Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.D. Selbstgew. d. inneren Erfahr. durchbr. d. Schrank. d. antik. Wissensch. bewußtsein gegeben ist; dieses Innewerden ist von einer Sicher-heit erfüllt, welche jeden Zweifel ausschließt; die Erfahrungen des Willens und des Herzens verschlingen mit ihrem ungeheuren Interesse jeden anderen Gegenstand des Wissens, sie erweisen sich in ihrer Selbstgewißheit allmächtig gegenüber jedem Ergebniß der Betrachtung des Kosmos sowie gegenüber jedem Zweifel, der aus Erwägungen über das Verhältniß der Intelligenz zu den von ihr abzubildenden Gegenständen stammte. Hätte gleich damals dieser Glaube der Gemeinden eine ihm ganz entsprechende Wissenschaft entwickelt: so hätte diese in einer auf die innere Erfahrung zurückgehenden Grundlegung bestehen müssen. Aber dieser innere Zusammenhang, welcher in Bezug auf Die Selbstgewißheit der inneren Erfahrungen des Willens 1) Schleiermacher, Psychologie S. 195.
D. Selbſtgew. d. inneren Erfahr. durchbr. d. Schrank. d. antik. Wiſſenſch. bewußtſein gegeben iſt; dieſes Innewerden iſt von einer Sicher-heit erfüllt, welche jeden Zweifel ausſchließt; die Erfahrungen des Willens und des Herzens verſchlingen mit ihrem ungeheuren Intereſſe jeden anderen Gegenſtand des Wiſſens, ſie erweiſen ſich in ihrer Selbſtgewißheit allmächtig gegenüber jedem Ergebniß der Betrachtung des Kosmos ſowie gegenüber jedem Zweifel, der aus Erwägungen über das Verhältniß der Intelligenz zu den von ihr abzubildenden Gegenſtänden ſtammte. Hätte gleich damals dieſer Glaube der Gemeinden eine ihm ganz entſprechende Wiſſenſchaft entwickelt: ſo hätte dieſe in einer auf die innere Erfahrung zurückgehenden Grundlegung beſtehen müſſen. Aber dieſer innere Zuſammenhang, welcher in Bezug auf Die Selbſtgewißheit der inneren Erfahrungen des Willens 1) Schleiermacher, Pſychologie S. 195.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0340" n="317"/><fw place="top" type="header">D. Selbſtgew. d. inneren Erfahr. durchbr. d. Schrank. d. antik. Wiſſenſch.</fw><lb/> bewußtſein gegeben iſt; dieſes Innewerden iſt von einer Sicher-<lb/> heit erfüllt, welche jeden Zweifel ausſchließt; die Erfahrungen<lb/> des Willens und des Herzens verſchlingen mit ihrem ungeheuren<lb/> Intereſſe jeden anderen Gegenſtand des Wiſſens, ſie erweiſen ſich<lb/> in ihrer <hi rendition="#g">Selbſtgewißheit</hi> allmächtig gegenüber jedem Ergebniß<lb/> der Betrachtung des Kosmos ſowie gegenüber jedem Zweifel,<lb/> der aus Erwägungen über das Verhältniß der Intelligenz zu<lb/> den von ihr abzubildenden Gegenſtänden ſtammte. Hätte gleich<lb/> damals dieſer Glaube der Gemeinden eine ihm ganz entſprechende<lb/> Wiſſenſchaft entwickelt: ſo hätte dieſe in einer auf die innere<lb/> Erfahrung zurückgehenden Grundlegung beſtehen müſſen.</p><lb/> <p>Aber dieſer innere Zuſammenhang, welcher in Bezug auf<lb/> die Begründung der Wiſſenſchaft zwiſchen dem Chriſtenthum und<lb/> einer von der <hi rendition="#g">inneren Erfahrung</hi> ausgehenden <hi rendition="#g">Erkenntniß</hi><lb/> beſteht, hat im Mittelalter eine entſprechende Grundlegung der<lb/> Wiſſenſchaft nicht hervorgebracht. Dies war in der Uebermacht<lb/> der antiken Kultur begründet, innerhalb deren das Chriſtenthum<lb/> nun langſam ſich geltend zu machen begann. Alsdann wirkte<lb/> von innen in derſelben Richtung das Verhältniß der religiöſen<lb/> Erfahrung zu dem Vorſtellen. Findet doch auch das innigſte<lb/> religiöſe Seelenleben nur in einem Vorſtellungszuſammenhang<lb/> ſeinen Ausdruck. Schleiermacher ſagt einmal: „die Entwicklung<lb/> des Chriſtenthums im Abendlande hat eine große Maſſe des ob-<lb/> jektiven Bewußtſeins zum Rückhalt; genauer genommen können<lb/> wir aber dieſe Maſſe des objektiven Bewußtſeins nur als ein<lb/> Verſtändigungsmittel anſehen <note place="foot" n="1)">Schleiermacher, Pſychologie S. 195.