Fortbestand mythischer Elemente. Der weltgeschichtliche Fortschritt.
Satz Spinoza's halte: omnis determinatio est negatio. So ist diese alterthümliche Weltansicht keineswegs, wie seit Schleiermacher oft geschieht, einfach auf eine primitive Form des Pantheismus zurückzuführen.
So langsam, allmälig hat, auch nachdem eine erklärende Wissenschaft sich losgerungen hatte, diese die Macht der mythischen Erklärungsgründe, des mythischen Zusammenhangs zersetzt. In so harter Arbeit hat sich aus der ersten Gebundenheit des geistigen Gesammtlebens, in welcher dem Menschen die Wirklich- keit gegeben ist und immer gegeben bleibt, der Zweckzusammenhang des Erkennens in der Wissenschaft zur Selbständigkeit herausgearbeitet. So schwierig war dieser Wissenschaft der Ersatz der ursprünglichen Vorstellungen durch solche von einer größeren Angemessenheit an ihren Gegenstand. Denn der Zusammenhang der Dinge ist ursprüng- lich von der Totalität der Gemüthskräfte hervorgebracht worden; nur schrittweise hat dann das Erkennen das rein Gedankenmäßige aus ihm herausgelöst. Leben ist das Erste und immer Gegenwärtige, die Abstraktionen des Erkennens sind das zweite und beziehen sich nur auf das Leben. So entspringen wichtige Grundzüge des alterthümlichen Denkens. Es beginnt nicht mit dem Relativen, sondern mit dem Absoluten, und zwar faßt es dasselbe mit den Bestimmungen auf, welche aus dem religiösen Erlebniß stammen; das Wirkliche ist ihm ein Lebendiges; der Zusammenhang der Er- scheinungen ist ihm ein Psychisches oder doch ein dem Psychischen Analoges.
Dennoch hat die menschliche Intelligenz zu keiner Zeit einen größeren Fortschritt gemacht, als in dem Jahrhundert, das nun- mehr abgelaufen war, als Heraklit und dann Parmenides auftraten. Die Wissenschaft war nun vorhanden. Die Phänomene wurden in ihrer Regelmäßigkeit und ihrem Zusammenhang überwiegend aus natürlichen Ursachen abgeleitet. Das Korrelat der nun ein- getretenen Selbständigkeit der griechischen Wissenschaft ist der Aus- druck: Kosmos. Er wird von den Alten auf Pythagoras zurück- geführt: "Pythagoras zuerst nannte das Weltall Kosmos, wegen
Fortbeſtand mythiſcher Elemente. Der weltgeſchichtliche Fortſchritt.
Satz Spinoza’s halte: omnis determinatio est negatio. So iſt dieſe alterthümliche Weltanſicht keineswegs, wie ſeit Schleiermacher oft geſchieht, einfach auf eine primitive Form des Pantheismus zurückzuführen.
So langſam, allmälig hat, auch nachdem eine erklärende Wiſſenſchaft ſich losgerungen hatte, dieſe die Macht der mythiſchen Erklärungsgründe, des mythiſchen Zuſammenhangs zerſetzt. In ſo harter Arbeit hat ſich aus der erſten Gebundenheit des geiſtigen Geſammtlebens, in welcher dem Menſchen die Wirklich- keit gegeben iſt und immer gegeben bleibt, der Zweckzuſammenhang des Erkennens in der Wiſſenſchaft zur Selbſtändigkeit herausgearbeitet. So ſchwierig war dieſer Wiſſenſchaft der Erſatz der urſprünglichen Vorſtellungen durch ſolche von einer größeren Angemeſſenheit an ihren Gegenſtand. Denn der Zuſammenhang der Dinge iſt urſprüng- lich von der Totalität der Gemüthskräfte hervorgebracht worden; nur ſchrittweiſe hat dann das Erkennen das rein Gedankenmäßige aus ihm herausgelöſt. Leben iſt das Erſte und immer Gegenwärtige, die Abſtraktionen des Erkennens ſind das zweite und beziehen ſich nur auf das Leben. So entſpringen wichtige Grundzüge des alterthümlichen Denkens. Es beginnt nicht mit dem Relativen, ſondern mit dem Abſoluten, und zwar faßt es daſſelbe mit den Beſtimmungen auf, welche aus dem religiöſen Erlebniß ſtammen; das Wirkliche iſt ihm ein Lebendiges; der Zuſammenhang der Er- ſcheinungen iſt ihm ein Pſychiſches oder doch ein dem Pſychiſchen Analoges.
