Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dincklage, Emmy von: Der Striethast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [180]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

herauszuputzen. Verheirathete sie schon Fremde gegen ihren Willen, so strafte sie die, welche nicht in Sanne's Gunst standen, oder deren Kinder, allemal mit einer muthmaßlich unglücklichen Ehe. Sie wartete gern zwanzig Jahre zu diesem Zwecke, bis die Unmündigen herangewachsen waren, und ging dann mit bewunderungswerther Klugheit und in erbaulichster Art zu Werke. Die Wilden fressen ihre Feinde, die Zahmen bekriegen und berauben sie -- Susanne Twistbrink steuerte sie aus. Leffert verfiel der Erbsünde seines Vaters, Haye Slootmann, von dem ersten Tage seines Daseins an. Vor sechsundvierzig Jahren wurde Haye nämlich an einem Donnerstag, der zugleich ein Festtag war, von Sanne als Bewerber abgewiesen, am Sonntag derselben Woche aber ließ sich Haye bereits mit einem andern Mädchen als demnächstiger Ehemann "kündigen", so daß sich die ganze Gemeinde lächelnd Zeichen und Winke gab, denn Haye's Verlobte war ein sehr schönes, sehr armes Mädchen, indeß Sanne ein sehr reiches und sehr unschönes Frauenzimmer war. Zwanzig Jahre später starb Haye's schöne Frau, seine Familie hatte sich indeß um sechs Kinder vermehrt, dagegen sein Vermögen um ein Erkleckliches vermindert. Der muntere Wittwer dachte, seine alte Auserwählte möchte inzwischen andern und mildern Sinnes geworden sein, und stellte sich ihr von Neuem als Bewerber vor. Die würdige Bäuerin war sehr holdselig, zeigte ihm ihre mit dem schönsten Vieh angefüllten Ställe und ihre üppigen Saatfelder, und

herauszuputzen. Verheirathete sie schon Fremde gegen ihren Willen, so strafte sie die, welche nicht in Sanne's Gunst standen, oder deren Kinder, allemal mit einer muthmaßlich unglücklichen Ehe. Sie wartete gern zwanzig Jahre zu diesem Zwecke, bis die Unmündigen herangewachsen waren, und ging dann mit bewunderungswerther Klugheit und in erbaulichster Art zu Werke. Die Wilden fressen ihre Feinde, die Zahmen bekriegen und berauben sie — Susanne Twistbrink steuerte sie aus. Leffert verfiel der Erbsünde seines Vaters, Haye Slootmann, von dem ersten Tage seines Daseins an. Vor sechsundvierzig Jahren wurde Haye nämlich an einem Donnerstag, der zugleich ein Festtag war, von Sanne als Bewerber abgewiesen, am Sonntag derselben Woche aber ließ sich Haye bereits mit einem andern Mädchen als demnächstiger Ehemann „kündigen“, so daß sich die ganze Gemeinde lächelnd Zeichen und Winke gab, denn Haye's Verlobte war ein sehr schönes, sehr armes Mädchen, indeß Sanne ein sehr reiches und sehr unschönes Frauenzimmer war. Zwanzig Jahre später starb Haye's schöne Frau, seine Familie hatte sich indeß um sechs Kinder vermehrt, dagegen sein Vermögen um ein Erkleckliches vermindert. Der muntere Wittwer dachte, seine alte Auserwählte möchte inzwischen andern und mildern Sinnes geworden sein, und stellte sich ihr von Neuem als Bewerber vor. Die würdige Bäuerin war sehr holdselig, zeigte ihm ihre mit dem schönsten Vieh angefüllten Ställe und ihre üppigen Saatfelder, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0022"/>
herauszuputzen. Verheirathete sie schon Fremde gegen ihren Willen, so strafte sie      die, welche nicht in Sanne's Gunst standen, oder deren Kinder, allemal mit einer muthmaßlich      unglücklichen Ehe. Sie wartete gern zwanzig Jahre zu diesem Zwecke, bis die Unmündigen      herangewachsen waren, und ging dann mit bewunderungswerther Klugheit und in erbaulichster Art      zu Werke. Die Wilden fressen ihre Feinde, die Zahmen bekriegen und berauben sie &#x2014; Susanne      Twistbrink steuerte sie aus. Leffert verfiel der Erbsünde seines Vaters, Haye Slootmann, von      dem ersten Tage seines Daseins an. Vor sechsundvierzig Jahren wurde Haye nämlich an einem      Donnerstag, der zugleich ein Festtag war, von Sanne als Bewerber abgewiesen, am Sonntag      derselben Woche aber ließ sich Haye bereits mit einem andern Mädchen als demnächstiger Ehemann      &#x201E;kündigen&#x201C;, so daß sich die ganze Gemeinde lächelnd Zeichen und Winke gab, denn Haye's Verlobte      war ein sehr schönes, sehr armes Mädchen, indeß Sanne ein sehr reiches und sehr unschönes      Frauenzimmer war. Zwanzig Jahre später starb Haye's schöne Frau, seine Familie hatte sich indeß      um sechs Kinder vermehrt, dagegen sein Vermögen um ein Erkleckliches vermindert. Der muntere      Wittwer dachte, seine alte Auserwählte möchte inzwischen andern und mildern Sinnes geworden      sein, und stellte sich ihr von Neuem als Bewerber vor. Die würdige Bäuerin war sehr holdselig,      zeigte ihm ihre mit dem schönsten Vieh angefüllten Ställe und ihre üppigen Saatfelder, und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0022] herauszuputzen. Verheirathete sie schon Fremde gegen ihren Willen, so strafte sie die, welche nicht in Sanne's Gunst standen, oder deren Kinder, allemal mit einer muthmaßlich unglücklichen Ehe. Sie wartete gern zwanzig Jahre zu diesem Zwecke, bis die Unmündigen herangewachsen waren, und ging dann mit bewunderungswerther Klugheit und in erbaulichster Art zu Werke. Die Wilden fressen ihre Feinde, die Zahmen bekriegen und berauben sie — Susanne Twistbrink steuerte sie aus. Leffert verfiel der Erbsünde seines Vaters, Haye Slootmann, von dem ersten Tage seines Daseins an. Vor sechsundvierzig Jahren wurde Haye nämlich an einem Donnerstag, der zugleich ein Festtag war, von Sanne als Bewerber abgewiesen, am Sonntag derselben Woche aber ließ sich Haye bereits mit einem andern Mädchen als demnächstiger Ehemann „kündigen“, so daß sich die ganze Gemeinde lächelnd Zeichen und Winke gab, denn Haye's Verlobte war ein sehr schönes, sehr armes Mädchen, indeß Sanne ein sehr reiches und sehr unschönes Frauenzimmer war. Zwanzig Jahre später starb Haye's schöne Frau, seine Familie hatte sich indeß um sechs Kinder vermehrt, dagegen sein Vermögen um ein Erkleckliches vermindert. Der muntere Wittwer dachte, seine alte Auserwählte möchte inzwischen andern und mildern Sinnes geworden sein, und stellte sich ihr von Neuem als Bewerber vor. Die würdige Bäuerin war sehr holdselig, zeigte ihm ihre mit dem schönsten Vieh angefüllten Ställe und ihre üppigen Saatfelder, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:59:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:59:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dincklage_striethast_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dincklage_striethast_1910/22
Zitationshilfe: Dincklage, Emmy von: Der Striethast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [180]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dincklage_striethast_1910/22>, abgerufen am 22.11.2024.