Anaxagoras begründet den Monotheismus auf die Astronomie.
der Himmelskugel, der Nus aber hat diese Drehung von einer kleinen Angriffsstelle aus hervorgebracht, und von dieser aus hat die Drehung sich immer weiter ausgebreitet. Denn diese Sätze führen auf einen Anfangspunkt, an welchem der kleinste Kreis an der Himmelskugel beschrieben wird.
Geht man nun von dieser Grundvorstellung aus, so über- sieht man, wie Anaxagoras seinen Monotheismus erschloß. War er von der Verbreitung der Wirkung der Schwerkraft in allen Himmelskörpern ausgegangen und hatte eine entgegenwirkende Kraft postulirt, so schloß er jetzt näher, auf Grund der gemein- samen Drehung aller Stellen der Himmelskugel, (indem er für die Eigenbewegungen von Sonne, Mond und Planeten einen beson- deren mechanischen Erklärungsgrund sich vorbehielt) auf Eine von der Materie dieser Körper unabhängige, zweck- mäßig, sonach intelligent wirkende Kraft. "Das Andere hat einen Theil von Allem mit sich verbunden. Der Nus aber ist ein Unermeßliches und Selbstherrliches und er ist mit keinem Dinge 1) gemischt, sondern allein für sich ruhet er auf sich selber" 2). -- Zuerst: der Nus muß von der Materie gesondert sein; denn wäre er dem Anderen beigemischt, so würde das mit ihm Zusammengemischte ihn hindern, so daß er kein Ding so zu beherrschen vermöchte, wie er nun vermag, da er auf sich selber ruht 3). Und zwar wurde eine solche selbständige Kraft, welche die gemeinsame Drehung hervorbringt, überhaupt am einfachsten von der Weltkugel räumlich getrennt und von einer Angriffsstelle außerhalb derselben die Drehung und Weltbildung bewirkend ge- dacht; für Anaxagoras, welchem der Nus das "Leichteste" und "Reinste" aller "Dinge", sonach ein verfeinertes Stoffliches oder doch an der Grenze von Stofflichkeit noch befindlich gewesen ist, war diese Vorstellung unvermeidlich. -- Alsdann: die Er- kenntniß der gemeinsamen Bewegungen an der ganzen Himmels- kugel vervollständigte diesen Schluß dahin, daß diese von außen
Anaxagoras begründet den Monotheismus auf die Aſtronomie.
der Himmelskugel, der Nus aber hat dieſe Drehung von einer kleinen Angriffsſtelle aus hervorgebracht, und von dieſer aus hat die Drehung ſich immer weiter ausgebreitet. Denn dieſe Sätze führen auf einen Anfangspunkt, an welchem der kleinſte Kreis an der Himmelskugel beſchrieben wird.
Geht man nun von dieſer Grundvorſtellung aus, ſo über- ſieht man, wie Anaxagoras ſeinen Monotheismus erſchloß. War er von der Verbreitung der Wirkung der Schwerkraft in allen Himmelskörpern ausgegangen und hatte eine entgegenwirkende Kraft poſtulirt, ſo ſchloß er jetzt näher, auf Grund der gemein- ſamen Drehung aller Stellen der Himmelskugel, (indem er für die Eigenbewegungen von Sonne, Mond und Planeten einen beſon- deren mechaniſchen Erklärungsgrund ſich vorbehielt) auf Eine von der Materie dieſer Körper unabhängige, zweck- mäßig, ſonach intelligent wirkende Kraft. „Das Andere hat einen Theil von Allem mit ſich verbunden. Der Nus aber iſt ein Unermeßliches und Selbſtherrliches und er iſt mit keinem Dinge 1) gemiſcht, ſondern allein für ſich ruhet er auf ſich ſelber“ 2). — Zuerſt: der Nus muß von der Materie geſondert ſein; denn wäre er dem Anderen beigemiſcht, ſo würde das mit ihm Zuſammengemiſchte ihn hindern, ſo daß er kein Ding ſo zu beherrſchen vermöchte, wie er nun vermag, da er auf ſich ſelber ruht 3). Und zwar wurde eine ſolche ſelbſtändige Kraft, welche die gemeinſame Drehung hervorbringt, überhaupt am einfachſten von der Weltkugel räumlich getrennt und von einer Angriffsſtelle außerhalb derſelben die Drehung und Weltbildung bewirkend ge- dacht; für Anaxagoras, welchem der Nus das „Leichteſte“ und „Reinſte“ aller „Dinge“, ſonach ein verfeinertes Stoffliches oder doch an der Grenze von Stofflichkeit noch befindlich geweſen iſt, war dieſe Vorſtellung unvermeidlich. — Alsdann: die Er- kenntniß der gemeinſamen Bewegungen an der ganzen Himmels- kugel vervollſtändigte dieſen Schluß dahin, daß dieſe von außen
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Anaxagoras begründet den Monotheismus auf die Aſtronomie.
der Himmelskugel, der Nus aber hat dieſe Drehung von einer
kleinen Angriffsſtelle aus hervorgebracht, und von dieſer aus hat
die Drehung ſich immer weiter ausgebreitet. Denn dieſe Sätze
führen auf einen Anfangspunkt, an welchem der kleinſte Kreis
an der Himmelskugel beſchrieben wird.
Geht man nun von dieſer Grundvorſtellung aus, ſo über-
ſieht man, wie Anaxagoras ſeinen Monotheismus erſchloß. War
er von der Verbreitung der Wirkung der Schwerkraft in allen
Himmelskörpern ausgegangen und hatte eine entgegenwirkende
Kraft poſtulirt, ſo ſchloß er jetzt näher, auf Grund der gemein-
ſamen Drehung aller Stellen der Himmelskugel, (indem er für die
Eigenbewegungen von Sonne, Mond und Planeten einen beſon-
deren mechaniſchen Erklärungsgrund ſich vorbehielt) auf Eine
von der Materie dieſer Körper unabhängige, zweck-
mäßig, ſonach intelligent wirkende Kraft. „Das Andere
hat einen Theil von Allem mit ſich verbunden. Der Nus aber
iſt ein Unermeßliches und Selbſtherrliches und er iſt mit keinem
Dinge 1) gemiſcht, ſondern allein für ſich ruhet er auf ſich
ſelber“ 2). — Zuerſt: der Nus muß von der Materie geſondert
ſein; denn wäre er dem Anderen beigemiſcht, ſo würde das mit
ihm Zuſammengemiſchte ihn hindern, ſo daß er kein Ding ſo zu
beherrſchen vermöchte, wie er nun vermag, da er auf ſich ſelber
ruht 3). Und zwar wurde eine ſolche ſelbſtändige Kraft, welche
die gemeinſame Drehung hervorbringt, überhaupt am einfachſten
von der Weltkugel räumlich getrennt und von einer Angriffsſtelle
außerhalb derſelben die Drehung und Weltbildung bewirkend ge-
dacht; für Anaxagoras, welchem der Nus das „Leichteſte“ und
„Reinſte“ aller „Dinge“, ſonach ein verfeinertes Stoffliches oder
doch an der Grenze von Stofflichkeit noch befindlich geweſen
iſt, war dieſe Vorſtellung unvermeidlich. — Alsdann: die Er-
kenntniß der gemeinſamen Bewegungen an der ganzen Himmels-
kugel vervollſtändigte dieſen Schluß dahin, daß dieſe von außen
1) Anaxagoras ſagt: keinem χϱήματι, Maſſentheilchen.
2) Simplic. daſ. f. 33 v. (Mullach I, 249 fr. 6).
3) Ebendaſelbſt.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/230>, abgerufen am 06.05.2024.
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