Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Augustinus fügt eine erkenntnißtheoretische Unterlage hinzu. Diese Begründung der Lehre von seelischen Substanzen ist Die von den Neuplatonikern und dem an sie sich anschließen- Argument aus dem sinnlichen Gefühl p. 462. Denkt man sich die einzelne Stelle, an welche ich den Schmerz verlege, ihn empfindend und eine Mitthei- lung dieses Zustandes stattfindend, dann würden wir den Schmerz aller in Mitleidenschaft gezogenen Stellen, also ein Vielfaches, fühlen. Geringer die Beweisführung aus dem Denken, der Tugend etc. -- Ueber den nur nega- tiven Werth des Schlusses vgl. S. 11 ff. 487 f. 1) Augustinus de Gen. ad litt. XII c. 33. 2) S. 331 f. 3) Belegstellen aus Augustinus habe ich S. 332 angegeben, die Haupt-
darlegung war im ersten Buche de libero arbitrio. Auguſtinus fügt eine erkenntnißtheoretiſche Unterlage hinzu. Dieſe Begründung der Lehre von ſeeliſchen Subſtanzen iſt Die von den Neuplatonikern und dem an ſie ſich anſchließen- Argument aus dem ſinnlichen Gefühl p. 462. Denkt man ſich die einzelne Stelle, an welche ich den Schmerz verlege, ihn empfindend und eine Mitthei- lung dieſes Zuſtandes ſtattfindend, dann würden wir den Schmerz aller in Mitleidenſchaft gezogenen Stellen, alſo ein Vielfaches, fühlen. Geringer die Beweisführung aus dem Denken, der Tugend etc. — Ueber den nur nega- tiven Werth des Schluſſes vgl. S. 11 ff. 487 f. 1) Auguſtinus de Gen. ad litt. XII c. 33. 2) S. 331 f. 3) Belegſtellen aus Auguſtinus habe ich S. 332 angegeben, die Haupt-
darlegung war im erſten Buche de libero arbitrio. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0422" n="399"/> <fw place="top" type="header">Auguſtinus fügt eine erkenntnißtheoretiſche Unterlage hinzu.</fw><lb/> <p>Dieſe Begründung der Lehre von ſeeliſchen Subſtanzen iſt<lb/> von <hi rendition="#g">Auguſtinus</hi> durch ſeinen <hi rendition="#g">erkenntnißtheoretiſchen<lb/> Geſichtspunkt</hi> vertieft und befeſtigt worden. Er erklärt: „ich<lb/> wage zu behaupten, daß ich in Bezug auf die Immaterialität der<lb/> Seele nicht nur glaube, ſondern ein ſtrenges Wiſſen habe“<note place="foot" n="1)">Auguſtinus <hi rendition="#aq">de Gen. ad litt. XII c</hi>. 33.</note>. Sein<lb/> Wiſſen ſahen wir<note place="foot" n="2)">S. 331 f.</note> darin gegründet, daß die ganze Erkenntniß der<lb/> Außenwelt dem Skepticismus, der auf dieſe Erkenntniß ſich bezieht,<lb/> erliegen muß, dagegen die Selbſtgewißheit in der inneren Erfahrung<lb/> aufgeht. Innere Erfahrung wird von ihm als ein Wiſſen erkannt,<lb/> in dem uns bereits das ganze Seelenleben gegeben iſt, wann die<lb/> Abſicht auftritt, deſſen Weſen zu erkennen. Der ſpezifiſche Unter-<lb/> ſchied dieſer inneren Erfahrung von aller Erkenntniß des äußeren<lb/> Naturlaufs wird ausgeſprochen und die Inferiorität dieſer letzteren<lb/> für den Erkenntnißzuſammenhang wird durchſchaut. — Und zwar<lb/> zeigt der Inhalt der inneren Erfahrung auch dem Auguſtinus die<lb/> Unvergleichlichkeit des geiſtigen Lebens mit dem Naturlauf und<lb/> ſonach die Unmöglichkeit einer Zurückführung der geiſtigen auf<lb/> materielle Vorgänge. Das geiſtige Leben kann nicht als Qualität<lb/> an dem Subjekt Körper aufgefaßt werden, denn man kann nicht<lb/> die Leiſtungen des geiſtigen Lebens auf die eines materiellen<lb/> Ganzen zurückführen. Insbeſondere unterſcheidet den Geiſt, daß<lb/> er in jedem Punkte des Körpers ganz gegenwärtig iſt und die<lb/> Empfindungen der Sinne zum Gegenſtande des Bewußtſeins, der<lb/> Vergleichung und des Urtheils zu machen vermag<note place="foot" n="3)">Belegſtellen aus Auguſtinus habe ich S. 332 angegeben, die Haupt-<lb/> darlegung war im erſten Buche <hi rendition="#aq">de libero arbitrio</hi>.