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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Die Theol. d. Judenth., Christenth. u. Islam ringen vergebens mit ihr.
auf die Erkenntniß ihrer Unangemessenheit. Denn wo ist dann
die Grenze im Vorgang der Aufhebung? und wo ist dann das
Recht, von dem, was wir an der Welt gewahren, auf die Be-
schaffenheit ihrer Ursache zu schließen, da diese Ursache der Welt
ganz heterogen sein kann?

So endigt die Arbeit des Mittelalters, das Wesen Gottes durch
seine Eigenschaften bestimmen zu wollen, mit der gründlichen Einsicht
in die Unangemessenheit dieser Vorstellung über Gott an das reli-
giöse Ideal. Jede Ausflucht ist auch hier vergeblich. Die
Aufgabe ist unlösbar, den Gehalt des Ideals in uns festzuhalten
und doch menschliche, endliche Form und Mannigfaltigkeit aufzu-
heben. Spinozas hartes Wort in Bezug auf jeden solchen Versuch,
Intellekt und Wille Gottes seien dem unsrigen nicht ähnlicher, als
das Gestirn des Hundes dem bellenden Thiere, entwickelt nur
Sätze der Theologie des Judenthums. So erklärt Abraham ben
David: "Der Wille Gottes ist von dem unsrigen spezifisch ver-
schieden; denn unser Wille gründet sich auf ein Begehren, und
dieses besteht in dem Wunsche, etwas zu besitzen was man nicht
hat. Gott aber bedarf nichts, sondern alle Dinge bedürfen seiner,
und sein Wille ist dem Zwecke nach gerade das Entgegengesetzte
von dem, was wir uns unter unserem Willen vorstellen 1)."
Und Maimuni geht bis zu der Frage: "Findet denn zwischen
unserem und Gottes Wissen eine andere Gleichheit als die des
Namens statt 2)?" Wenn in Bezug auf eine weitere Schwierig-
keit Kirchenväter und Scholastiker erklären, die Eigenschaften
in Gott seien untereinander identisch 3), so ist diese Identität des
Unterschiedenen ein hölzernes Eisen. Wenn Thomas sagt, daß
das Mehrfache der Eigenschaften, durch welche wir Gott erkennen,
in der Abspiegelung Gottes in der Welt sowie in der Auf-
fassung vermittelst unseres Intellektes gegründet sei, und nun

1) Emunah Ramah übs. von Weil S. 70.
2) Maimuni, More Nebochim übs. von Scheyer Bd. III, 130.
3) So schon bei Augustinus de trinitate VI c. 7: Deus multipliciter
quidem dicitur magnus, bonus, sapiens, beatus, verus: sed eadem magni-
tudo ejus est, quae sapientia etc.

Die Theol. d. Judenth., Chriſtenth. u. Islam ringen vergebens mit ihr.
auf die Erkenntniß ihrer Unangemeſſenheit. Denn wo iſt dann
die Grenze im Vorgang der Aufhebung? und wo iſt dann das
Recht, von dem, was wir an der Welt gewahren, auf die Be-
ſchaffenheit ihrer Urſache zu ſchließen, da dieſe Urſache der Welt
ganz heterogen ſein kann?

So endigt die Arbeit des Mittelalters, das Weſen Gottes durch
ſeine Eigenſchaften beſtimmen zu wollen, mit der gründlichen Einſicht
in die Unangemeſſenheit dieſer Vorſtellung über Gott an das reli-
giöſe Ideal. Jede Ausflucht iſt auch hier vergeblich. Die
Aufgabe iſt unlösbar, den Gehalt des Ideals in uns feſtzuhalten
und doch menſchliche, endliche Form und Mannigfaltigkeit aufzu-
heben. Spinozas hartes Wort in Bezug auf jeden ſolchen Verſuch,
Intellekt und Wille Gottes ſeien dem unſrigen nicht ähnlicher, als
das Geſtirn des Hundes dem bellenden Thiere, entwickelt nur
Sätze der Theologie des Judenthums. So erklärt Abraham ben
David: „Der Wille Gottes iſt von dem unſrigen ſpezifiſch ver-
ſchieden; denn unſer Wille gründet ſich auf ein Begehren, und
dieſes beſteht in dem Wunſche, etwas zu beſitzen was man nicht
hat. Gott aber bedarf nichts, ſondern alle Dinge bedürfen ſeiner,
und ſein Wille iſt dem Zwecke nach gerade das Entgegengeſetzte
von dem, was wir uns unter unſerem Willen vorſtellen 1).“
Und Maimuni geht bis zu der Frage: „Findet denn zwiſchen
unſerem und Gottes Wiſſen eine andere Gleichheit als die des
Namens ſtatt 2)?“ Wenn in Bezug auf eine weitere Schwierig-
keit Kirchenväter und Scholaſtiker erklären, die Eigenſchaften
in Gott ſeien untereinander identiſch 3), ſo iſt dieſe Identität des
Unterſchiedenen ein hölzernes Eiſen. Wenn Thomas ſagt, daß
das Mehrfache der Eigenſchaften, durch welche wir Gott erkennen,
in der Abſpiegelung Gottes in der Welt ſowie in der Auf-
faſſung vermittelſt unſeres Intellektes gegründet ſei, und nun

