Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Zweites Buch. Dritter Abschnitt. Die Peripatetiker des Islam standen, wie wir sahen, Diese Einheit des in der reinen Erkenntniß wirksamen Abstrahirt man von den Erfahrungen des Willens, so liegt 1) Das dritte Buch der Psychologie des Aristoteles wurde der Aus- gangspunkt für die Lehre vom einheitlichen Intellekt: Alexander von Aphro- disias, Themistius, die pseudoaristotelische Theologie entwickelten sie, und die arabischen Peripatetiker benutzten die Theorien vom leidenden und thätigen Verstande bei Alexander und Themistius. 2) Die eingeschränkte Geltung des Satzes ex nihilo nihil fit hat schon
Thomas von Aquino erkannt: der Satz hat keine Geltung für die trans- scendente Ursache, contra gentil. II c. 10. 16. 17. 37. Zweites Buch. Dritter Abſchnitt. Die Peripatetiker des Islam ſtanden, wie wir ſahen, Dieſe Einheit des in der reinen Erkenntniß wirkſamen Abſtrahirt man von den Erfahrungen des Willens, ſo liegt 1) Das dritte Buch der Pſychologie des Ariſtoteles wurde der Aus- gangspunkt für die Lehre vom einheitlichen Intellekt: Alexander von Aphro- diſias, Themiſtius, die pſeudoariſtoteliſche Theologie entwickelten ſie, und die arabiſchen Peripatetiker benutzten die Theorien vom leidenden und thätigen Verſtande bei Alexander und Themiſtius. 2) Die eingeſchränkte Geltung des Satzes ex nihilo nihil fit hat ſchon
Thomas von Aquino erkannt: der Satz hat keine Geltung für die trans- ſcendente Urſache, contra gentil. II c. 10. 16. 17. 37. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0427" n="404"/> <fw place="top" type="header">Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.</fw><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Peripatetiker</hi> des <hi rendition="#g">Islam</hi> ſtanden, wie wir ſahen,<lb/> in Zuſammenhang mit der älteren peripatetiſchen Schule und<lb/> unter dem Eindruck der fortſchreitenden Naturerkenntniß. Sie zogen<lb/> aus der Art, wie vom Studium der Außenwelt aus der meta-<lb/> phyſiſche Zuſammenhang erſcheint, eine Folgerung, welche die Ver-<lb/> nunftwiſſenſchaft des Ariſtoteles einen Schritt weiter, Spinoza und<lb/> dem modernen intellektualiſtiſchen Pantheismus entgegen führte<note place="foot" n="1)">Das dritte Buch der Pſychologie des Ariſtoteles wurde der Aus-<lb/> gangspunkt für die Lehre vom einheitlichen Intellekt: Alexander von Aphro-<lb/> diſias, Themiſtius, die pſeudoariſtoteliſche Theologie entwickelten ſie, und<lb/> die arabiſchen Peripatetiker benutzten die Theorien vom leidenden und<lb/> thätigen Verſtande bei Alexander und Themiſtius.</note>.<lb/> Verbleibt man innerhalb des Studiums der äußeren Wirklich-<lb/> keit, ſo gilt das: <hi rendition="#aq">ex nihilo nihil fit</hi><note place="foot" n="2)">Die eingeſchränkte Geltung des Satzes <hi rendition="#aq">ex nihilo nihil fit</hi> hat ſchon<lb/> Thomas von Aquino erkannt: der Satz hat keine Geltung für die trans-<lb/> ſcendente Urſache, <hi rendition="#aq">contra gentil. II c. 10. 16. 17. 37.