Psychologische Grundlagen d. äuß. Organisation d. Gesellschaft.
auch die äußere Verbindung hinzudachte: eine das ganze Menschen- geschlecht umspannende Association.
Zwei psychische Thatsachen liegen dieser äußeren Organisation der Menschheit überall zu Grunde. Sie gehören sonach zu den psychischen Thatsachen zweiter Ordnung, welche für diese theore- tischen Einzelwissenschaften der Gesellschaft grundlegend sind.
Eine von ihnen ist in jeder Art von Gemeinschaft und Be- wußtsein von Gemeinschaft vorliegend. Wird sie mit dem Ausdruck: Gemeinsinn oder Geselligkeitstrieb bezeichnet, so muß, wie bei der Unterscheidung von Vermögen rücksichtlich der psychi- schen Thatsachen erster Ordnung, festgehalten werden, daß dies nur ein zusammenfassender Ausdruck für das dieser Thatsache zu Grunde liegende x ist; dasselbe kann ebensogut eine Mehrheit von Faktoren enthalten als eine einheitliche Grundlage. -- Die That- sache selber aber ist diese: mit sehr verschiedenen psychischen Be- ziehungen zwischen Individuen, mit dem Bewußtsein gemeinsamer Abstammung, mit örtlichem Zusammenwohnen, mit der Gleich- artigkeit der Individuen, die in solchen Verhältnissen gegründet ist (denn Ungleichheit ist nicht als solche ein Band von Gemeinschaft, sondern nur sofern sie ein Ineinandergreifen der Verschiedenen zu einer Leistung ermöglicht, sei sie auch nur die eines geistreichen Gesprächs oder eines erfrischenden Eindrucks in der Einförmig- keit des Lebens), mit der mannigfachen Zusammenordnung durch die im psychischen Leben angelegten Aufgaben und Zwecke, mit dem Thatbestand von Verband ist in irgend einem Grade ein Gemein- schaftsgefühl verknüpft, wofern es nicht durch eine entgegenstehende psychische Einwirkung aufgehoben wird. So ist mit der Zweck- vorstellung eines Thuns und den ihr verbundenen Antrieben in A, welche auf den entsprechenden mitwirkenden Vorgang in B und C rechnen, in A ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Gemein- schaft verwebt: eine Solidarität der Interessen. Wir können die beiden psychischen Thatbestände, das Verhältniß, das zu Grunde liegt, und das Gemeinschaftsgefühl, vermöge dessen es sich gewisser- maßen im Gefühlsleben reflektirt, von einander deutlich sondern. -- Jeder Kunst der Analyse spottet nun die außerordentliche Mannig-
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Pſychologiſche Grundlagen d. äuß. Organiſation d. Geſellſchaft.
auch die äußere Verbindung hinzudachte: eine das ganze Menſchen- geſchlecht umſpannende Aſſociation.
Zwei pſychiſche Thatſachen liegen dieſer äußeren Organiſation der Menſchheit überall zu Grunde. Sie gehören ſonach zu den pſychiſchen Thatſachen zweiter Ordnung, welche für dieſe theore- tiſchen Einzelwiſſenſchaften der Geſellſchaft grundlegend ſind.