</note>.</p><lb/> <p>Die von den Neuplatonikern und dem an ſie ſich anſchließen-<lb/> den Auguſtinus begründete Metaphyſik der Seelenſubſtanzen iſt<lb/><note xml:id="note-0422" prev="#note-0421" place="foot" n="2)">Argument aus dem ſinnlichen Gefühl <hi rendition="#aq">p</hi>. 462. Denkt man ſich die einzelne<lb/> Stelle, an welche ich den Schmerz verlege, ihn empfindend und eine Mitthei-<lb/> lung dieſes Zuſtandes ſtattfindend, dann würden wir den Schmerz aller in<lb/> Mitleidenſchaft gezogenen Stellen, alſo ein Vielfaches, fühlen. Geringer die<lb/> Beweisführung aus dem Denken, der Tugend etc. — Ueber den nur <hi rendition="#g">nega-<lb/> tiven Werth des Schluſſes</hi> vgl. S. 11 ff. 487 f.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [399/0422]
Auguſtinus fügt eine erkenntnißtheoretiſche Unterlage hinzu.
Dieſe Begründung der Lehre von ſeeliſchen Subſtanzen iſt
von Auguſtinus durch ſeinen erkenntnißtheoretiſchen
Geſichtspunkt vertieft und befeſtigt worden. Er erklärt: „ich
wage zu behaupten, daß ich in Bezug auf die Immaterialität der
Seele nicht nur glaube, ſondern ein ſtrenges Wiſſen habe“ 1). Sein
Wiſſen ſahen wir 2) darin gegründet, daß die ganze Erkenntniß der
Außenwelt dem Skepticismus, der auf dieſe Erkenntniß ſich bezieht,
erliegen muß, dagegen die Selbſtgewißheit in der inneren Erfahrung
aufgeht. Innere Erfahrung wird von ihm als ein Wiſſen erkannt,
in dem uns bereits das ganze Seelenleben gegeben iſt, wann die
Abſicht auftritt, deſſen Weſen zu erkennen. Der ſpezifiſche Unter-
ſchied dieſer inneren Erfahrung von aller Erkenntniß des äußeren
Naturlaufs wird ausgeſprochen und die Inferiorität dieſer letzteren
für den Erkenntnißzuſammenhang wird durchſchaut. — Und zwar
zeigt der Inhalt der inneren Erfahrung auch dem Auguſtinus die
Unvergleichlichkeit des geiſtigen Lebens mit dem Naturlauf und
ſonach die Unmöglichkeit einer Zurückführung der geiſtigen auf
materielle Vorgänge. Das geiſtige Leben kann nicht als Qualität
an dem Subjekt Körper aufgefaßt werden, denn man kann nicht
die Leiſtungen des geiſtigen Lebens auf die eines materiellen
Ganzen zurückführen. Insbeſondere unterſcheidet den Geiſt, daß
er in jedem Punkte des Körpers ganz gegenwärtig iſt und die
Empfindungen der Sinne zum Gegenſtande des Bewußtſeins, der
Vergleichung und des Urtheils zu machen vermag 3).
Die von den Neuplatonikern und dem an ſie ſich anſchließen-
den Auguſtinus begründete Metaphyſik der Seelenſubſtanzen iſt
2)
1) Auguſtinus de Gen. ad litt. XII c. 33.
2) S. 331 f.
3) Belegſtellen aus Auguſtinus habe ich S. 332 angegeben, die Haupt-
darlegung war im erſten Buche de libero arbitrio.
2) Argument aus dem ſinnlichen Gefühl p. 462. Denkt man ſich die einzelne
Stelle, an welche ich den Schmerz verlege, ihn empfindend und eine Mitthei-
lung dieſes Zuſtandes ſtattfindend, dann würden wir den Schmerz aller in
Mitleidenſchaft gezogenen Stellen, alſo ein Vielfaches, fühlen. Geringer die
Beweisführung aus dem Denken, der Tugend etc. — Ueber den nur nega-
tiven Werth des Schluſſes vgl. S. 11 ff. 487 f.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/422 |
Zitationshilfe: | Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/422>, abgerufen am 18.07.2024. |