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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Ursachen der Veränderung dieser Theorie.
wegung der Wandelsterne hervorgebracht würde, und sie gab dem
entsprechend die Annahme einer einzigen und einfachen Kraft für
die Erklärung dieses Systems von Bewegungen auf. Das erstere
thaten Pythagoreer zuerst; in den Fragmenten des Philolaus
haben wir diese kosmische Ansicht vor uns. Das zweite that die
astronomische Schule, an welche sich Aristoteles anschloß, und
theils auf diese theils auf den neuen Versuch des Hipparch und
Ptolemäus stützte sich dann die das Mittelalter beherrschende
Metaphysik. So wurde also diese herrschende europäische Metaphysik
weiter in der Ausbildung ihrer Vorstellung von der die Gestirn-
welt bewegenden Kraft durch Zerlegung der verwickelteren Bahnen
der Planeten geleitet. Diese Zerlegung geschah nach der Regel der
astronomischen Forschung, die schon Plato formulirte: geht man
von den Bahnen aus, welche die Wandelsterne am Himmel be-
schreiben, so sind die gleichmäßigen und regelmäßigen Bewegungen
zu suchen, welche die gegebenen Bahnen erklären, ohne den That-
sachen Gewalt anzuthun 1). Die Formel der Aufgabe schließt die
richtige Fassung von Problem und Methode, zugleich aber auch
jene willkürliche Voraussetzung über die Bewegungen in sich, welche
die alte Astronomie an die Zurückführung auf Kreisbewegungen
festnagelte. Indem diese Formel angewandt wurde, wandelte sich
die anaxagoreische Lehre vom weltbewegenden Nus um in die
aristotelische von einer Geisterwelt, in welcher unter dem ersten
die vollkommene Bewegung der Fixsternsphäre unmittelbar bewir-
kenden, unbewegten Beweger die Drehung der anderen zahlreichen
Sphären von eben so viel ewigen und unkörperlichen Wesen her-
vorgebracht wird.




1) Bericht des Sosigenes bei Simplic. zu de caelo Schol. p. 498 b 2
tinon upotetheison omalon kai tetagmenon kineseon diasothe ta
peri tas kineseis ton planomenon phainomena.
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Urſachen der Veränderung dieſer Theorie.
wegung der Wandelſterne hervorgebracht würde, und ſie gab dem
entſprechend die Annahme einer einzigen und einfachen Kraft für
die Erklärung dieſes Syſtems von Bewegungen auf. Das erſtere
thaten Pythagoreer zuerſt; in den Fragmenten des Philolaus
haben wir dieſe kosmiſche Anſicht vor uns. Das zweite that die
aſtronomiſche Schule, an welche ſich Ariſtoteles anſchloß, und
theils auf dieſe theils auf den neuen Verſuch des Hipparch und
Ptolemäus ſtützte ſich dann die das Mittelalter beherrſchende
Metaphyſik. So wurde alſo dieſe herrſchende europäiſche Metaphyſik
weiter in der Ausbildung ihrer Vorſtellung von der die Geſtirn-
welt bewegenden Kraft durch Zerlegung der verwickelteren Bahnen
der Planeten geleitet. Dieſe Zerlegung geſchah nach der Regel der
aſtronomiſchen Forſchung, die ſchon Plato formulirte: geht man
von den Bahnen aus, welche die Wandelſterne am Himmel be-
ſchreiben, ſo ſind die gleichmäßigen und regelmäßigen Bewegungen
zu ſuchen, welche die gegebenen Bahnen erklären, ohne den That-
ſachen Gewalt anzuthun 1). Die Formel der Aufgabe ſchließt die
richtige Faſſung von Problem und Methode, zugleich aber auch
jene willkürliche Vorausſetzung über die Bewegungen in ſich, welche
die alte Aſtronomie an die Zurückführung auf Kreisbewegungen
feſtnagelte. Indem dieſe Formel angewandt wurde, wandelte ſich
die anaxagoreiſche Lehre vom weltbewegenden Nus um in die
ariſtoteliſche von einer Geiſterwelt, in welcher unter dem erſten
die vollkommene Bewegung der Fixſternſphäre unmittelbar bewir-
kenden, unbewegten Beweger die Drehung der anderen zahlreichen
Sphären von eben ſo viel ewigen und unkörperlichen Weſen her-
vorgebracht wird.




1) Bericht des Soſigenes bei Simplic. zu de caelo Schol. p. 498 b 2
τίνων ὑποτεϑεισῶν ὁμαλῶν καὶ τεταγμένων κινήσεων διασωϑῇ τὰ
πεϱὶ τὰς κινήσεις τῶν πλανωμένων φαινόμενα.
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[211/0234] Urſachen der Veränderung dieſer Theorie. wegung der Wandelſterne hervorgebracht würde, und ſie gab dem entſprechend die Annahme einer einzigen und einfachen Kraft für die Erklärung dieſes Syſtems von Bewegungen auf. Das erſtere thaten Pythagoreer zuerſt; in den Fragmenten des Philolaus haben wir dieſe kosmiſche Anſicht vor uns. Das zweite that die aſtronomiſche Schule, an welche ſich Ariſtoteles anſchloß, und theils auf dieſe theils auf den neuen Verſuch des Hipparch und Ptolemäus ſtützte ſich dann die das Mittelalter beherrſchende Metaphyſik. So wurde alſo dieſe herrſchende europäiſche Metaphyſik weiter in der Ausbildung ihrer Vorſtellung von der die Geſtirn- welt bewegenden Kraft durch Zerlegung der verwickelteren Bahnen der Planeten geleitet. Dieſe Zerlegung geſchah nach der Regel der aſtronomiſchen Forſchung, die ſchon Plato formulirte: geht man von den Bahnen aus, welche die Wandelſterne am Himmel be- ſchreiben, ſo ſind die gleichmäßigen und regelmäßigen Bewegungen zu ſuchen, welche die gegebenen Bahnen erklären, ohne den That- ſachen Gewalt anzuthun 1). Die Formel der Aufgabe ſchließt die richtige Faſſung von Problem und Methode, zugleich aber auch jene willkürliche Vorausſetzung über die Bewegungen in ſich, welche die alte Aſtronomie an die Zurückführung auf Kreisbewegungen feſtnagelte. Indem dieſe Formel angewandt wurde, wandelte ſich die anaxagoreiſche Lehre vom weltbewegenden Nus um in die ariſtoteliſche von einer Geiſterwelt, in welcher unter dem erſten die vollkommene Bewegung der Fixſternſphäre unmittelbar bewir- kenden, unbewegten Beweger die Drehung der anderen zahlreichen Sphären von eben ſo viel ewigen und unkörperlichen Weſen her- vorgebracht wird. 1) Bericht des Soſigenes bei Simplic. zu de caelo Schol. p. 498 b 2 τίνων ὑποτεϑεισῶν ὁμαλῶν καὶ τεταγμένων κινήσεων διασωϑῇ τὰ πεϱὶ τὰς κινήσεις τῶν πλανωμένων φαινόμενα. 14*

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/234>, abgerufen am 23.11.2024.