der Kultur, um deren Erkenntniß es sich hier handelt, zu der äußern Organisation der Gesellschaft stehen, wenden wir uns nun- mehr zu den allgemeinen Eigenschaften der Wissenschaften von den Systemen der Kultur sowie zu den Fragen über die Abgrenzung des Umfangs dieser Wissenschaften.
Die Erkenntniß der Systeme der Kultur. Sittenlehre ist eine Wissenschaft von einem System der Kultur.
Die Erkenntniß eines einzelnen Systems vollzieht sich in einem Zusammenhang methodischer Operationen, welche durch die Stellung desselben innerhalb der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit bedingt ist. Ihre Hilfsmittel sind mannigfach: Zergliederung des Systems, Vergleichung der Einzelgestalten, welche es in sich faßt, Verwerthung der Beziehungen, in welchen dies Untersuchungs- gebiet einerseits zu der psychologischen Erkenntniß der Lebens- einheiten steht, welche die Elemente der das System bildenden Wechselwirkungen sind, andrerseits zu dem geschichtlich-gesellschaft- lichen Zusammenhang, aus welchem es für die Untersuchung aus- gesondert ist. Aber der Erkenntnißvorgang selber ist nur Einer. Die Unhaltbarkeit der Sonderung philosophischer und posi- tiver Untersuchung ergiebt sich einfach daraus, daß die Begriffe, deren sich diese Erkenntnisse bedienen (z. B. im Recht der Wille, die Zurechnungsfähigkeit etc., in der Kunst die Einbildungskraft, das Ideal etc.), sowie die elementaren Sätze, zu welchen sie gelangen oder von denen sie ausgehen (z. B. das Prinzip der Wirthschaftlichkeit in der politischen Oekonomie, das Prinzip der Metamorphose der Vorstellungen unter dem Einfluß des Gemüthslebens in der Aesthetik, die Denkgesetze in der Wissenschaftslehre), nur unter Mit- wirkung der Psychologie zureichend festgestellt werden können. Ja die großen Gegensätze selber, welche die positiven Forscher in Be- zug auf die Auffassung dieser Systeme trennen, können nur mit Hilfe einer wahrhaft descriptiven Psychologie eine Lösung finden, weil sie in der Verschiedenheit des typischen Bildes der mensch- lichen Natur, das den Forschern vorschwebte, mitbegründet waren.
Die Erkenntniß der Syſteme der Kultur.
der Kultur, um deren Erkenntniß es ſich hier handelt, zu der äußern Organiſation der Geſellſchaft ſtehen, wenden wir uns nun- mehr zu den allgemeinen Eigenſchaften der Wiſſenſchaften von den Syſtemen der Kultur ſowie zu den Fragen über die Abgrenzung des Umfangs dieſer Wiſſenſchaften.
Die Erkenntniß der Syſteme der Kultur. Sittenlehre iſt eine Wiſſenſchaft von einem Syſtem der Kultur.
