Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Zweites Buch. Dritter Abschnitt. dann von den mittelalterlichen Philosophen ausge-baut worden. Dieselben schließen sich an neuplatonisch gefärbte Quellen sowie an Augustinus an und folgern aus der Beschaffen- heit geistiger Vorgänge, daß diese nicht aus der Materie abgeleitet oder in irgend einem Sinne als materiell aufgefaßt werden können1). Sie gehen in allen strengeren Beweisen für die Un- sterblichkeit von der Vergleichung der Leistungen des psychischen Lebens mit den Eigenschaften eines Räumlichen und Körperlichen aus, folgern so den Bestand einer Seelensubstanz, und aus diesem erschließen sie die Unsterblichkeit. Wird die Beweisführung insbe- sondere durch die arabischen Peripatetiker seiner und mannig- faltiger entwickelt, so wird doch zugleich ihr Ausgangspunkt auf eine für die Beweiskraft nachtheilige Weise verschoben. Man geht nicht von den Thatsachen des Wahrnehmens und Vergleichens, sondern von denen einer abstrakten Wissenschaft und der in ihr gegebenen all- gemeinen Begriffe aus. Dies kann an den wichtigsten der arabischen Beweise festgestellt werden, welche in der ausgezeichneten Darstellung der Destructio destructionum bei Ibn Roschd zusammengestellt sind. Der Hauptgrund ist hier: die abstrakte Wissenschaft ist untheilbare Einheit und kann sonach nur einem Subjekt zukommen, das ebenfalls untheilbare Einheit ist2). Im Abendlande kehren dieselben Gründe wieder, es muß eine untheilbare Seelensubstanz geben, das Untheilbare ist aber unzerstörbar3). Sie wurden dann durch solche von einem anderen Charakter ergänzt4). Die sittliche 1) Thomas contra gentil. II c. 49 ff. p. 197 ff. 2) Averroes destructio destructionum II disputatio 2 und 3 fol. 135 H ff. 145 c ff. (Ven. 1562). Das Hauptargument in der ihm von Ibn Sina gegebenen Gestalt findet sich in den Gegenbemerkungen des Ibn Roschd zu der ratio prima für die immaterielle Seelensubstanz be- sonders angegeben. Weitere Beweise schließen aus der Undenkbarkeit dessen, was aus der Annahme folgen würde, ein Körperorgan z. B. das Gehirn denke; alsdann wäre z. B. ein Wissen von unsrem Wissen unmöglich. -- Eine sehr korrumpirte Zusammenstellung der bei den Arabern gewöhnlichen Be- weise findet sich in dem Brief des Ibn Sab'in an den Kaiser Friedrich den Zweiten, der auch Fragen des Kaisers über Unsterblichkeit beantwortet. 3) So Thomas contra gentil. II c. 49--55 p. 197 ff. 4) Diese Klasse von Argumenten gut zusammgesaßt bei Bonaventura
in lib. II sententiarum dist. 19 art. 1 quaest. 1. Zweites Buch. Dritter Abſchnitt. dann von den mittelalterlichen Philoſophen ausge-baut worden. Dieſelben ſchließen ſich an neuplatoniſch gefärbte Quellen ſowie an Auguſtinus an und folgern aus der Beſchaffen- heit geiſtiger Vorgänge, daß dieſe nicht aus der Materie abgeleitet oder in irgend einem Sinne als materiell aufgefaßt werden können1). Sie gehen in allen ſtrengeren Beweiſen für die Un- ſterblichkeit von der Vergleichung der Leiſtungen des pſychiſchen Lebens mit den Eigenſchaften eines Räumlichen und Körperlichen aus, folgern ſo den Beſtand einer Seelenſubſtanz, und aus dieſem erſchließen ſie die Unſterblichkeit. Wird die Beweisführung insbe- ſondere durch die arabiſchen Peripatetiker ſeiner und mannig- faltiger entwickelt, ſo wird doch zugleich ihr Ausgangspunkt auf eine für die Beweiskraft nachtheilige Weiſe verſchoben. Man geht nicht von den Thatſachen des Wahrnehmens und Vergleichens, ſondern von denen einer abſtrakten Wiſſenſchaft und der in ihr gegebenen all- gemeinen Begriffe aus. Dies kann an den wichtigſten der arabiſchen Beweiſe feſtgeſtellt werden, welche in der ausgezeichneten Darſtellung der Destructio destructionum bei Ibn Roſchd zuſammengeſtellt ſind. Der Hauptgrund iſt hier: die abſtrakte