Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.
D. Erkennen d. alt. Völker tritt i. d. Stadium d. Einzelwissenschaften. wegung hat den leeren Raum zur Voraussetzung. -- Endlich lageine wichtige Bedingung in dem logischen Bewußtsein. Die Arbeit an der Unterwerfung des Wirklichen unter die Erkenntniß hatte die griechischen Geister während der sophistischen Epoche in eine revolutionäre Bewegung gebracht, in deren Strudel einmal die ganze griechische Wissenschaft unterzugehen drohte. Die wissenschaft- liche Gesetzgebung der aristotelischen Logik überwand diese Revolution und ermöglichte erst den ruhigen Fortschritt der positiven Wissen- schaften. In ihr lag die Voraussetzung für den Aufbau der mathe- matischen Wissenschaften, wie sie ein Euklid zeigt. Nur ihrer Hilfe verdankte man es, daß zu derselben Zeit, in welcher Metaphysiker und Physiker über die Möglichkeit eines Kriteriums der Wahrheit stritten, das Elementarwerk des Euklid hervortreten konnte, welches in der unangreifbaren Verkettung seiner Beweise den Widerspruch der ganzen Welt herauszufordern schien und das klassische Vorbild von Evidenz geworden ist. Die Schranken dieser Metaphysik machten sich folgerecht auch D. Erkennen d. alt. Völker tritt i. d. Stadium d. Einzelwiſſenſchaften. wegung hat den leeren Raum zur Vorausſetzung. — Endlich lageine wichtige Bedingung in dem logiſchen Bewußtſein. Die Arbeit an der Unterwerfung des Wirklichen unter die Erkenntniß hatte die griechiſchen Geiſter während der ſophiſtiſchen Epoche in eine revolutionäre Bewegung gebracht, in deren Strudel einmal die ganze griechiſche Wiſſenſchaft unterzugehen drohte. Die wiſſenſchaft- liche Geſetzgebung der ariſtoteliſchen Logik überwand dieſe Revolution und ermöglichte erſt den ruhigen Fortſchritt der poſitiven Wiſſen- ſchaften. In ihr lag die Vorausſetzung für den Aufbau der mathe- matiſchen Wiſſenſchaften, wie ſie ein Euklid zeigt. Nur ihrer Hilfe verdankte man es, daß zu derſelben Zeit, in welcher Metaphyſiker und Phyſiker über die Möglichkeit eines Kriteriums der Wahrheit ſtritten, das Elementarwerk des Euklid hervortreten konnte, welches in der unangreifbaren Verkettung ſeiner Beweiſe den Widerſpruch der ganzen Welt herauszufordern ſchien und das klaſſiſche Vorbild von Evidenz geworden iſt. Die Schranken dieſer Metaphyſik machten ſich folgerecht auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0334" n="311"/><fw place="top" type="header">D. Erkennen d. alt. Völker tritt i. d. Stadium d. Einzelwiſſenſchaften.</fw><lb/> wegung hat den leeren Raum zur Vorausſetzung. — Endlich lag<lb/> eine wichtige Bedingung in dem <hi rendition="#g">logiſchen Bewußtſein</hi>. Die<lb/> Arbeit an der Unterwerfung des Wirklichen unter die Erkenntniß<lb/> hatte die griechiſchen Geiſter während der ſophiſtiſchen Epoche in<lb/> eine revolutionäre Bewegung gebracht, in deren Strudel einmal die<lb/> ganze griechiſche Wiſſenſchaft unterzugehen drohte. Die wiſſenſchaft-<lb/> liche Geſetzgebung der ariſtoteliſchen Logik überwand dieſe Revolution<lb/> und ermöglichte erſt den ruhigen Fortſchritt der poſitiven Wiſſen-<lb/> ſchaften. In ihr lag die Vorausſetzung für den Aufbau der mathe-<lb/> matiſchen Wiſſenſchaften, wie ſie ein Euklid zeigt. Nur ihrer Hilfe<lb/> verdankte man es, daß zu derſelben Zeit, in welcher Metaphyſiker<lb/> und Phyſiker über die Möglichkeit eines Kriteriums der Wahrheit<lb/> ſtritten, das Elementarwerk des Euklid hervortreten konnte, welches<lb/> in der unangreifbaren Verkettung ſeiner Beweiſe den Widerſpruch<lb/> der ganzen Welt herauszufordern ſchien und das klaſſiſche Vorbild<lb/> von Evidenz geworden iſt.