</note>.“</p><lb/> <p>Die Selbſtgewißheit der inneren Erfahrungen des Willens<lb/> und des Herzens, alsdann der Inhalt dieſer Erfahrungen, ſonach<lb/> die Veränderung des tiefſten Seelenlebens: dies Alles enthielt nun<lb/> aber nicht nur die Anforderung einer auf die innere Erfahrung<lb/> zurückgehenden Grundlegung in ſich, ſondern es <hi rendition="#g">wirkte</hi> auch in<lb/> anderer Beziehung auf die <hi rendition="#g">fernere</hi> intellektuelle <hi rendition="#g">Entwicklung</hi>, und<lb/> zwar ſowol in Bezug auf die <hi rendition="#g">Naturerkenntniß</hi> als auf die <hi rendition="#g">Geiſtes-<lb/> wiſſenſchaften</hi>.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [317/0340]
D. Selbſtgew. d. inneren Erfahr. durchbr. d. Schrank. d. antik. Wiſſenſch.
bewußtſein gegeben iſt; dieſes Innewerden iſt von einer Sicher-
heit erfüllt, welche jeden Zweifel ausſchließt; die Erfahrungen
des Willens und des Herzens verſchlingen mit ihrem ungeheuren
Intereſſe jeden anderen Gegenſtand des Wiſſens, ſie erweiſen ſich
in ihrer Selbſtgewißheit allmächtig gegenüber jedem Ergebniß
der Betrachtung des Kosmos ſowie gegenüber jedem Zweifel,
der aus Erwägungen über das Verhältniß der Intelligenz zu
den von ihr abzubildenden Gegenſtänden ſtammte. Hätte gleich
damals dieſer Glaube der Gemeinden eine ihm ganz entſprechende
Wiſſenſchaft entwickelt: ſo hätte dieſe in einer auf die innere
Erfahrung zurückgehenden Grundlegung beſtehen müſſen.
Aber dieſer innere Zuſammenhang, welcher in Bezug auf
die Begründung der Wiſſenſchaft zwiſchen dem Chriſtenthum und
einer von der inneren Erfahrung ausgehenden Erkenntniß
beſteht, hat im Mittelalter eine entſprechende Grundlegung der
Wiſſenſchaft nicht hervorgebracht. Dies war in der Uebermacht
der antiken Kultur begründet, innerhalb deren das Chriſtenthum
nun langſam ſich geltend zu machen begann. Alsdann wirkte
von innen in derſelben Richtung das Verhältniß der religiöſen
Erfahrung zu dem Vorſtellen. Findet doch auch das innigſte
religiöſe Seelenleben nur in einem Vorſtellungszuſammenhang
ſeinen Ausdruck. Schleiermacher ſagt einmal: „die Entwicklung
des Chriſtenthums im Abendlande hat eine große Maſſe des ob-
jektiven Bewußtſeins zum Rückhalt; genauer genommen können
wir aber dieſe Maſſe des objektiven Bewußtſeins nur als ein
Verſtändigungsmittel anſehen 1).“
Die Selbſtgewißheit der inneren Erfahrungen des Willens
und des Herzens, alsdann der Inhalt dieſer Erfahrungen, ſonach
die Veränderung des tiefſten Seelenlebens: dies Alles enthielt nun
aber nicht nur die Anforderung einer auf die innere Erfahrung
zurückgehenden Grundlegung in ſich, ſondern es wirkte auch in
anderer Beziehung auf die fernere intellektuelle Entwicklung, und
zwar ſowol in Bezug auf die Naturerkenntniß als auf die Geiſtes-
wiſſenſchaften.
1) Schleiermacher, Pſychologie S. 195.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDarüber hinaus sind keine weiteren Bände erschien… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |