Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_310.001 Die Aufgabe der Poetik, welche sich aus dieser ihrer lebendigen pdi_310.015 Auch unter einem zweiten Gesichtspunkte ist eine Poetik pdi_310.032 pdi_310.001 Die Aufgabe der Poetik, welche sich aus dieser ihrer lebendigen pdi_310.015 Auch unter einem zweiten Gesichtspunkte ist eine Poetik pdi_310.032 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0012" n="310"/><lb n="pdi_310.001"/> Kunst bedarf durchgängig einer Schulung der Künstler und <lb n="pdi_310.002"/> einer Erziehung des Publicums durch die ästhetische Besinnung, <lb n="pdi_310.003"/> soll ihr höherer Charakter den gemeinen Instincten der Masse <lb n="pdi_310.004"/> gegenüber ausgebildet, gewürdigt und vertheidigt werden. Ist <lb n="pdi_310.005"/> nicht der grosse Styl unsrer Dichtung nur aufrecht erhalten <lb n="pdi_310.006"/> worden durch die königliche Gewalt unsrer beiden Dichter, die <lb n="pdi_310.007"/> in Weimar residirten? Vermittelst einer von Weimar aus geleiteten <lb n="pdi_310.008"/> umfassenden ästhetischen Beeinflussung, unterstützt von <lb n="pdi_310.009"/> verfügbaren Zeitschriften, nicht ohne den Terrorismus der <lb n="pdi_310.010"/> Xenien haben sie Kotzebue, Iffland, Nicolai niedergehalten und <lb n="pdi_310.011"/> das liebe deutsche Publicum in seinem Glauben an Hermann <lb n="pdi_310.012"/> und Dorothea und die Braut von Messina gehoben und bestärkt. <lb n="pdi_310.013"/> Dieser Glaube ist demselben nicht natürlich gewesen.</p> <lb n="pdi_310.014"/> <p> Die Aufgabe der Poetik, welche sich aus dieser ihrer lebendigen <lb n="pdi_310.015"/> Beziehung zur Kunstübung selber ergiebt, ist: kann sie <lb n="pdi_310.016"/> allgemeingültige Gesetze gewinnen, welche als Regeln des <lb n="pdi_310.017"/> Schaffens und als Normen der Kritik brauchbar sind? Und wie <lb n="pdi_310.018"/> verhält sich die Technik einer gegebenen Zeit und Nation zu <lb n="pdi_310.019"/> diesen allgemeinen Regeln? Wie überwinden wir doch die <lb n="pdi_310.020"/> überall auf den Geisteswissenschaften lastende Schwierigkeit, <lb n="pdi_310.021"/> allgemeingültige Sätze abzuleiten aus den inneren Erfahrungen, <lb n="pdi_310.022"/> die so persönlich beschränkt, so unbestimmt, so zusammengesetzt <lb n="pdi_310.023"/> und doch unzerlegbar sind? Die alte Aufgabe der Poetik tritt <lb n="pdi_310.024"/> hier wieder auf, und es fragt sich, ob sie nun durch die Hilfsmittel, <lb n="pdi_310.025"/> welche uns die Erweiterung des wissenschaftlichen Gesichtskreises <lb n="pdi_310.026"/> zur Verfügung stellt, gelöst werden könne. Und <lb n="pdi_310.027"/> zwar gestatten die empirischen und technischen Gesichtspunkte <lb n="pdi_310.028"/> der Gegenwart, dass wir von der Poetik und den nebengeordneten <lb n="pdi_310.029"/> ästhetischen Einzelwissenschaften zu einer allgemeinen Aesthetik <lb n="pdi_310.030"/> aufsteigen.</p> <lb n="pdi_310.031"/> <p> Auch unter einem zweiten Gesichtspunkte ist eine Poetik <lb n="pdi_310.032"/> ein unabweisbares Bedürfniss der Gegenwart geworden. Die <lb n="pdi_310.033"/> unübersehbare Masse dichterischer Werke aller Völker muss <lb n="pdi_310.034"/> für die Zwecke des lebendigen Genusses, der historischen Causalerkenntniss <lb n="pdi_310.035"/> und der pädagogischen Praxis geordnet, dem Werthe <lb n="pdi_310.036"/> nach taxirt und für das Studium des Menschen sowie der Geschichte </p> </div> </body> </text> </TEI> [310/0012]
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Kunst bedarf durchgängig einer Schulung der Künstler und pdi_310.002
einer Erziehung des Publicums durch die ästhetische Besinnung, pdi_310.003
soll ihr höherer Charakter den gemeinen Instincten der Masse pdi_310.004
gegenüber ausgebildet, gewürdigt und vertheidigt werden. Ist pdi_310.005
nicht der grosse Styl unsrer Dichtung nur aufrecht erhalten pdi_310.006
worden durch die königliche Gewalt unsrer beiden Dichter, die pdi_310.007
in Weimar residirten? Vermittelst einer von Weimar aus geleiteten pdi_310.008
umfassenden ästhetischen Beeinflussung, unterstützt von pdi_310.009
verfügbaren Zeitschriften, nicht ohne den Terrorismus der pdi_310.010
Xenien haben sie Kotzebue, Iffland, Nicolai niedergehalten und pdi_310.011
das liebe deutsche Publicum in seinem Glauben an Hermann pdi_310.012
und Dorothea und die Braut von Messina gehoben und bestärkt. pdi_310.013
Dieser Glaube ist demselben nicht natürlich gewesen.
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Die Aufgabe der Poetik, welche sich aus dieser ihrer lebendigen pdi_310.015
Beziehung zur Kunstübung selber ergiebt, ist: kann sie pdi_310.016
allgemeingültige Gesetze gewinnen, welche als Regeln des pdi_310.017
Schaffens und als Normen der Kritik brauchbar sind? Und wie pdi_310.018
verhält sich die Technik einer gegebenen Zeit und Nation zu pdi_310.019
diesen allgemeinen Regeln? Wie überwinden wir doch die pdi_310.020
überall auf den Geisteswissenschaften lastende Schwierigkeit, pdi_310.021
allgemeingültige Sätze abzuleiten aus den inneren Erfahrungen, pdi_310.022
die so persönlich beschränkt, so unbestimmt, so zusammengesetzt pdi_310.023
und doch unzerlegbar sind? Die alte Aufgabe der Poetik tritt pdi_310.024
hier wieder auf, und es fragt sich, ob sie nun durch die Hilfsmittel, pdi_310.025
welche uns die Erweiterung des wissenschaftlichen Gesichtskreises pdi_310.026
zur Verfügung stellt, gelöst werden könne. Und pdi_310.027
zwar gestatten die empirischen und technischen Gesichtspunkte pdi_310.028
der Gegenwart, dass wir von der Poetik und den nebengeordneten pdi_310.029
ästhetischen Einzelwissenschaften zu einer allgemeinen Aesthetik pdi_310.030
aufsteigen.
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Auch unter einem zweiten Gesichtspunkte ist eine Poetik pdi_310.032
ein unabweisbares Bedürfniss der Gegenwart geworden. Die pdi_310.033
unübersehbare Masse dichterischer Werke aller Völker muss pdi_310.034
für die Zwecke des lebendigen Genusses, der historischen Causalerkenntniss pdi_310.035
und der pädagogischen Praxis geordnet, dem Werthe pdi_310.036
nach taxirt und für das Studium des Menschen sowie der Geschichte
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