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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Denkmalschutz und Denkmalpflege
vor einigen Jahren den Hauptraum eines Hauses in Pompeji völlig,
in Konstruktion und Schmuck, wiederhergestellt hat, im Sinne
eines typischen Modells. Ein gleiches dürfte man, wenn die Prä-
missen der Ergänzung ähnlich günstig liegen, an irgendeiner mittel-
alterlichen Burgruine einmal versuchen. In beiden Fällen handelt
es sich um eine durch viele Hunderte von Exemplaren vertretene
Denkmälergruppe, für die der Verlust eines einzelnen Exemplares
nicht ernstlich in Betracht kommt, wogegen sie, besonders den
Laien, vieles anschaulich machen, was bloße Zeichnungen oder
Modelle nicht hinreichend beurteilen lassen. Aber niemand wird
auch nur wünschen, in dieser Weise alle Häuser Pompejis oder
alle deutschen Burgen behandelt zu sehen. Man muß solche Wieder-
herstellungen nehmen als das, was sie sind: als eindrucksvolle
naturgroße Illustrationen zum dermaligen archäologischen Wissen.
Wir werden solche Veranschaulichungen dankbar entgegennehmen,
dabei aber nicht vergessen, das Beiwort "dermalig" zu unter-
streichen; daß unser Wissen Stückwerk sei, dafür könnten wir
Kunstgelehrten wohl als unverdächtige Zeugen gelten. Man kennt
bis heute keine einzige Restauration, auch nicht unter den zu iher
Zeit bewundertsten, die nicht nach zwanzig Jahren den Nimbus
sog. Echtheit schon wieder verloren gehabt hätte. Unbegreiflich,
wie, nachdem eine an Enttäuschungen und Reue übervolle Er-
fahrung hinter uns liegt, gewisse Zauberer es noch immer zustande
bringen, den vertrauensvollen Laien zu suggerieren, sie, sie endlich
und ganz gewiß, hätten das große Arkanum gefunden. Es wird
nie gefunden werden. Der Geist lebt fort nur in Verwandlungen;
in seine abgelegten Schlangenhäute läßt er niemals sich zurück-
zwingen.

Frühere Jahrhunderte haben diesen Wahn nicht gekannt.
Wenn an einem Bauwerk aus alter Zeit einzelne Teile erneuert oder
hinzugefügt werden mußten, so tat man es stets in der jeweilig
üblichen Bauweise. Die Stileinheit wurde dabei geopfert, aber nicht
notwendig die künstlerische Harmonie überhaupt. Wir Straßburger
wissen darüber Bescheid. Welche Fülle historischen Lebens strömt
noch immer, trotz vieler Verluste, unser die Geschichte von acht
Jahrhunderten widerspiegelndes Münster aus und was bedeutet

Denkmalschutz und Denkmalpflege
vor einigen Jahren den Hauptraum eines Hauses in Pompeji völlig,
in Konstruktion und Schmuck, wiederhergestellt hat, im Sinne
eines typischen Modells. Ein gleiches dürfte man, wenn die Prä-
missen der Ergänzung ähnlich günstig liegen, an irgendeiner mittel-
alterlichen Burgruine einmal versuchen. In beiden Fällen handelt
es sich um eine durch viele Hunderte von Exemplaren vertretene
Denkmälergruppe, für die der Verlust eines einzelnen Exemplares
nicht ernstlich in Betracht kommt, wogegen sie, besonders den
Laien, vieles anschaulich machen, was bloße Zeichnungen oder
Modelle nicht hinreichend beurteilen lassen. Aber niemand wird
auch nur wünschen, in dieser Weise alle Häuser Pompejis oder
alle deutschen Burgen behandelt zu sehen. Man muß solche Wieder-
herstellungen nehmen als das, was sie sind: als eindrucksvolle
naturgroße Illustrationen zum dermaligen archäologischen Wissen.
Wir werden solche Veranschaulichungen dankbar entgegennehmen,
dabei aber nicht vergessen, das Beiwort »dermalig« zu unter-
streichen; daß unser Wissen Stückwerk sei, dafür könnten wir
Kunstgelehrten wohl als unverdächtige Zeugen gelten. Man kennt
bis heute keine einzige Restauration, auch nicht unter den zu iher
Zeit bewundertsten, die nicht nach zwanzig Jahren den Nimbus
sog. Echtheit schon wieder verloren gehabt hätte. Unbegreiflich,
wie, nachdem eine an Enttäuschungen und Reue übervolle Er-
fahrung hinter uns liegt, gewisse Zauberer es noch immer zustande
bringen, den vertrauensvollen Laien zu suggerieren, sie, sie endlich
und ganz gewiß, hätten das große Arkanum gefunden. Es wird
nie gefunden werden. Der Geist lebt fort nur in Verwandlungen;
in seine abgelegten Schlangenhäute läßt er niemals sich zurück-
zwingen.

Frühere Jahrhunderte haben diesen Wahn nicht gekannt.
Wenn an einem Bauwerk aus alter Zeit einzelne Teile erneuert oder
hinzugefügt werden mußten, so tat man es stets in der jeweilig
üblichen Bauweise. Die Stileinheit wurde dabei geopfert, aber nicht
notwendig die künstlerische Harmonie überhaupt. Wir Straßburger
wissen darüber Bescheid. Welche Fülle historischen Lebens strömt
noch immer, trotz vieler Verluste, unser die Geschichte von acht
Jahrhunderten widerspiegelndes Münster aus und was bedeutet

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[276/0338] Denkmalschutz und Denkmalpflege vor einigen Jahren den Hauptraum eines Hauses in Pompeji völlig, in Konstruktion und Schmuck, wiederhergestellt hat, im Sinne eines typischen Modells. Ein gleiches dürfte man, wenn die Prä- missen der Ergänzung ähnlich günstig liegen, an irgendeiner mittel- alterlichen Burgruine einmal versuchen. In beiden Fällen handelt es sich um eine durch viele Hunderte von Exemplaren vertretene Denkmälergruppe, für die der Verlust eines einzelnen Exemplares nicht ernstlich in Betracht kommt, wogegen sie, besonders den Laien, vieles anschaulich machen, was bloße Zeichnungen oder Modelle nicht hinreichend beurteilen lassen. Aber niemand wird auch nur wünschen, in dieser Weise alle Häuser Pompejis oder alle deutschen Burgen behandelt zu sehen. Man muß solche Wieder- herstellungen nehmen als das, was sie sind: als eindrucksvolle naturgroße Illustrationen zum dermaligen archäologischen Wissen. Wir werden solche Veranschaulichungen dankbar entgegennehmen, dabei aber nicht vergessen, das Beiwort »dermalig« zu unter- streichen; daß unser Wissen Stückwerk sei, dafür könnten wir Kunstgelehrten wohl als unverdächtige Zeugen gelten. Man kennt bis heute keine einzige Restauration, auch nicht unter den zu iher Zeit bewundertsten, die nicht nach zwanzig Jahren den Nimbus sog. Echtheit schon wieder verloren gehabt hätte. Unbegreiflich, wie, nachdem eine an Enttäuschungen und Reue übervolle Er- fahrung hinter uns liegt, gewisse Zauberer es noch immer zustande bringen, den vertrauensvollen Laien zu suggerieren, sie, sie endlich und ganz gewiß, hätten das große Arkanum gefunden. Es wird nie gefunden werden. Der Geist lebt fort nur in Verwandlungen; in seine abgelegten Schlangenhäute läßt er niemals sich zurück- zwingen. Frühere Jahrhunderte haben diesen Wahn nicht gekannt. Wenn an einem Bauwerk aus alter Zeit einzelne Teile erneuert oder hinzugefügt werden mußten, so tat man es stets in der jeweilig üblichen Bauweise. Die Stileinheit wurde dabei geopfert, aber nicht notwendig die künstlerische Harmonie überhaupt. Wir Straßburger wissen darüber Bescheid. Welche Fülle historischen Lebens strömt noch immer, trotz vieler Verluste, unser die Geschichte von acht Jahrhunderten widerspiegelndes Münster aus und was bedeutet

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/338>, abgerufen am 24.11.2024.