Wiſſenſchaft iſt untheilbare Einheit und kann ſonach nur einem Subjekt zukommen, das ebenfalls untheilbare Einheit iſt2). Im Abendlande kehren dieſelben Gründe wieder, es muß eine untheilbare Seelenſubſtanz geben, das Untheilbare iſt aber unzerſtörbar3). Sie wurden dann durch ſolche von einem anderen Charakter ergänzt4). Die ſittliche 1) Thomas contra gentil. II c. 49 ff. p. 197 ff. 2) Averroes destructio destructionum II disputatio 2 und 3 fol. 135 H ff. 145 c ff. (Ven. 1562). Das Hauptargument in der ihm von Ibn Sina gegebenen Geſtalt findet ſich in den Gegenbemerkungen des Ibn Roſchd zu der ratio prima für die immaterielle Seelenſubſtanz be- ſonders angegeben. Weitere Beweiſe ſchließen aus der Undenkbarkeit deſſen, was aus der Annahme folgen würde, ein Körperorgan z. B. das Gehirn denke; alsdann wäre z. B. ein Wiſſen von unſrem Wiſſen unmöglich. — Eine ſehr korrumpirte Zuſammenſtellung der bei den Arabern gewöhnlichen Be- weiſe findet ſich in dem Brief des Ibn Sab’in an den Kaiſer Friedrich den Zweiten, der auch Fragen des Kaiſers über Unſterblichkeit beantwortet. 3) So Thomas contra gentil. II c. 49—55 p. 197 ff. 4) Dieſe Klaſſe von Argumenten gut zuſammgeſaßt bei Bonaventura
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Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
dann von den mittelalterlichen Philoſophen ausge-
baut worden. Dieſelben ſchließen ſich an neuplatoniſch gefärbte
Quellen ſowie an Auguſtinus an und folgern aus der Beſchaffen-
heit geiſtiger Vorgänge, daß dieſe nicht aus der Materie abgeleitet
oder in irgend einem Sinne als materiell aufgefaßt werden
können 1). Sie gehen in allen ſtrengeren Beweiſen für die Un-
ſterblichkeit von der Vergleichung der Leiſtungen des pſychiſchen
Lebens mit den Eigenſchaften eines Räumlichen und Körperlichen
aus, folgern ſo den Beſtand einer Seelenſubſtanz, und aus dieſem
erſchließen ſie die Unſterblichkeit. Wird die Beweisführung insbe-
ſondere durch die arabiſchen Peripatetiker ſeiner und mannig-
faltiger entwickelt, ſo wird doch zugleich ihr Ausgangspunkt auf eine
für die Beweiskraft nachtheilige Weiſe verſchoben. Man geht nicht
von den Thatſachen des Wahrnehmens und Vergleichens, ſondern
von denen einer abſtrakten Wiſſenſchaft und der in ihr gegebenen all-
gemeinen Begriffe aus. Dies kann an den wichtigſten der arabiſchen
Beweiſe feſtgeſtellt werden, welche in der ausgezeichneten Darſtellung
der Destructio destructionum bei Ibn Roſchd zuſammengeſtellt ſind.
Der Hauptgrund iſt hier: die abſtrakte Wiſſenſchaft iſt untheilbare
Einheit und kann ſonach nur einem Subjekt zukommen, das
ebenfalls untheilbare Einheit iſt 2). Im Abendlande kehren
dieſelben Gründe wieder, es muß eine untheilbare Seelenſubſtanz
geben, das Untheilbare iſt aber unzerſtörbar 3). Sie wurden dann
durch ſolche von einem anderen Charakter ergänzt 4). Die ſittliche
1) Thomas contra gentil. II c. 49 ff. p. 197 ff.
2) Averroes destructio destructionum II disputatio 2 und 3 fol.
135 H ff. 145 c ff. (Ven. 1562). Das Hauptargument in der ihm von
Ibn Sina gegebenen Geſtalt findet ſich in den Gegenbemerkungen
des Ibn Roſchd zu der ratio prima für die immaterielle Seelenſubſtanz be-
ſonders angegeben. Weitere Beweiſe ſchließen aus der Undenkbarkeit deſſen,
was aus der Annahme folgen würde, ein Körperorgan z. B. das Gehirn
denke; alsdann wäre z. B. ein Wiſſen von unſrem Wiſſen unmöglich. — Eine
ſehr korrumpirte Zuſammenſtellung der bei den Arabern gewöhnlichen Be-
weiſe findet ſich in dem Brief des Ibn Sab’in an den Kaiſer Friedrich den
Zweiten, der auch Fragen des Kaiſers über Unſterblichkeit beantwortet.
3) So Thomas contra gentil. II c. 49—55 p. 197 ff.
4) Dieſe Klaſſe von Argumenten gut zuſammgeſaßt bei Bonaventura
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