Dennoch hat die menſchliche Intelligenz zu keiner Zeit einen größeren Fortſchritt gemacht, als in dem Jahrhundert, das nun- mehr abgelaufen war, als Heraklit und dann Parmenides auftraten. Die Wiſſenſchaft war nun vorhanden. Die Phänomene wurden in ihrer Regelmäßigkeit und ihrem Zuſammenhang überwiegend aus natürlichen Urſachen abgeleitet. Das Korrelat der nun ein- getretenen Selbſtändigkeit der griechiſchen Wiſſenſchaft iſt der Aus- druck: Kosmos. Er wird von den Alten auf Pythagoras zurück- geführt: „Pythagoras zuerſt nannte das Weltall Kosmos, wegen
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Fortbeſtand mythiſcher Elemente. Der weltgeſchichtliche Fortſchritt.
Satz Spinoza’s halte: omnis determinatio est negatio. So iſt
dieſe alterthümliche Weltanſicht keineswegs, wie ſeit Schleiermacher
oft geſchieht, einfach auf eine primitive Form des Pantheismus
zurückzuführen.
So langſam, allmälig hat, auch nachdem eine erklärende
Wiſſenſchaft ſich losgerungen hatte, dieſe die Macht der mythiſchen
Erklärungsgründe, des mythiſchen Zuſammenhangs zerſetzt. In
ſo harter Arbeit hat ſich aus der erſten Gebundenheit des
geiſtigen Geſammtlebens, in welcher dem Menſchen die Wirklich-
keit gegeben iſt und immer gegeben bleibt, der Zweckzuſammenhang
des Erkennens in der Wiſſenſchaft zur Selbſtändigkeit herausgearbeitet.
So ſchwierig war dieſer Wiſſenſchaft der Erſatz der urſprünglichen
Vorſtellungen durch ſolche von einer größeren Angemeſſenheit an
ihren Gegenſtand. Denn der Zuſammenhang der Dinge iſt urſprüng-
lich von der Totalität der Gemüthskräfte hervorgebracht worden;
nur ſchrittweiſe hat dann das Erkennen das rein Gedankenmäßige
aus ihm herausgelöſt. Leben iſt das Erſte und immer Gegenwärtige,
die Abſtraktionen des Erkennens ſind das zweite und beziehen ſich
nur auf das Leben. So entſpringen wichtige Grundzüge des
alterthümlichen Denkens. Es beginnt nicht mit dem Relativen,
ſondern mit dem Abſoluten, und zwar faßt es daſſelbe mit den
Beſtimmungen auf, welche aus dem religiöſen Erlebniß ſtammen;
das Wirkliche iſt ihm ein Lebendiges; der Zuſammenhang der Er-
ſcheinungen iſt ihm ein Pſychiſches oder doch ein dem Pſychiſchen
Analoges.
Dennoch hat die menſchliche Intelligenz zu keiner Zeit einen
größeren Fortſchritt gemacht, als in dem Jahrhundert, das nun-
mehr abgelaufen war, als Heraklit und dann Parmenides auftraten.
Die Wiſſenſchaft war nun vorhanden. Die Phänomene wurden
in ihrer Regelmäßigkeit und ihrem Zuſammenhang überwiegend
aus natürlichen Urſachen abgeleitet. Das Korrelat der nun ein-
getretenen Selbſtändigkeit der griechiſchen Wiſſenſchaft iſt der Aus-
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/208>, abgerufen am 24.11.2024.
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