</p><lb/> <p>Die Schranken dieſer Metaphyſik machten ſich folgerecht auch<lb/> in dieſem Stadium der Einzelwiſſenſchaften geltend; die neuen<lb/> Richtungen, welche die Einzelwiſſenſchaften theilweiſe einſchlugen,<lb/> wurden nicht gleichmäßig feſtgehalten. In der Mathematik wurde<lb/> das Werkzeug für exakte Wiſſenſchaft entwickelt, das den Arabern und<lb/> den germaniſch-romaniſchen Völkern die Aufſchließung der Natur<lb/> ermöglichen ſollte. Auch nahm die Anwendung von Inſtrumenten,<lb/> welche eine Meſſung ermöglichen, ſowie des Experiments, welches<lb/> Erſcheinungen nicht nur beobachtet, ſondern unter veränderten<lb/> Bedingungen willkürlich hervorruft, beſtändig zu. Einen hervor-<lb/> ragenden Fall von zuſammenhängender experimenteller Behand-<lb/> lung eines Problems bilden die Unterſuchungen des Ptolemäus<lb/> über die Brechung der Lichtſtrahlen bei ihrem Durchgang durch<lb/> Mittel ungleicher Dichtigkeit; hier werden die Strahlen von der<lb/> Luft in Waſſer und Glas, von Waſſer in Glas unter verſchiedenen<lb/> Einfallswinkeln geleitet. Die am meiſten fundamentalen Vor-<lb/> ſtellungen, zu denen nun die Wiſſenſchaften von der Natur ge-<lb/> langten, ſind in den ſtatiſchen Arbeiten des Archimedes enthalten.<lb/> Er entwickelte auf vorherrſchend mathematiſchem Wege, von dem<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [311/0334]
D. Erkennen d. alt. Völker tritt i. d. Stadium d. Einzelwiſſenſchaften.
wegung hat den leeren Raum zur Vorausſetzung. — Endlich lag
eine wichtige Bedingung in dem logiſchen Bewußtſein. Die
Arbeit an der Unterwerfung des Wirklichen unter die Erkenntniß
hatte die griechiſchen Geiſter während der ſophiſtiſchen Epoche in
eine revolutionäre Bewegung gebracht, in deren Strudel einmal die
ganze griechiſche Wiſſenſchaft unterzugehen drohte. Die wiſſenſchaft-
liche Geſetzgebung der ariſtoteliſchen Logik überwand dieſe Revolution
und ermöglichte erſt den ruhigen Fortſchritt der poſitiven Wiſſen-
ſchaften. In ihr lag die Vorausſetzung für den Aufbau der mathe-
matiſchen Wiſſenſchaften, wie ſie ein Euklid zeigt. Nur ihrer Hilfe
verdankte man es, daß zu derſelben Zeit, in welcher Metaphyſiker
und Phyſiker über die Möglichkeit eines Kriteriums der Wahrheit
ſtritten, das Elementarwerk des Euklid hervortreten konnte, welches
in der unangreifbaren Verkettung ſeiner Beweiſe den Widerſpruch
der ganzen Welt herauszufordern ſchien und das klaſſiſche Vorbild
von Evidenz geworden iſt.
Die Schranken dieſer Metaphyſik machten ſich folgerecht auch
in dieſem Stadium der Einzelwiſſenſchaften geltend; die neuen
Richtungen, welche die Einzelwiſſenſchaften theilweiſe einſchlugen,
wurden nicht gleichmäßig feſtgehalten. In der Mathematik wurde
das Werkzeug für exakte Wiſſenſchaft entwickelt, das den Arabern und
den germaniſch-romaniſchen Völkern die Aufſchließung der Natur
ermöglichen ſollte. Auch nahm die Anwendung von Inſtrumenten,
welche eine Meſſung ermöglichen, ſowie des Experiments, welches
Erſcheinungen nicht nur beobachtet, ſondern unter veränderten
Bedingungen willkürlich hervorruft, beſtändig zu. Einen hervor-
ragenden Fall von zuſammenhängender experimenteller Behand-
lung eines Problems bilden die Unterſuchungen des Ptolemäus
über die Brechung der Lichtſtrahlen bei ihrem Durchgang durch
Mittel ungleicher Dichtigkeit; hier werden die Strahlen von der
Luft in Waſſer und Glas, von Waſſer in Glas unter verſchiedenen
Einfallswinkeln geleitet. Die am meiſten fundamentalen Vor-
ſtellungen, zu denen nun die Wiſſenſchaften von der Natur ge-
langten, ſind in den ſtatiſchen Arbeiten des Archimedes enthalten.
Er entwickelte auf vorherrſchend mathematiſchem Wege, von dem
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