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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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Nur der Name hat sich geändert; denn man nennt sie jetzt
"Gotteswort". So entschlagen sich des Menschenjoches die, die
unter dem neuen Evangelium den Nacken beugen. Wahrlich,
ich besorge vielmehr, daß die meisten statt eines schweren
Menschenjoches das schwerere des Satans tragen. --
Welche Aufstände erregt von Zeit zu Zeit jenes evangelische
Volk? Wie oft greift es wegen der geringfügigsten Ur-
sachen zu den Waffen? Nicht einmal ihren eigenen
Geistlichen gehorchen sie, wenn sie nicht ihren Ohren
schmeicheln, vielmehr müssen diese gewärtigen, sofort weggejagt
zu werden, wenn sie mit einigem Freimut das Leben ihrer
Zuhörer tadeln. .... Und während sie niemanden lieben als
sich, während sie weder Gott, noch den Bischöfen, noch den Fürsten
und Obrigkeiten gehorchen, während sie dem Mammon, dem
Bauche und der schnöden Lust fröhnen, wollen sie für evan-
gelisch gehalten sein und berufen sich auf Luther als ihren
Lehrer und Meister. -- Luther aber predigt überall den
Glauben, und wo ist er? Wir sehen bei den meisten, nur
Werke des Fleisches,
keine Spur des Geistes. -- Was
haben sie also mit ihrem Luther?"

"Vielleicht ist es bloß mein Unglück, daß ich noch keinen
kennen gelernt habe, der mir nicht schlechter als vorher ge-
worden zu sein scheint."

Georg Wizel, ein anfangs treuer Anhänger Luthers,
dann Konvertit, giebt als Ursache seiner Rückkehr die Ver-
wüstungen des "neuen Evangeliums" an. "Die Neuheit
der Sache hatte mich angetrieben, besonders der Beifall
bei Gelehrten; abgestoßeu hat mich der schändliche Zustand
der Kirche. Am meisten hatte mich eingeladen die sichere
Hoffnung, daß alles werde besser werden. Aber," be-
kennt er in einem Schreiben von 1533, "ich habe gefunden,

Nur der Name hat ſich geändert; denn man nennt ſie jetzt
„Gotteswort‟. So entſchlagen ſich des Menſchenjoches die, die
unter dem neuen Evangelium den Nacken beugen. Wahrlich,
ich beſorge vielmehr, daß die meiſten ſtatt eines ſchweren
Menſchenjoches das ſchwerere des Satans tragen. —
Welche Aufſtände erregt von Zeit zu Zeit jenes evangeliſche
Volk? Wie oft greift es wegen der geringfügigſten Ur-
ſachen zu den Waffen? Nicht einmal ihren eigenen
Geiſtlichen gehorchen ſie, wenn ſie nicht ihren Ohren
ſchmeicheln, vielmehr müſſen dieſe gewärtigen, ſofort weggejagt
zu werden, wenn ſie mit einigem Freimut das Leben ihrer
Zuhörer tadeln. .... Und während ſie niemanden lieben als
ſich, während ſie weder Gott, noch den Biſchöfen, noch den Fürſten
und Obrigkeiten gehorchen, während ſie dem Mammon, dem
Bauche und der ſchnöden Luſt fröhnen, wollen ſie für evan-
geliſch gehalten ſein und berufen ſich auf Luther als ihren
Lehrer und Meiſter. — Luther aber predigt überall den
Glauben, und wo iſt er? Wir ſehen bei den meiſten, nur
Werke des Fleiſches,
keine Spur des Geiſtes. — Was
haben ſie alſo mit ihrem Luther?‟

„Vielleicht iſt es bloß mein Unglück, daß ich noch keinen
kennen gelernt habe, der mir nicht ſchlechter als vorher ge-
worden zu ſein ſcheint.‟

Georg Wizel, ein anfangs treuer Anhänger Luthers,
dann Konvertit, giebt als Urſache ſeiner Rückkehr die Ver-
wüſtungen des „neuen Evangeliums‟ an. „Die Neuheit
der Sache hatte mich angetrieben, beſonders der Beifall
bei Gelehrten; abgeſtoßeu hat mich der ſchändliche Zuſtand
der Kirche. Am meiſten hatte mich eingeladen die ſichere
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[44/0056] Nur der Name hat ſich geändert; denn man nennt ſie jetzt „Gotteswort‟. So entſchlagen ſich des Menſchenjoches die, die unter dem neuen Evangelium den Nacken beugen. Wahrlich, ich beſorge vielmehr, daß die meiſten ſtatt eines ſchweren Menſchenjoches das ſchwerere des Satans tragen. — Welche Aufſtände erregt von Zeit zu Zeit jenes evangeliſche Volk? Wie oft greift es wegen der geringfügigſten Ur- ſachen zu den Waffen? Nicht einmal ihren eigenen Geiſtlichen gehorchen ſie, wenn ſie nicht ihren Ohren ſchmeicheln, vielmehr müſſen dieſe gewärtigen, ſofort weggejagt zu werden, wenn ſie mit einigem Freimut das Leben ihrer Zuhörer tadeln. .... Und während ſie niemanden lieben als ſich, während ſie weder Gott, noch den Biſchöfen, noch den Fürſten und Obrigkeiten gehorchen, während ſie dem Mammon, dem Bauche und der ſchnöden Luſt fröhnen, wollen ſie für evan- geliſch gehalten ſein und berufen ſich auf Luther als ihren Lehrer und Meiſter. — Luther aber predigt überall den Glauben, und wo iſt er? Wir ſehen bei den meiſten, nur Werke des Fleiſches, keine Spur des Geiſtes. — Was haben ſie alſo mit ihrem Luther?‟ „Vielleicht iſt es bloß mein Unglück, daß ich noch keinen kennen gelernt habe, der mir nicht ſchlechter als vorher ge- worden zu ſein ſcheint.‟ Georg Wizel, ein anfangs treuer Anhänger Luthers, dann Konvertit, giebt als Urſache ſeiner Rückkehr die Ver- wüſtungen des „neuen Evangeliums‟ an. „Die Neuheit der Sache hatte mich angetrieben, beſonders der Beifall bei Gelehrten; abgeſtoßeu hat mich der ſchändliche Zuſtand der Kirche. Am meiſten hatte mich eingeladen die ſichere Hoffnung, daß alles werde beſſer werden. Aber,‟ be- kennt er in einem Schreiben von 1533, „ich habe gefunden,

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/56>, abgerufen am 04.05.2024.