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Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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Die Begriffe der Nomina und Verba in ihrer unendlichen
Mannigfaltigkeit bilden viel seltener zusammengehörige Paare
oder Reihen, wo indessen ein solches Verhältniss vorhanden
ist, wie z. B. bei leicht und schwer, sind auch Associations-
wirkungen eingetreten, freilich nicht in allen Fällen, aber
dann, wenn noch eine formelle Aehnlichkeit hinzukommt
(so bei leve --greve, s. Curtius S. 72, bei emai, das seinen
Spiritus von ezomai hat u. s. w.).

Bei dieser Gelegenheit habe ich noch einen Punkt zu
erwähnen, in welchem d'Ovidio und Curtius gegen mich im
Rechte sind. Die Sache ist folgende: Curtius hatte in sei-
nem Aufsatz über die Tragweite der Lautgesetze gemeint,
dass das i in doien erhalten, in poeo dagegen verschwun-
den sei, weil es in doien als bedeutungstragend empfunden
wurde, in poieo aber nicht. Ist doch i das Zeichen des
Optativs. Ich hatte dagegen geltend gemacht, dass das i
wohl deswegen erhalten sei, weil es mit doimen doite und
den Medialformen, in denen es bleiben muss, weil es vor
einem Consonanten steht, innerlich zu einer Reihe verbun-
den sei, und ich gebe mich der Hoffnung hin, dass Curtius
mir jetzt in dieser Beziehung Recht giebt. Dabei hatte ich
auch einen allgemeineren Grund angeführt in den Worten,
welche Curtius S. 71 citirt: "Man ist, wie mir scheint, nicht
berechtigt, anzunehmen, dass die Griechen und Inder noch
ein Gefühl für die Bedeutsamkeit des einzelnen Lautes in
einer Sprachform gehabt hätten, welches uns abhanden ge-
kommen wäre, denn auch ihnen waren, wie uns, von Ge-
neration zu Generation nur fertige Sprachformen überliefert,
und jene Urzeiten, in denen die indogermanischen Formen
nach der Bopp'schen Annahme aus bedeutsamen Elementen
zusammengesetzt wurden, lagen für sie nicht weniger wie
für uns in dämmernder Vorzeit." Ich gebe zu, dass der
erste Theil dieser Behauptung unzutreffend ist, denn ich

Die Begriffe der Nomina und Verba in ihrer unendlichen
Mannigfaltigkeit bilden viel seltener zusammengehörige Paare
oder Reihen, wo indessen ein solches Verhältniss vorhanden
ist, wie z. B. bei leicht und schwer, sind auch Associations-
wirkungen eingetreten, freilich nicht in allen Fällen, aber
dann, wenn noch eine formelle Aehnlichkeit hinzukommt
(so bei levegreve, s. Curtius S. 72, bei ἧμαι, das seinen
Spiritus von ἕζομαι hat u. s. w.).

Bei dieser Gelegenheit habe ich noch einen Punkt zu
erwähnen, in welchem d'Ovidio und Curtius gegen mich im
Rechte sind. Die Sache ist folgende: Curtius hatte in sei-
nem Aufsatz über die Tragweite der Lautgesetze gemeint,
dass das ι in δοίην erhalten, in ποέω dagegen verschwun-
den sei, weil es in δοίην als bedeutungstragend empfunden
wurde, in ποιέω aber nicht. Ist doch ι das Zeichen des
Optativs. Ich hatte dagegen geltend gemacht, dass das ι
wohl deswegen erhalten sei, weil es mit δοῖμεν δοῖτε und
den Medialformen, in denen es bleiben muss, weil es vor
einem Consonanten steht, innerlich zu einer Reihe verbun-
den sei, und ich gebe mich der Hoffnung hin, dass Curtius
mir jetzt in dieser Beziehung Recht giebt. Dabei hatte ich
auch einen allgemeineren Grund angeführt in den Worten,
welche Curtius S. 71 citirt: »Man ist, wie mir scheint, nicht
berechtigt, anzunehmen, dass die Griechen und Inder noch
ein Gefühl für die Bedeutsamkeit des einzelnen Lautes in
einer Sprachform gehabt hätten, welches uns abhanden ge-
kommen wäre, denn auch ihnen waren, wie uns, von Ge-
neration zu Generation nur fertige Sprachformen überliefert,
und jene Urzeiten, in denen die indogermanischen Formen
nach der Bopp'schen Annahme aus bedeutsamen Elementen
zusammengesetzt wurden, lagen für sie nicht weniger wie
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[25/0030] Die Begriffe der Nomina und Verba in ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit bilden viel seltener zusammengehörige Paare oder Reihen, wo indessen ein solches Verhältniss vorhanden ist, wie z. B. bei leicht und schwer, sind auch Associations- wirkungen eingetreten, freilich nicht in allen Fällen, aber dann, wenn noch eine formelle Aehnlichkeit hinzukommt (so bei leve —greve, s. Curtius S. 72, bei ἧμαι, das seinen Spiritus von ἕζομαι hat u. s. w.). Bei dieser Gelegenheit habe ich noch einen Punkt zu erwähnen, in welchem d'Ovidio und Curtius gegen mich im Rechte sind. Die Sache ist folgende: Curtius hatte in sei- nem Aufsatz über die Tragweite der Lautgesetze gemeint, dass das ι in δοίην erhalten, in ποέω dagegen verschwun- den sei, weil es in δοίην als bedeutungstragend empfunden wurde, in ποιέω aber nicht. Ist doch ι das Zeichen des Optativs. Ich hatte dagegen geltend gemacht, dass das ι wohl deswegen erhalten sei, weil es mit δοῖμεν δοῖτε und den Medialformen, in denen es bleiben muss, weil es vor einem Consonanten steht, innerlich zu einer Reihe verbun- den sei, und ich gebe mich der Hoffnung hin, dass Curtius mir jetzt in dieser Beziehung Recht giebt. Dabei hatte ich auch einen allgemeineren Grund angeführt in den Worten, welche Curtius S. 71 citirt: »Man ist, wie mir scheint, nicht berechtigt, anzunehmen, dass die Griechen und Inder noch ein Gefühl für die Bedeutsamkeit des einzelnen Lautes in einer Sprachform gehabt hätten, welches uns abhanden ge- kommen wäre, denn auch ihnen waren, wie uns, von Ge- neration zu Generation nur fertige Sprachformen überliefert, und jene Urzeiten, in denen die indogermanischen Formen nach der Bopp'schen Annahme aus bedeutsamen Elementen zusammengesetzt wurden, lagen für sie nicht weniger wie für uns in dämmernder Vorzeit.« Ich gebe zu, dass der erste Theil dieser Behauptung unzutreffend ist, denn ich

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Zitationshilfe: Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/delbrueck_sprachforschung_1885/30>, abgerufen am 20.04.2024.