Die Erkenntniß eines einzelnen Syſtems vollzieht ſich in einem Zuſammenhang methodiſcher Operationen, welche durch die Stellung deſſelben innerhalb der geſchichtlich-geſellſchaftlichen Wirklichkeit bedingt iſt. Ihre Hilfsmittel ſind mannigfach: Zergliederung des Syſtems, Vergleichung der Einzelgeſtalten, welche es in ſich faßt, Verwerthung der Beziehungen, in welchen dies Unterſuchungs- gebiet einerſeits zu der pſychologiſchen Erkenntniß der Lebens- einheiten ſteht, welche die Elemente der das Syſtem bildenden Wechſelwirkungen ſind, andrerſeits zu dem geſchichtlich-geſellſchaft- lichen Zuſammenhang, aus welchem es für die Unterſuchung aus- geſondert iſt. Aber der Erkenntnißvorgang ſelber iſt nur Einer. Die Unhaltbarkeit der Sonderung philoſophiſcher und poſi- tiver Unterſuchung ergiebt ſich einfach daraus, daß die Begriffe, deren ſich dieſe Erkenntniſſe bedienen (z. B. im Recht der Wille, die Zurechnungsfähigkeit etc., in der Kunſt die Einbildungskraft, das Ideal etc.), ſowie die elementaren Sätze, zu welchen ſie gelangen oder von denen ſie ausgehen (z. B. das Prinzip der Wirthſchaftlichkeit in der politiſchen Oekonomie, das Prinzip der Metamorphoſe der Vorſtellungen unter dem Einfluß des Gemüthslebens in der Aeſthetik, die Denkgeſetze in der Wiſſenſchaftslehre), nur unter Mit- wirkung der Pſychologie zureichend feſtgeſtellt werden können. Ja die großen Gegenſätze ſelber, welche die poſitiven Forſcher in Be- zug auf die Auffaſſung dieſer Syſteme trennen, können nur mit Hilfe einer wahrhaft deſcriptiven Pſychologie eine Löſung finden, weil ſie in der Verſchiedenheit des typiſchen Bildes der menſch- lichen Natur, das den Forſchern vorſchwebte, mitbegründet waren.
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Die Erkenntniß der Syſteme der Kultur.
der Kultur, um deren Erkenntniß es ſich hier handelt, zu der
äußern Organiſation der Geſellſchaft ſtehen, wenden wir uns nun-
mehr zu den allgemeinen Eigenſchaften der Wiſſenſchaften von den
Syſtemen der Kultur ſowie zu den Fragen über die Abgrenzung
des Umfangs dieſer Wiſſenſchaften.
Die Erkenntniß der Syſteme der Kultur. Sittenlehre iſt eine
Wiſſenſchaft von einem Syſtem der Kultur.
Die Erkenntniß eines einzelnen Syſtems vollzieht ſich in einem
Zuſammenhang methodiſcher Operationen, welche durch die Stellung
deſſelben innerhalb der geſchichtlich-geſellſchaftlichen Wirklichkeit
bedingt iſt. Ihre Hilfsmittel ſind mannigfach: Zergliederung des
Syſtems, Vergleichung der Einzelgeſtalten, welche es in ſich faßt,
Verwerthung der Beziehungen, in welchen dies Unterſuchungs-
gebiet einerſeits zu der pſychologiſchen Erkenntniß der Lebens-
einheiten ſteht, welche die Elemente der das Syſtem bildenden
Wechſelwirkungen ſind, andrerſeits zu dem geſchichtlich-geſellſchaft-
lichen Zuſammenhang, aus welchem es für die Unterſuchung aus-
geſondert iſt. Aber der Erkenntnißvorgang ſelber iſt nur
Einer. Die Unhaltbarkeit der Sonderung philoſophiſcher und poſi-
tiver Unterſuchung ergiebt ſich einfach daraus, daß die Begriffe,
deren ſich dieſe Erkenntniſſe bedienen (z. B. im Recht der Wille, die
Zurechnungsfähigkeit etc., in der Kunſt die Einbildungskraft, das
Ideal etc.), ſowie die elementaren Sätze, zu welchen ſie gelangen oder
von denen ſie ausgehen (z. B. das Prinzip der Wirthſchaftlichkeit
in der politiſchen Oekonomie, das Prinzip der Metamorphoſe der
Vorſtellungen unter dem Einfluß des Gemüthslebens in der
Aeſthetik, die Denkgeſetze in der Wiſſenſchaftslehre), nur unter Mit-
wirkung der Pſychologie zureichend feſtgeſtellt werden können. Ja
die großen Gegenſätze ſelber, welche die poſitiven Forſcher in Be-
zug auf die Auffaſſung dieſer Syſteme trennen, können nur mit
Hilfe einer wahrhaft deſcriptiven Pſychologie eine Löſung finden,
weil ſie in der Verſchiedenheit des typiſchen Bildes der menſch-
lichen Natur, das den Forſchern vorſchwebte, mitbegründet waren.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/96>, abgerufen am 27.11.2024.
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