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Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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Wahrscheinlichkeit der Associationsbildung im umgekehrten
Verhältniss zu der Bedeutsamkeit einer Silbe stehe. Er
sagt nämlich S. 77 : "[Für das Griechische und Lateinische]
stellt sich heraus, dass die Analogiebildungen besonders in
wenig bedeutenden mittleren und Endsilben eintritt", ferner
S. 76: "Wenn wir, was oben weiter erörtert wird, festhalten,
dass das bedeutungsvollste von den sprechenden relativ am
festesten gehalten wurde, so wird es begreiflich, dass die
Analogiebildung auf solchen Gebieten und in solchen Wör-
terclassen sich am leichtesten verbreitet, die wir nicht eben
als in besonderem Grade bedeutungsvoll betrachten können.
So bei den Zahlwörtern. Diese Wörter sind mehr als an-
dere conventionelle notae rerum. Sie stehen mit Wörtern
anderer Art ausser aller, den sprechenden bewusster oder
empfundener Verbindung, entbehren also des Schutzes, wel-
chen Wörter anderer Art in dem Gefühl der Zusammen-
gehörigkeit mit anderen angehörigen derselben Wortsippe
finden. Sie sind, so zu sagen, schutzlose Fremdlinge mitten
unter eng verbundenen Familiensippen." Und endlich macht
er S. 72 geltend, dass die bedeutungsvollsten Silben der
Wörter, die Stammsilben, in weit geringerem Masse der
Analogiebildung unterworfen sind, als Präfixe und Suffixe.
Die thatsächlichen Behauptungen in diesen Stellen sind
gewiss richtig, aber die Erklärung leuchtet mir nicht ein,
namentlich vermag ich nicht einzusehen, wieso die Zahl-
wörter in höherem Grade Conventionelle notae rerum sein
sollen, als andere Wörter. Der wahre Grund der Erschei-
nung dürfte der auch von Curtius auf S. 77 angedeu-
tete sein. Offenbar sind diejenigen Wörter oder Silben am
meisten geeignet, die besprochene Einwirkung zu erfahren,
welche in der Seele der Sprechenden zu Reihen oder Sy-
stemen vereinigt sind. Solche Reihen bilden z. B. die
sämmtlichen Endungen eines Casus, die Zahlwörter u. s. w.

Wahrscheinlichkeit der Associationsbildung im umgekehrten
Verhältniss zu der Bedeutsamkeit einer Silbe stehe. Er
sagt nämlich S. 77 : »[Für das Griechische und Lateinische]
stellt sich heraus, dass die Analogiebildungen besonders in
wenig bedeutenden mittleren und Endsilben eintritt«, ferner
S. 76: »Wenn wir, was oben weiter erörtert wird, festhalten,
dass das bedeutungsvollste von den sprechenden relativ am
festesten gehalten wurde, so wird es begreiflich, dass die
Analogiebildung auf solchen Gebieten und in solchen Wör-
terclassen sich am leichtesten verbreitet, die wir nicht eben
als in besonderem Grade bedeutungsvoll betrachten können.
So bei den Zahlwörtern. Diese Wörter sind mehr als an-
dere conventionelle notae rerum. Sie stehen mit Wörtern
anderer Art ausser aller, den sprechenden bewusster oder
empfundener Verbindung, entbehren also des Schutzes, wel-
chen Wörter anderer Art in dem Gefühl der Zusammen-
gehörigkeit mit anderen angehörigen derselben Wortsippe
finden. Sie sind, so zu sagen, schutzlose Fremdlinge mitten
unter eng verbundenen Familiensippen.« Und endlich macht
er S. 72 geltend, dass die bedeutungsvollsten Silben der
Wörter, die Stammsilben, in weit geringerem Masse der
Analogiebildung unterworfen sind, als Präfixe und Suffixe.
Die thatsächlichen Behauptungen in diesen Stellen sind
gewiss richtig, aber die Erklärung leuchtet mir nicht ein,
namentlich vermag ich nicht einzusehen, wieso die Zahl-
wörter in höherem Grade Conventionelle notae rerum sein
sollen, als andere Wörter. Der wahre Grund der Erschei-
nung dürfte der auch von Curtius auf S. 77 angedeu-
tete sein. Offenbar sind diejenigen Wörter oder Silben am
meisten geeignet, die besprochene Einwirkung zu erfahren,
welche in der Seele der Sprechenden zu Reihen oder Sy-
stemen vereinigt sind. Solche Reihen bilden z. B. die
sämmtlichen Endungen eines Casus, die Zahlwörter u. s. w.

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[24/0029] Wahrscheinlichkeit der Associationsbildung im umgekehrten Verhältniss zu der Bedeutsamkeit einer Silbe stehe. Er sagt nämlich S. 77 : »[Für das Griechische und Lateinische] stellt sich heraus, dass die Analogiebildungen besonders in wenig bedeutenden mittleren und Endsilben eintritt«, ferner S. 76: »Wenn wir, was oben weiter erörtert wird, festhalten, dass das bedeutungsvollste von den sprechenden relativ am festesten gehalten wurde, so wird es begreiflich, dass die Analogiebildung auf solchen Gebieten und in solchen Wör- terclassen sich am leichtesten verbreitet, die wir nicht eben als in besonderem Grade bedeutungsvoll betrachten können. So bei den Zahlwörtern. Diese Wörter sind mehr als an- dere conventionelle notae rerum. Sie stehen mit Wörtern anderer Art ausser aller, den sprechenden bewusster oder empfundener Verbindung, entbehren also des Schutzes, wel- chen Wörter anderer Art in dem Gefühl der Zusammen- gehörigkeit mit anderen angehörigen derselben Wortsippe finden. Sie sind, so zu sagen, schutzlose Fremdlinge mitten unter eng verbundenen Familiensippen.« Und endlich macht er S. 72 geltend, dass die bedeutungsvollsten Silben der Wörter, die Stammsilben, in weit geringerem Masse der Analogiebildung unterworfen sind, als Präfixe und Suffixe. Die thatsächlichen Behauptungen in diesen Stellen sind gewiss richtig, aber die Erklärung leuchtet mir nicht ein, namentlich vermag ich nicht einzusehen, wieso die Zahl- wörter in höherem Grade Conventionelle notae rerum sein sollen, als andere Wörter. Der wahre Grund der Erschei- nung dürfte der auch von Curtius auf S. 77 angedeu- tete sein. Offenbar sind diejenigen Wörter oder Silben am meisten geeignet, die besprochene Einwirkung zu erfahren, welche in der Seele der Sprechenden zu Reihen oder Sy- stemen vereinigt sind. Solche Reihen bilden z. B. die sämmtlichen Endungen eines Casus, die Zahlwörter u. s. w.

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Zitationshilfe: Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/delbrueck_sprachforschung_1885/29>, abgerufen am 20.04.2024.