1) Emunah Ramah übſ. von Weil S. 70.
2) Maimuni, More Nebochim übſ. von Scheyer Bd. III, 130.
3) So ſchon bei Auguſtinus de trinitate VI c. 7: Deus multipliciter
quidem dicitur magnus, bonus, sapiens, beatus, verus: sed eadem magni-
tudo ejus est, quae sapientia etc.
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[367/0390] Die Theol. d. Judenth., Chriſtenth. u. Islam ringen vergebens mit ihr. auf die Erkenntniß ihrer Unangemeſſenheit. Denn wo iſt dann die Grenze im Vorgang der Aufhebung? und wo iſt dann das Recht, von dem, was wir an der Welt gewahren, auf die Be- ſchaffenheit ihrer Urſache zu ſchließen, da dieſe Urſache der Welt ganz heterogen ſein kann? So endigt die Arbeit des Mittelalters, das Weſen Gottes durch ſeine Eigenſchaften beſtimmen zu wollen, mit der gründlichen Einſicht in die Unangemeſſenheit dieſer Vorſtellung über Gott an das reli- giöſe Ideal. Jede Ausflucht iſt auch hier vergeblich. Die Aufgabe iſt unlösbar, den Gehalt des Ideals in uns feſtzuhalten und doch menſchliche, endliche Form und Mannigfaltigkeit aufzu- heben. Spinozas hartes Wort in Bezug auf jeden ſolchen Verſuch, Intellekt und Wille Gottes ſeien dem unſrigen nicht ähnlicher, als das Geſtirn des Hundes dem bellenden Thiere, entwickelt nur Sätze der Theologie des Judenthums. So erklärt Abraham ben David: „Der Wille Gottes iſt von dem unſrigen ſpezifiſch ver- ſchieden; denn unſer Wille gründet ſich auf ein Begehren, und dieſes beſteht in dem Wunſche, etwas zu beſitzen was man nicht hat. Gott aber bedarf nichts, ſondern alle Dinge bedürfen ſeiner, und ſein Wille iſt dem Zwecke nach gerade das Entgegengeſetzte von dem, was wir uns unter unſerem Willen vorſtellen 1).“ Und Maimuni geht bis zu der Frage: „Findet denn zwiſchen unſerem und Gottes Wiſſen eine andere Gleichheit als die des Namens ſtatt 2)?“ Wenn in Bezug auf eine weitere Schwierig- keit Kirchenväter und Scholaſtiker erklären, die Eigenſchaften in Gott ſeien untereinander identiſch 3), ſo iſt dieſe Identität des Unterſchiedenen ein hölzernes Eiſen. Wenn Thomas ſagt, daß das Mehrfache der Eigenſchaften, durch welche wir Gott erkennen, in der Abſpiegelung Gottes in der Welt ſowie in der Auf- faſſung vermittelſt unſeres Intellektes gegründet ſei, und nun 1) Emunah Ramah übſ. von Weil S. 70. 2) Maimuni, More Nebochim übſ. von Scheyer Bd. III, 130. 3) So ſchon bei Auguſtinus de trinitate VI c. 7: Deus multipliciter quidem dicitur magnus, bonus, sapiens, beatus, verus: sed eadem magni- tudo ejus est, quae sapientia etc.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/390>, abgerufen am 22.11.2024.