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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
am Himmel, die kreisförmig und kontinuirlich sind und sonach auf
ein intelligentes Prinzip von unendlicher Kraft zurückweisen. Er
kann so gut bei Albertus Magnus als bei Thomas, bei Bona-
ventura als bei Duns Scotus gefunden werden 1). Während
ihm strenge Evidenz zugeschrieben wurde, ist von den meisten
Theologen Probabilität für die Annahme in Anspruch genommen
worden, daß die Gottheit durch geschaffene Geister übermenschlicher
Art diese Bewegungen am Himmel bewirke, und die Zahl der
bewegenden Engel durch die der bewegten Sphären bestimmt
werden könne. Die Engellehre wurde auf Grund der aristotelischen
Theorie mit der astronomischen Weltansicht verknüpft, und es
waren daher auch hier schließlich psychische Beziehungen,
welche statt eines mechanischen Naturzusammenhangs
den letzten Erklärungsgrund für die Bewegungen im Kosmos
darboten. Die herrschende europäische Metaphysik fuhr fort, einen
mythischen Willenszusammenhang psychischer Kräfte als letzten Er-
klärungsgrund des äußeren Weltzusammenhangs festzuhalten.

Auf der Erde wurde an den organischen Wesen eine Zweck-
mäßigkeit nachgewiesen, welche auf Gott zurückleitete. Diesen
Schluß stattete Albertus Magnus, welcher auch hierin dem Aristo-
teles besonders nahe stand, mit dem größten Beweismaterial aus.
"Durch die Weise und das Maß seines Seins, durch das spezi-
fische Wesen, das ihm in der Reihe der übrigen Geschöpfe die be-
stimmte Stelle anweist, durch das Gewicht oder die Ordnung, in
welcher es nach seiner Verwerthung mit den anderen in Harmonie
ist und auf die Verwirklichung des Weltzwecks Einfluß übt, be-
weist das Geschaffene sichtlich die Macht eines mächtigen, weisen
und gütigen Urhebers" 2).


1) Albertus Magnus de causis et processu universitatis lib. I tract. 4
c. 7. 8. lib. II tract. 2 c.
35--40. Thomas contra gentil. III c. 23 sq.
Bonaventura in lib. II sententiarum, besonders dist. 14. p. 1 (die Vor-
aussetzungen des Schlusses am deutlichsten art. 3 quaest. 2: an motus coeli
sit a propria forma vel ab intelligentia
). Duns Scotus qu. subt. in met.
Arist. lib. XII q.
16--21.
2) Albertus summa theol. II tract. 1 qu. 3 m. 3 art. 4 part. 1
p. 28a
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Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
am Himmel, die kreisförmig und kontinuirlich ſind und ſonach auf
ein intelligentes Prinzip von unendlicher Kraft zurückweiſen. Er
kann ſo gut bei Albertus Magnus als bei Thomas, bei Bona-
ventura als bei Duns Scotus gefunden werden 1). Während
ihm ſtrenge Evidenz zugeſchrieben wurde, iſt von den meiſten
Theologen Probabilität für die Annahme in Anſpruch genommen
worden, daß die Gottheit durch geſchaffene Geiſter übermenſchlicher
Art dieſe Bewegungen am Himmel bewirke, und die Zahl der
bewegenden Engel durch die der bewegten Sphären beſtimmt
werden könne. Die Engellehre wurde auf Grund der ariſtoteliſchen
Theorie mit der aſtronomiſchen Weltanſicht verknüpft, und es
waren daher auch hier ſchließlich pſychiſche Beziehungen,
welche ſtatt eines mechaniſchen Naturzuſammenhangs
den letzten Erklärungsgrund für die Bewegungen im Kosmos
darboten. Die herrſchende europäiſche Metaphyſik fuhr fort, einen
mythiſchen Willenszuſammenhang pſychiſcher Kräfte als letzten Er-
klärungsgrund des äußeren Weltzuſammenhangs feſtzuhalten.

