Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_479.001 Und die Welt dieses Helden? Die neueren Völker haben pdi_479.011 pdi_479.001 Und die Welt dieses Helden? Die neueren Völker haben pdi_479.011 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0181" n="479"/><lb n="pdi_479.001"/> ringt, allerletzt aber sie bezwingt. Auch in den Tondichtungen <lb n="pdi_479.002"/> Richard Wagners ist dies vor Allem das dramatisch Ergreifende, <lb n="pdi_479.003"/> dass sie Heldenbilder hinstellen und den Zauber des Heldenthums <lb n="pdi_479.004"/> auszudrücken vermögen. Auf den modernen Menschen wird <lb n="pdi_479.005"/> die mächtig, realistisch hingestellte ganze Person, der heldenhafte <lb n="pdi_479.006"/> Mensch, der mit sich und der Wirklichkeit ringt und <lb n="pdi_479.007"/> Sieger bleibt, wie arg zugerichtet er auch aus dem Kampf <lb n="pdi_479.008"/> hervorgehe, allein so erhebend und innerlich erlösend wirken <lb n="pdi_479.009"/> können als die tragische Trilogie auf Zeitgenossen des Aeschylos.</p> <lb n="pdi_479.010"/> <p> Und die Welt dieses Helden? Die neueren Völker haben <lb n="pdi_479.011"/> von der Zeit ab, in welcher uns breitere Massen ihrer Dichtung <lb n="pdi_479.012"/> erhalten sind, zwei grosse Ordnungen der Gesellschaft hervorgebracht <lb n="pdi_479.013"/> und deren Gefühlsgehalt in zwei Blüthezeiten ihrer <lb n="pdi_479.014"/> Dichtung dargestellt. In der Morgendämmerung des dritten <lb n="pdi_479.015"/> Zeitalters leben wir. Die feudale Gesellschaftsordnung gründete <lb n="pdi_479.016"/> sich auf den permanenten kleinen und grossen Krieg, die <lb n="pdi_479.017"/> Kraft des Soldaten und die so entspringende Besitzvertheilung. <lb n="pdi_479.018"/> Kriegerischer Muth, feudale Treue, ritterliche Liebe und Ehre und <lb n="pdi_479.019"/> katholischer Glaube waren die Triebfedern, die das Leben eines <lb n="pdi_479.020"/> damaligen Mannes in Bewegung erhielten. Und das Epos war <lb n="pdi_479.021"/> Schöpfung und Spiegel dieser Zeit. Dann schuf das Königthum <lb n="pdi_479.022"/> Einheitsstaaten mit einer sich die Feudalherren unterwerfenden <lb n="pdi_479.023"/> Verwaltung und bereitete in diesen Einheitsstaaten dem Handel, <lb n="pdi_479.024"/> der Industrie und dem wissenschaftlichen Denken weiteren <lb n="pdi_479.025"/> Raum und freiere Bewegung. Schöpfung und Spiegel dieser <lb n="pdi_479.026"/> Zeit ist das neuere Theater. Man vernimmt auf der Bühne <lb n="pdi_479.027"/> des Shakespeare und Lope noch den kriegerischen Lärm der <lb n="pdi_479.028"/> letzten Kämpfe zwischen dem Königthum und den feudalen <lb n="pdi_479.029"/> Herren. Das französische Theater repräsentirt die Epoche der <lb n="pdi_479.030"/> absoluten Monarchie in ihren stärksten und zartesten Gefühlen. <lb n="pdi_479.031"/> Der grösste König, den das neuere Europa sah, unser Friedrich II., <lb n="pdi_479.032"/> fand auf den Schlachtfeldern des siebenjährigen Krieges, in den <lb n="pdi_479.033"/> Krisen seiner Existenz den Ausdruck seines heroischen Lebensgefühls <lb n="pdi_479.034"/> in den Versen von Racine. Denn diese Personen redeten <lb n="pdi_479.035"/> und geberdeten sich königlich. Und er liebte in den Versen <lb n="pdi_479.036"/> Voltaires das siegreiche Spiel des Verstandes mit dem Leben </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [479/0181]
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ringt, allerletzt aber sie bezwingt. Auch in den Tondichtungen pdi_479.002
Richard Wagners ist dies vor Allem das dramatisch Ergreifende, pdi_479.003
dass sie Heldenbilder hinstellen und den Zauber des Heldenthums pdi_479.004
auszudrücken vermögen. Auf den modernen Menschen wird pdi_479.005
die mächtig, realistisch hingestellte ganze Person, der heldenhafte pdi_479.006
Mensch, der mit sich und der Wirklichkeit ringt und pdi_479.007
Sieger bleibt, wie arg zugerichtet er auch aus dem Kampf pdi_479.008
hervorgehe, allein so erhebend und innerlich erlösend wirken pdi_479.009
können als die tragische Trilogie auf Zeitgenossen des Aeschylos.
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Und die Welt dieses Helden? Die neueren Völker haben pdi_479.011
von der Zeit ab, in welcher uns breitere Massen ihrer Dichtung pdi_479.012
erhalten sind, zwei grosse Ordnungen der Gesellschaft hervorgebracht pdi_479.013
und deren Gefühlsgehalt in zwei Blüthezeiten ihrer pdi_479.014
Dichtung dargestellt. In der Morgendämmerung des dritten pdi_479.015
Zeitalters leben wir. Die feudale Gesellschaftsordnung gründete pdi_479.016
sich auf den permanenten kleinen und grossen Krieg, die pdi_479.017
Kraft des Soldaten und die so entspringende Besitzvertheilung. pdi_479.018
Kriegerischer Muth, feudale Treue, ritterliche Liebe und Ehre und pdi_479.019
katholischer Glaube waren die Triebfedern, die das Leben eines pdi_479.020
damaligen Mannes in Bewegung erhielten. Und das Epos war pdi_479.021
Schöpfung und Spiegel dieser Zeit. Dann schuf das Königthum pdi_479.022
Einheitsstaaten mit einer sich die Feudalherren unterwerfenden pdi_479.023
Verwaltung und bereitete in diesen Einheitsstaaten dem Handel, pdi_479.024
der Industrie und dem wissenschaftlichen Denken weiteren pdi_479.025
Raum und freiere Bewegung. Schöpfung und Spiegel dieser pdi_479.026
Zeit ist das neuere Theater. Man vernimmt auf der Bühne pdi_479.027
des Shakespeare und Lope noch den kriegerischen Lärm der pdi_479.028
letzten Kämpfe zwischen dem Königthum und den feudalen pdi_479.029
Herren. Das französische Theater repräsentirt die Epoche der pdi_479.030
absoluten Monarchie in ihren stärksten und zartesten Gefühlen. pdi_479.031
Der grösste König, den das neuere Europa sah, unser Friedrich II., pdi_479.032
fand auf den Schlachtfeldern des siebenjährigen Krieges, in den pdi_479.033
Krisen seiner Existenz den Ausdruck seines heroischen Lebensgefühls pdi_479.034
in den Versen von Racine. Denn diese Personen redeten pdi_479.035
und geberdeten sich königlich. Und er liebte in den Versen pdi_479.036
Voltaires das siegreiche Spiel des Verstandes mit dem Leben
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