Gaͤſte waren nicht minder zufrieden mit der
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Die Suͤnderin.
Mathilde war aus einer kleinen Provinzialſtadt un¬
weit der Reſidenz. Ihr Vater, ein armer Handwerker,
mußte ſich ſein kuͤmmerlich Leben ſauer werden laſſen,
denn die Familie war ſtark und der Verdienſt von ſeiner
fleißigen Haͤnde Arbeit gering. Mathilde, als die Ael¬
teſte unter den Kindern, mußte zuerſt verſorgt werden,
— was man naͤmlich bei Armen ſo verſorgen heißt.
Sobald ſie in die Jahre kommen, wo ſie einigermaßen
Arbeit erhalten koͤnnen, werden ſie außer dem Hauſe bei
Fremden in Dienſt oder Lehre gegeben. Alsdann fallen
ſie den Aeltern nicht mehr zur „Laſt,“ und die Aeltern
glauben ſie hinlaͤnglich verſorgt zu wiſſen, wenn ſie keine
Nahrungsſorgen mehr um dieſelben haben. Mathilde
ſollte daher in Dienſt gehen. Aber in der kleinen Stadt
giebt es keinen bedeutenden Lohn; in der Reſidenz iſt es
beſſer, da wird ſie gut gehalten und kann ſich etwas er¬
ſparen, ja vielleicht ihr Gluͤck machen, — auch iſt ſie
da entfernter von Hauſe. Mathilde wurde alſo nach
der Reſidenz geſchickt.
Hier fand ſie denn bald einen Dienſt in einer
Schenkwirthſchaft. Sie war fleißig, willig und treu, und
erwarb ſich ſchnell die Zufriedenheit ihrer Dienſtherr¬
ſchaft. Die Gaͤſte waren nicht minder zufrieden mit der
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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/85>, abgerufen am 07.07.2024.
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