Auf der Erde wurde an den organiſchen Weſen eine Zweck-
mäßigkeit nachgewieſen, welche auf Gott zurückleitete. Dieſen
Schluß ſtattete Albertus Magnus, welcher auch hierin dem Ariſto-
teles beſonders nahe ſtand, mit dem größten Beweismaterial aus.
„Durch die Weiſe und das Maß ſeines Seins, durch das ſpezi-
fiſche Weſen, das ihm in der Reihe der übrigen Geſchöpfe die be-
ſtimmte Stelle anweiſt, durch das Gewicht oder die Ordnung, in
welcher es nach ſeiner Verwerthung mit den anderen in Harmonie
iſt und auf die Verwirklichung des Weltzwecks Einfluß übt, be-
weiſt das Geſchaffene ſichtlich die Macht eines mächtigen, weiſen
und gütigen Urhebers“ 2).


1) Albertus Magnus de causis et processu universitatis lib. I tract. 4
c. 7. 8. lib. II tract. 2 c.
35—40. Thomas contra gentil. III c. 23 sq.
Bonaventura in lib. II sententiarum, beſonders dist. 14. p. 1 (die Vor-
ausſetzungen des Schluſſes am deutlichſten art. 3 quaest. 2: an motus coeli
sit a propria forma vel ab intelligentia
). Duns Scotus qu. subt. in met.
Arist. lib. XII q.
16—21.
2) Albertus summa theol. II tract. 1 qu. 3 m. 3 art. 4 part. 1
p. 28a
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[390/0413] Zweites Buch. Dritter Abſchnitt. am Himmel, die kreisförmig und kontinuirlich ſind und ſonach auf ein intelligentes Prinzip von unendlicher Kraft zurückweiſen. Er kann ſo gut bei Albertus Magnus als bei Thomas, bei Bona- ventura als bei Duns Scotus gefunden werden 1). Während ihm ſtrenge Evidenz zugeſchrieben wurde, iſt von den meiſten Theologen Probabilität für die Annahme in Anſpruch genommen worden, daß die Gottheit durch geſchaffene Geiſter übermenſchlicher Art dieſe Bewegungen am Himmel bewirke, und die Zahl der bewegenden Engel durch die der bewegten Sphären beſtimmt werden könne. Die Engellehre wurde auf Grund der ariſtoteliſchen Theorie mit der aſtronomiſchen Weltanſicht verknüpft, und es waren daher auch hier ſchließlich pſychiſche Beziehungen, welche ſtatt eines mechaniſchen Naturzuſammenhangs den letzten Erklärungsgrund für die Bewegungen im Kosmos darboten. Die herrſchende europäiſche Metaphyſik fuhr fort, einen mythiſchen Willenszuſammenhang pſychiſcher Kräfte als letzten Er- klärungsgrund des äußeren Weltzuſammenhangs feſtzuhalten. Auf der Erde wurde an den organiſchen Weſen eine Zweck- mäßigkeit nachgewieſen, welche auf Gott zurückleitete. Dieſen Schluß ſtattete Albertus Magnus, welcher auch hierin dem Ariſto- teles beſonders nahe ſtand, mit dem größten Beweismaterial aus. „Durch die Weiſe und das Maß ſeines Seins, durch das ſpezi- fiſche Weſen, das ihm in der Reihe der übrigen Geſchöpfe die be- ſtimmte Stelle anweiſt, durch das Gewicht oder die Ordnung, in welcher es nach ſeiner Verwerthung mit den anderen in Harmonie iſt und auf die Verwirklichung des Weltzwecks Einfluß übt, be- weiſt das Geſchaffene ſichtlich die Macht eines mächtigen, weiſen und gütigen Urhebers“ 2). 1) Albertus Magnus de causis et processu universitatis lib. I tract. 4 c. 7. 8. lib. II tract. 2 c. 35—40. Thomas contra gentil. III c. 23 sq. Bonaventura in lib. II sententiarum, beſonders dist. 14. p. 1 (die Vor- ausſetzungen des Schluſſes am deutlichſten art. 3 quaest. 2: an motus coeli sit a propria forma vel ab intelligentia). Duns Scotus qu. subt. in met. Arist. lib. XII q. 16—21. 2) Albertus summa theol. II tract. 1 qu. 3 m. 3 art. 4 part. 1 p. 28a.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/413>, abgerufen am 25.11.2024.