dagegen die kalte archäologische Abstraktion, die man im Kölner Dom hingestellt hat!
Die Künstler des 19. Jahrhunderts blieben indes nicht beim Restaurierungswesen im oben betrachteten Sinn, d. h. der Er- neuerung schadhafter und der Ergänzung zerstörter Bauteile, stehen; sie glaubten, ihr neugewonnenes Wohlwollen für die Denk- mäler viel umfassender noch betätigen zu sollen, indem sie sie -- auch die ganz gesunden, einer Restauration gar nicht bedürftigen Denkmäler -- zum mindesten einer gründlichen Stilreinigung und Stilverbesserung unterzogen, in der Weise, daß aus einem gegebenen Gebäude, sagen wir des Mittelalters, alles entfernt ward, was an seine Fortexistenz in späteren Jahrhunderten erinnerte. Sehr selt- sam, wie bei diesen Unternehmungen romantische und klassizi- stische Grundsätze sich vermischten. Durch die Romantik war die Künstlerwelt stofflich für das Mittelalter gewonnen; in ihren formal-ästhetischen Anschauungen blieb sie im Banne ihrer aka- demisch-klassizistischen Erziehung. Die im 19. Jahrhundert ent- standenen neu-mittelalterlichen Bauten sind hinsichtlich der Komposition im großen immer nach klassischem Rezept entworfen und mittelalterlich nur in den Schmuckformen. So sah man auch die alten Denkmäler mit einer zwiespältigen Empfindung an. Die klassizistische Schulregel lautete, eine Hauptbedingung künst- lerischer Vollkommenheit sei die Einheit der Erscheinung. Daß die Denkmäler, so wie man sie vorfand, dieser Forderung nicht ge- nügten, war nur zu gewiß: sie hatten nicht unter einer Glasglocke gestanden, sondern im lebendigen Strom der Geschichte; in einer romanisch gebauten Kirche sah man vielleicht spätgotische Chor- stühle, Grabmäler der Renaissance, einen barocken Hochaltar, eine Rokokoorgel. Der historisch empfindende Mensch freut sich daran, die Stimme der Vergangenheit in so reicher Polyphonie zu ver- nehmen; dem korrekten Stilisten ist es ein Ärgernis. So kam es zu der in einem großen Teil des 19. Jahrhunderts mit grausamer Konsequenz durchgeführten Regel, von der ich oben sprach: aus einer mittelalterlichen Kirche muß alles Nachmittelalterliche ausge- tilgt werden. In das damit geschaffene Vakuum schob man dann die eigenen blutlosen Stilübungen ein. Dies Treiben ist öde Schul-
Denkmalschutz und Denkmalpflege
dagegen die kalte archäologische Abstraktion, die man im Kölner Dom hingestellt hat!
Die Künstler des 19. Jahrhunderts blieben indes nicht beim Restaurierungswesen im oben betrachteten Sinn, d. h. der Er- neuerung schadhafter und der Ergänzung zerstörter Bauteile, stehen; sie glaubten, ihr neugewonnenes Wohlwollen für die Denk- mäler viel umfassender noch betätigen zu sollen, indem sie sie — auch die ganz gesunden, einer Restauration gar nicht bedürftigen Denkmäler — zum mindesten einer gründlichen Stilreinigung und Stilverbesserung unterzogen, in der Weise, daß aus einem gegebenen Gebäude, sagen wir des Mittelalters, alles entfernt ward, was an seine Fortexistenz in späteren Jahrhunderten erinnerte. Sehr selt- sam, wie bei diesen Unternehmungen romantische und klassizi- stische Grundsätze sich vermischten. Durch die Romantik war die Künstlerwelt stofflich für das Mittelalter gewonnen; in ihren formal-ästhetischen Anschauungen blieb sie im Banne ihrer aka- demisch-klassizistischen Erziehung. Die im 19. Jahrhundert ent- standenen neu-mittelalterlichen Bauten sind hinsichtlich der Komposition im großen immer nach klassischem Rezept entworfen und mittelalterlich nur in den Schmuckformen. So sah man auch die alten Denkmäler mit einer zwiespältigen Empfindung an. Die klassizistische Schulregel lautete, eine Hauptbedingung künst- lerischer Vollkommenheit sei die Einheit der Erscheinung. Daß die Denkmäler, so wie man sie vorfand, dieser Forderung nicht ge- nügten, war nur zu gewiß: sie hatten nicht unter einer Glasglocke gestanden, sondern im lebendigen Strom der Geschichte; in einer romanisch gebauten Kirche sah man vielleicht spätgotische Chor- stühle, Grabmäler der Renaissance, einen barocken Hochaltar, eine Rokokoorgel. Der historisch empfindende Mensch freut sich daran, die Stimme der Vergangenheit in so reicher Polyphonie zu ver- nehmen; dem korrekten Stilisten ist es ein Ärgernis. So kam es zu der in einem großen Teil des 19. Jahrhunderts mit grausamer Konsequenz durchgeführten Regel, von der ich oben sprach: aus einer mittelalterlichen Kirche muß alles Nachmittelalterliche ausge- tilgt werden. In das damit geschaffene Vakuum schob man dann die eigenen blutlosen Stilübungen ein. Dies Treiben ist öde Schul-
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Denkmalschutz und Denkmalpflege
dagegen die kalte archäologische Abstraktion, die man im Kölner
Dom hingestellt hat!
Die Künstler des 19. Jahrhunderts blieben indes nicht beim
Restaurierungswesen im oben betrachteten Sinn, d. h. der Er-
neuerung schadhafter und der Ergänzung zerstörter Bauteile,
stehen; sie glaubten, ihr neugewonnenes Wohlwollen für die Denk-
mäler viel umfassender noch betätigen zu sollen, indem sie sie —
auch die ganz gesunden, einer Restauration gar nicht bedürftigen
Denkmäler — zum mindesten einer gründlichen Stilreinigung und
Stilverbesserung unterzogen, in der Weise, daß aus einem gegebenen
Gebäude, sagen wir des Mittelalters, alles entfernt ward, was an
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sam, wie bei diesen Unternehmungen romantische und klassizi-
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Künstlerwelt stofflich für das Mittelalter gewonnen; in ihren
formal-ästhetischen Anschauungen blieb sie im Banne ihrer aka-
demisch-klassizistischen Erziehung. Die im 19. Jahrhundert ent-
standenen neu-mittelalterlichen Bauten sind hinsichtlich der
Komposition im großen immer nach klassischem Rezept entworfen
und mittelalterlich nur in den Schmuckformen. So sah man auch
die alten Denkmäler mit einer zwiespältigen Empfindung an. Die
klassizistische Schulregel lautete, eine Hauptbedingung künst-
lerischer Vollkommenheit sei die Einheit der Erscheinung. Daß
die Denkmäler, so wie man sie vorfand, dieser Forderung nicht ge-
nügten, war nur zu gewiß: sie hatten nicht unter einer Glasglocke
gestanden, sondern im lebendigen Strom der Geschichte; in einer
romanisch gebauten Kirche sah man vielleicht spätgotische Chor-
stühle, Grabmäler der Renaissance, einen barocken Hochaltar, eine
Rokokoorgel. Der historisch empfindende Mensch freut sich daran,
die Stimme der Vergangenheit in so reicher Polyphonie zu ver-
nehmen; dem korrekten Stilisten ist es ein Ärgernis. So kam es
zu der in einem großen Teil des 19. Jahrhunderts mit grausamer
Konsequenz durchgeführten Regel, von der ich oben sprach: aus
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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/339>, abgerufen am 24.11.2024.
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