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Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

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seinem früheren Leben keine Gelegenheit gehabt, sie von ihrer
schönen und edlen Seite kennen zu lernen.

Unmöglich ist die Erreichung dieses Zweckes, wenn man
die Jünglinge sich selbst überläßt. Auch erzielen die Thee-
kränzchen einzelner Professoren mit ihren Disputationen über
scholastische Spitzfindigkeiten nicht, was wir meinen. Für
Einzelne ist gesorgt, die so glücklich sind, in der Universitäts-
stadt Eintritt in gebildete Familien zu finden. Aber dieser
glücklichen sind wenige. Die meisten sind beschränkt auf das
Besuchen der Hörsäle, der Stubenburschen, der Restauratio-
nen und Kneipen.

Nur in geselligen Kreisen gemischter Gesellschaft, d. h.
von Männern und Frauen, lernt sich feine, zarte Sitte und
liebliche Erscheinung. Von Courtoisie und Schmeichelkünsten
ist nicht die Rede. Die Turnkunst wird unsre Jünglinge da-
von fern halten. Aber Gewandtheit im Umgange und Liebe
zu edler Geselligkeit in erheiternden Gesprächen, in Spielen
des Witzes und der Laune, wie in den Bewegungen des Tan-
zes sollen unsre Jünglinge lieben und üben lernen. Wahrlich
mancher edle Jüngling ist dadurch allein zu Grund gegangen,
daß es ihm an dem Hebel, der in dem Umgange und in der
Achtung edler Frauen liegt, fehlte. Sein Herz verlangte
mehr, als der Fechtsaal oder der Commersch ihm brachte,
und er fiel, oder -- was noch schlimmer ist -- er sank.

Wie dieses zu veranstalten, solches anzugeben, ist nicht
unsre Aufgabe. Wir nennen die Bedingungen, unter welchen
die Bildung auf der Universität eine allseitige werden kann.
Die Ausführung liegt denen ob, die zu Leitern und Lehrern
der Hochschulen bestellt sind. Einzelnes ist auf einzelnen in
schöner Weise schon geleistet. So in Heidelberg, dieser be-

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ſeinem fruͤheren Leben keine Gelegenheit gehabt, ſie von ihrer
ſchoͤnen und edlen Seite kennen zu lernen.

Unmoͤglich iſt die Erreichung dieſes Zweckes, wenn man
die Juͤnglinge ſich ſelbſt uͤberlaͤßt. Auch erzielen die Thee-
kraͤnzchen einzelner Profeſſoren mit ihren Disputationen uͤber
ſcholaſtiſche Spitzfindigkeiten nicht, was wir meinen. Fuͤr
Einzelne iſt geſorgt, die ſo gluͤcklich ſind, in der Univerſitaͤts-
ſtadt Eintritt in gebildete Familien zu finden. Aber dieſer
gluͤcklichen ſind wenige. Die meiſten ſind beſchraͤnkt auf das
Beſuchen der Hoͤrſaͤle, der Stubenburſchen, der Reſtauratio-
nen und Kneipen.

Nur in geſelligen Kreiſen gemiſchter Geſellſchaft, d. h.
von Maͤnnern und Frauen, lernt ſich feine, zarte Sitte und
liebliche Erſcheinung. Von Courtoiſie und Schmeichelkuͤnſten
iſt nicht die Rede. Die Turnkunſt wird unſre Juͤnglinge da-
von fern halten. Aber Gewandtheit im Umgange und Liebe
zu edler Geſelligkeit in erheiternden Geſpraͤchen, in Spielen
des Witzes und der Laune, wie in den Bewegungen des Tan-
zes ſollen unſre Juͤnglinge lieben und uͤben lernen. Wahrlich
mancher edle Juͤngling iſt dadurch allein zu Grund gegangen,
daß es ihm an dem Hebel, der in dem Umgange und in der
Achtung edler Frauen liegt, fehlte. Sein Herz verlangte
mehr, als der Fechtſaal oder der Commerſch ihm brachte,
und er fiel, oder — was noch ſchlimmer iſt — er ſank.

Wie dieſes zu veranſtalten, ſolches anzugeben, iſt nicht
unſre Aufgabe. Wir nennen die Bedingungen, unter welchen
die Bildung auf der Univerſitaͤt eine allſeitige werden kann.
Die Ausfuͤhrung liegt denen ob, die zu Leitern und Lehrern
der Hochſchulen beſtellt ſind. Einzelnes iſt auf einzelnen in
ſchoͤner Weiſe ſchon geleiſtet. So in Heidelberg, dieſer be-

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[21/0039] ſeinem fruͤheren Leben keine Gelegenheit gehabt, ſie von ihrer ſchoͤnen und edlen Seite kennen zu lernen. Unmoͤglich iſt die Erreichung dieſes Zweckes, wenn man die Juͤnglinge ſich ſelbſt uͤberlaͤßt. Auch erzielen die Thee- kraͤnzchen einzelner Profeſſoren mit ihren Disputationen uͤber ſcholaſtiſche Spitzfindigkeiten nicht, was wir meinen. Fuͤr Einzelne iſt geſorgt, die ſo gluͤcklich ſind, in der Univerſitaͤts- ſtadt Eintritt in gebildete Familien zu finden. Aber dieſer gluͤcklichen ſind wenige. Die meiſten ſind beſchraͤnkt auf das Beſuchen der Hoͤrſaͤle, der Stubenburſchen, der Reſtauratio- nen und Kneipen. Nur in geſelligen Kreiſen gemiſchter Geſellſchaft, d. h. von Maͤnnern und Frauen, lernt ſich feine, zarte Sitte und liebliche Erſcheinung. Von Courtoiſie und Schmeichelkuͤnſten iſt nicht die Rede. Die Turnkunſt wird unſre Juͤnglinge da- von fern halten. Aber Gewandtheit im Umgange und Liebe zu edler Geſelligkeit in erheiternden Geſpraͤchen, in Spielen des Witzes und der Laune, wie in den Bewegungen des Tan- zes ſollen unſre Juͤnglinge lieben und uͤben lernen. Wahrlich mancher edle Juͤngling iſt dadurch allein zu Grund gegangen, daß es ihm an dem Hebel, der in dem Umgange und in der Achtung edler Frauen liegt, fehlte. Sein Herz verlangte mehr, als der Fechtſaal oder der Commerſch ihm brachte, und er fiel, oder — was noch ſchlimmer iſt — er ſank. Wie dieſes zu veranſtalten, ſolches anzugeben, iſt nicht unſre Aufgabe. Wir nennen die Bedingungen, unter welchen die Bildung auf der Univerſitaͤt eine allſeitige werden kann. Die Ausfuͤhrung liegt denen ob, die zu Leitern und Lehrern der Hochſchulen beſtellt ſind. Einzelnes iſt auf einzelnen in ſchoͤner Weiſe ſchon geleiſtet. So in Heidelberg, dieſer be- 3

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Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/39>, abgerufen am 28.11.2024.