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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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daß die lutherische Sekte nicht die allgemeine Kirche, sowie
wir die katholische nennen, sondern ein Schisma, d. i. ein
Spalt aus derselben ist, neulich entstanden, gleich etlichen hun-
derten seit Christi Geburt. ........ Zum vierten habe
ich bedacht die ungeschickten, freien fleischlichen bübischen
Anhänger der Sache, die starke Anzeichen sind; fürwahr fing
also die Kirche Gottes vor Zeiten nicht an. ........
Zum sechsten gehen unter des Evangeliums Mantel alle
Sünde und Schand im Schwunge, wie sie selbst (die Sektierer)
klagen. Hilf Gott, die Kindheit dieser Sekte ist so mächtig
unrein; was wollte werden, wenn sie alt würde? Zum sie-
benten, an die Stelle der Tugend sind eitel Laster eingerissen;
also daß bei etlichen Sünde für keine Sünde geschätzt wird."

Derselbe Wizel1) schrieb an einen Freund: "Du, der Du
das Evangelium nach den vier Evangelisten, wie es unter
Tiberius ausging, gelesen, lies doch Luthers Evangelium,
welches ausging unter Karl V. Du wirst Dich wundern
und staunen über die Unähnlichkeit des alten und des neuen.
Jenes kam von Juden, dies von Sachsen; jenes wurde
ausgebreitet durch Apostel, dies durch Apostaten. Durch
des alten Evangelium göttliche Kraft wurden die Zuhörer
geändert und besserten sich. Durch die Süßigkeit des neuen
Evangeliums aber werden die Guten schlecht, die Strengen
ausgelassen, die Nüchternen Trunkenbolde, die Fasten-
den Vielfresser, viele auch werden aus Menschen un-
vernünftige Tiere.
"

Auch Johann Wildenauer, genannt Silvianus Egrä-
nus, anfangs Prediger in Zwickau, wandte sich seit 1523
von Luther ab, obwohl Luther ihn gar hoch geachtet und ge-

1) Ep. ad. D. C. li. 4. a.

daß die lutheriſche Sekte nicht die allgemeine Kirche, ſowie
wir die katholiſche nennen, ſondern ein Schisma, d. i. ein
Spalt aus derſelben iſt, neulich entſtanden, gleich etlichen hun-
derten ſeit Chriſti Geburt. ........ Zum vierten habe
ich bedacht die ungeſchickten, freien fleiſchlichen bübiſchen
Anhänger der Sache, die ſtarke Anzeichen ſind; fürwahr fing
alſo die Kirche Gottes vor Zeiten nicht an. ........
Zum ſechſten gehen unter des Evangeliums Mantel alle
Sünde und Schand im Schwunge, wie ſie ſelbſt (die Sektierer)
klagen. Hilf Gott, die Kindheit dieſer Sekte iſt ſo mächtig
unrein; was wollte werden, wenn ſie alt würde? Zum ſie-
benten, an die Stelle der Tugend ſind eitel Laſter eingeriſſen;
alſo daß bei etlichen Sünde für keine Sünde geſchätzt wird.‟

Derſelbe Wizel1) ſchrieb an einen Freund: „Du, der Du
das Evangelium nach den vier Evangeliſten, wie es unter
Tiberius ausging, geleſen, lies doch Luthers Evangelium,
welches ausging unter Karl V. Du wirſt Dich wundern
und ſtaunen über die Unähnlichkeit des alten und des neuen.
Jenes kam von Juden, dies von Sachſen; jenes wurde
ausgebreitet durch Apoſtel, dies durch Apoſtaten. Durch
des alten Evangelium göttliche Kraft wurden die Zuhörer
geändert und beſſerten ſich. Durch die Süßigkeit des neuen
Evangeliums aber werden die Guten ſchlecht, die Strengen
ausgelaſſen, die Nüchternen Trunkenbolde, die Faſten-
den Vielfreſſer, viele auch werden aus Menſchen un-
vernünftige Tiere.

Auch Johann Wildenauer, genannt Silvianus Egrä-
nus, anfangs Prediger in Zwickau, wandte ſich ſeit 1523
von Luther ab, obwohl Luther ihn gar hoch geachtet und ge-

1) Ep. ad. D. C. li. 4. a.
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[45/0057] daß die lutheriſche Sekte nicht die allgemeine Kirche, ſowie wir die katholiſche nennen, ſondern ein Schisma, d. i. ein Spalt aus derſelben iſt, neulich entſtanden, gleich etlichen hun- derten ſeit Chriſti Geburt. ........ Zum vierten habe ich bedacht die ungeſchickten, freien fleiſchlichen bübiſchen Anhänger der Sache, die ſtarke Anzeichen ſind; fürwahr fing alſo die Kirche Gottes vor Zeiten nicht an. ........ Zum ſechſten gehen unter des Evangeliums Mantel alle Sünde und Schand im Schwunge, wie ſie ſelbſt (die Sektierer) klagen. Hilf Gott, die Kindheit dieſer Sekte iſt ſo mächtig unrein; was wollte werden, wenn ſie alt würde? Zum ſie- benten, an die Stelle der Tugend ſind eitel Laſter eingeriſſen; alſo daß bei etlichen Sünde für keine Sünde geſchätzt wird.‟ Derſelbe Wizel 1) ſchrieb an einen Freund: „Du, der Du das Evangelium nach den vier Evangeliſten, wie es unter Tiberius ausging, geleſen, lies doch Luthers Evangelium, welches ausging unter Karl V. Du wirſt Dich wundern und ſtaunen über die Unähnlichkeit des alten und des neuen. Jenes kam von Juden, dies von Sachſen; jenes wurde ausgebreitet durch Apoſtel, dies durch Apoſtaten. Durch des alten Evangelium göttliche Kraft wurden die Zuhörer geändert und beſſerten ſich. Durch die Süßigkeit des neuen Evangeliums aber werden die Guten ſchlecht, die Strengen ausgelaſſen, die Nüchternen Trunkenbolde, die Faſten- den Vielfreſſer, viele auch werden aus Menſchen un- vernünftige Tiere.‟ Auch Johann Wildenauer, genannt Silvianus Egrä- nus, anfangs Prediger in Zwickau, wandte ſich ſeit 1523 von Luther ab, obwohl Luther ihn gar hoch geachtet und ge- 1) Ep. ad. D. C. li. 4. a.

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/57>, abgerufen am 05.05.2024.