</hi></note>. Von dieſer Voraus-<lb/> ſetzung aus hält Ibn Roſchd an der ariſtoteliſchen Ewigkeit der<lb/> Welt feſt. Der gedankenmäßige Zuſammenhang dieſer ewigen<lb/> Welt ſteht nun mit dem Verſtande Gottes und zugleich mit dem<lb/> menſchlichen Intellekt in Beziehung. Dies für die Vernunftwiſſen-<lb/> ſchaft grundlegende Verhältniß empfängt bei den arabiſchen Peripa-<lb/> tetikern, insbeſondere bei Ibn Roſchd eine geänderte Faſſung, indem<lb/> der letztere nach dem Vorgang des Ibn Badja die menſchlichen<lb/> Einzelintelligenzen nicht von einander trennt, ſondern als in dem<lb/> univerſellen Verſtande enthalten betrachtet. So entſteht die erſte<lb/> Formel deſſen, was dann als unendlicher Intellekt Gottes bei<lb/> Spinoza, als Weltvernunft in der deutſchen Spekulation erſcheint.</p><lb/> <p>Dieſe <hi rendition="#g">Einheit</hi> des in der <hi rendition="#g">reinen Erkenntniß</hi> wirkſamen<lb/><hi rendition="#g">Intellekts</hi> erſcheint unter einem beſtimmten Geſichtspunkt als<lb/> berechtigte Konſequenz der ariſtoteliſchen Vernunftwiſſenſchaft.</p><lb/> <p>Abſtrahirt man von den Erfahrungen des Willens, ſo liegt<lb/> in dem iſolirt betrachteten Intellekt thatſächlich ein über das In-<lb/> dividuum hinausreichender Zuſammenhang, vermöge deſſen die<lb/> Prämiſſen des Denkens von Ariſtoteles in das Denken des Plato<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [404/0427]
Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
Die Peripatetiker des Islam ſtanden, wie wir ſahen,
in Zuſammenhang mit der älteren peripatetiſchen Schule und
unter dem Eindruck der fortſchreitenden Naturerkenntniß. Sie zogen
aus der Art, wie vom Studium der Außenwelt aus der meta-
phyſiſche Zuſammenhang erſcheint, eine Folgerung, welche die Ver-
nunftwiſſenſchaft des Ariſtoteles einen Schritt weiter, Spinoza und
dem modernen intellektualiſtiſchen Pantheismus entgegen führte 1).
Verbleibt man innerhalb des Studiums der äußeren Wirklich-
keit, ſo gilt das: ex nihilo nihil fit 2). Von dieſer Voraus-
ſetzung aus hält Ibn Roſchd an der ariſtoteliſchen Ewigkeit der
Welt feſt. Der gedankenmäßige Zuſammenhang dieſer ewigen
Welt ſteht nun mit dem Verſtande Gottes und zugleich mit dem
menſchlichen Intellekt in Beziehung. Dies für die Vernunftwiſſen-
ſchaft grundlegende Verhältniß empfängt bei den arabiſchen Peripa-
tetikern, insbeſondere bei Ibn Roſchd eine geänderte Faſſung, indem
der letztere nach dem Vorgang des Ibn Badja die menſchlichen
Einzelintelligenzen nicht von einander trennt, ſondern als in dem
univerſellen Verſtande enthalten betrachtet. So entſteht die erſte
Formel deſſen, was dann als unendlicher Intellekt Gottes bei
Spinoza, als Weltvernunft in der deutſchen Spekulation erſcheint.
Dieſe Einheit des in der reinen Erkenntniß wirkſamen
Intellekts erſcheint unter einem beſtimmten Geſichtspunkt als
berechtigte Konſequenz der ariſtoteliſchen Vernunftwiſſenſchaft.
Abſtrahirt man von den Erfahrungen des Willens, ſo liegt
in dem iſolirt betrachteten Intellekt thatſächlich ein über das In-
dividuum hinausreichender Zuſammenhang, vermöge deſſen die
Prämiſſen des Denkens von Ariſtoteles in das Denken des Plato
1) Das dritte Buch der Pſychologie des Ariſtoteles wurde der Aus-
gangspunkt für die Lehre vom einheitlichen Intellekt: Alexander von Aphro-
diſias, Themiſtius, die pſeudoariſtoteliſche Theologie entwickelten ſie, und
die arabiſchen Peripatetiker benutzten die Theorien vom leidenden und
thätigen Verſtande bei Alexander und Themiſtius.
2) Die eingeſchränkte Geltung des Satzes ex nihilo nihil fit hat ſchon
Thomas von Aquino erkannt: der Satz hat keine Geltung für die trans-
ſcendente Urſache, contra gentil. II c. 10. 16. 17. 37.
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