Eine von ihnen iſt in jeder Art von Gemeinſchaft und Be- wußtſein von Gemeinſchaft vorliegend. Wird ſie mit dem Ausdruck: Gemeinſinn oder Geſelligkeitstrieb bezeichnet, ſo muß, wie bei der Unterſcheidung von Vermögen rückſichtlich der pſychi- ſchen Thatſachen erſter Ordnung, feſtgehalten werden, daß dies nur ein zuſammenfaſſender Ausdruck für das dieſer Thatſache zu Grunde liegende x iſt; daſſelbe kann ebenſogut eine Mehrheit von Faktoren enthalten als eine einheitliche Grundlage. — Die That- ſache ſelber aber iſt dieſe: mit ſehr verſchiedenen pſychiſchen Be- ziehungen zwiſchen Individuen, mit dem Bewußtſein gemeinſamer Abſtammung, mit örtlichem Zuſammenwohnen, mit der Gleich- artigkeit der Individuen, die in ſolchen Verhältniſſen gegründet iſt (denn Ungleichheit iſt nicht als ſolche ein Band von Gemeinſchaft, ſondern nur ſofern ſie ein Ineinandergreifen der Verſchiedenen zu einer Leiſtung ermöglicht, ſei ſie auch nur die eines geiſtreichen Geſprächs oder eines erfriſchenden Eindrucks in der Einförmig- keit des Lebens), mit der mannigfachen Zuſammenordnung durch die im pſychiſchen Leben angelegten Aufgaben und Zwecke, mit dem Thatbeſtand von Verband iſt in irgend einem Grade ein Gemein- ſchaftsgefühl verknüpft, wofern es nicht durch eine entgegenſtehende pſychiſche Einwirkung aufgehoben wird. So iſt mit der Zweck- vorſtellung eines Thuns und den ihr verbundenen Antrieben in A, welche auf den entſprechenden mitwirkenden Vorgang in B und C rechnen, in A ein Gefühl von Zuſammengehörigkeit und Gemein- ſchaft verwebt: eine Solidarität der Intereſſen. Wir können die beiden pſychiſchen Thatbeſtände, das Verhältniß, das zu Grunde liegt, und das Gemeinſchaftsgefühl, vermöge deſſen es ſich gewiſſer- maßen im Gefühlsleben reflektirt, von einander deutlich ſondern. — Jeder Kunſt der Analyſe ſpottet nun die außerordentliche Mannig-
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Pſychologiſche Grundlagen d. äuß. Organiſation d. Geſellſchaft.
auch die äußere Verbindung hinzudachte: eine das ganze Menſchen-
geſchlecht umſpannende Aſſociation.
Zwei pſychiſche Thatſachen liegen dieſer äußeren Organiſation
der Menſchheit überall zu Grunde. Sie gehören ſonach zu den
pſychiſchen Thatſachen zweiter Ordnung, welche für dieſe theore-
tiſchen Einzelwiſſenſchaften der Geſellſchaft grundlegend ſind.
Eine von ihnen iſt in jeder Art von Gemeinſchaft und Be-
wußtſein von Gemeinſchaft vorliegend. Wird ſie mit dem
Ausdruck: Gemeinſinn oder Geſelligkeitstrieb bezeichnet, ſo muß,
wie bei der Unterſcheidung von Vermögen rückſichtlich der pſychi-
ſchen Thatſachen erſter Ordnung, feſtgehalten werden, daß dies
nur ein zuſammenfaſſender Ausdruck für das dieſer Thatſache zu
Grunde liegende x iſt; daſſelbe kann ebenſogut eine Mehrheit von
Faktoren enthalten als eine einheitliche Grundlage. — Die That-
ſache ſelber aber iſt dieſe: mit ſehr verſchiedenen pſychiſchen Be-
ziehungen zwiſchen Individuen, mit dem Bewußtſein gemeinſamer
Abſtammung, mit örtlichem Zuſammenwohnen, mit der Gleich-
artigkeit der Individuen, die in ſolchen Verhältniſſen gegründet iſt
(denn Ungleichheit iſt nicht als ſolche ein Band von Gemeinſchaft,
ſondern nur ſofern ſie ein Ineinandergreifen der Verſchiedenen
zu einer Leiſtung ermöglicht, ſei ſie auch nur die eines geiſtreichen
Geſprächs oder eines erfriſchenden Eindrucks in der Einförmig-
keit des Lebens), mit der mannigfachen Zuſammenordnung durch
die im pſychiſchen Leben angelegten Aufgaben und Zwecke, mit dem
Thatbeſtand von Verband iſt in irgend einem Grade ein Gemein-
ſchaftsgefühl verknüpft, wofern es nicht durch eine entgegenſtehende
pſychiſche Einwirkung aufgehoben wird. So iſt mit der Zweck-
vorſtellung eines Thuns und den ihr verbundenen Antrieben in A,
welche auf den entſprechenden mitwirkenden Vorgang in B und C
rechnen, in A ein Gefühl von Zuſammengehörigkeit und Gemein-
ſchaft verwebt: eine Solidarität der Intereſſen. Wir können die
beiden pſychiſchen Thatbeſtände, das Verhältniß, das zu Grunde
liegt, und das Gemeinſchaftsgefühl, vermöge deſſen es ſich gewiſſer-
maßen im Gefühlsleben reflektirt, von einander deutlich ſondern. —
Jeder Kunſt der Analyſe ſpottet nun die außerordentliche Mannig-
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/106>, abgerufen am 23.11.2024.
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