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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Bauprojekte Nikolaus V. und L. B. Alberti
mehrschiffige Basilika gestalteten Kirche die Maße (gerade so,
wie er es für das Forum forderte) gegründet sein sollen auf das
Verhältnis 1 : 2 (VII, c. 13).

Die Reihe der Analogien ist hiermit nicht zu Ende. Noch
bevor Alberti seinen berühmt gewordenen, für die Kunstansicht
der Renaissance höchst bezeichnenden Satz von der gemein-
schaftlichen Grundlage der architektonischen und der musika-
lischen Harmoniegesetze ausführt, wirft er einmal den Gedanken
hin: wie bei einer lebenden Kreatur Kopf, Füße und ein jedes
Glied zu den übrigen Gliedern wie zu dem Ganzen des Körpers
in einem bestimmten Verhältnis stehen, in solcher Weise sollen
auch in einem Gebäude, allermeist in einem Tempel, alle Teile
dem Körper nachgebildet werden, also daß sie untereinander im
Einklang sich befinden und in jedem einzelnen Gliede, welches
es auch sei, die Maße aller andern schon erkennbar sind. Dieses
Gleichnis scheint besonderen Beifall gefunden zu haben. Manetti
(S. 937) wiederholt es und führt es mit sichtlichem Wohlgefallen
nach seiner Art weiter aus. Er glaubt im Grundriß der künftigen
Basilika die Gestalt eines am Boden ausgestreckten Menschen
wiederzuerkennen: die Vorhalle und die Schiffe bedeuten Beine
und Rumpf, das Querhaus die ausgespreiteten Arme, die Tribuna
das Haupt.

Wichtiger ist folgendes. Es war beschlossen, aus dem St. Peter
die Gräber allesamt zu verbannen und demgemäß am äußersten
Rande des ganzen Bezirks, halblinks hinter dem Dom, einen
Kamposanto einzurichten, "damit nicht" -- das von Manetti
(S. 936) mitgeteilte Motiv ist bemerkenswert -- "ein so gewaltiger,
herrlicher, erlesener, eher wie ein göttliches, denn wie ein mensch-
liches Werk erscheinender Tempel durch die Bergung der Leichname
von Päpsten und Prälaten verunreinigt werde." Welch ein
völliges Widerspiel zur Denkweise des Mittelalters! Auch in der
Renaissance ist diese Ansicht nirgends zur Herrschaft durch-
gedrungen, Alberti aber hat sie ausführlich entwickelt und be-
gründet, meines Wissens als der erste (VIII, c. 1--4). Nach einer
begeisterten Schilderung der Via Appia und der andern Gräber-
straßen vor den Toren Roms sagt er: Indes unterfange ich mich

Die Bauprojekte Nikolaus V. und L. B. Alberti
mehrschiffige Basilika gestalteten Kirche die Maße (gerade so,
wie er es für das Forum forderte) gegründet sein sollen auf das
Verhältnis 1 : 2 (VII, c. 13).

Die Reihe der Analogien ist hiermit nicht zu Ende. Noch
bevor Alberti seinen berühmt gewordenen, für die Kunstansicht
der Renaissance höchst bezeichnenden Satz von der gemein-
schaftlichen Grundlage der architektonischen und der musika-
lischen Harmoniegesetze ausführt, wirft er einmal den Gedanken
hin: wie bei einer lebenden Kreatur Kopf, Füße und ein jedes
Glied zu den übrigen Gliedern wie zu dem Ganzen des Körpers
in einem bestimmten Verhältnis stehen, in solcher Weise sollen
auch in einem Gebäude, allermeist in einem Tempel, alle Teile
dem Körper nachgebildet werden, also daß sie untereinander im
Einklang sich befinden und in jedem einzelnen Gliede, welches
es auch sei, die Maße aller andern schon erkennbar sind. Dieses
Gleichnis scheint besonderen Beifall gefunden zu haben. Manetti
(S. 937) wiederholt es und führt es mit sichtlichem Wohlgefallen
nach seiner Art weiter aus. Er glaubt im Grundriß der künftigen
Basilika die Gestalt eines am Boden ausgestreckten Menschen
wiederzuerkennen: die Vorhalle und die Schiffe bedeuten Beine
und Rumpf, das Querhaus die ausgespreiteten Arme, die Tribuna
das Haupt.

Wichtiger ist folgendes. Es war beschlossen, aus dem St. Peter
die Gräber allesamt zu verbannen und demgemäß am äußersten
Rande des ganzen Bezirks, halblinks hinter dem Dom, einen
Kamposanto einzurichten, »damit nicht« — das von Manetti
(S. 936) mitgeteilte Motiv ist bemerkenswert — »ein so gewaltiger,
herrlicher, erlesener, eher wie ein göttliches, denn wie ein mensch-
liches Werk erscheinender Tempel durch die Bergung der Leichname
von Päpsten und Prälaten verunreinigt werde.« Welch ein
völliges Widerspiel zur Denkweise des Mittelalters! Auch in der
Renaissance ist diese Ansicht nirgends zur Herrschaft durch-
gedrungen, Alberti aber hat sie ausführlich entwickelt und be-
gründet, meines Wissens als der erste (VIII, c. 1—4). Nach einer
begeisterten Schilderung der Via Appia und der andern Gräber-
straßen vor den Toren Roms sagt er: Indes unterfange ich mich

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[175/0217] Die Bauprojekte Nikolaus V. und L. B. Alberti mehrschiffige Basilika gestalteten Kirche die Maße (gerade so, wie er es für das Forum forderte) gegründet sein sollen auf das Verhältnis 1 : 2 (VII, c. 13). Die Reihe der Analogien ist hiermit nicht zu Ende. Noch bevor Alberti seinen berühmt gewordenen, für die Kunstansicht der Renaissance höchst bezeichnenden Satz von der gemein- schaftlichen Grundlage der architektonischen und der musika- lischen Harmoniegesetze ausführt, wirft er einmal den Gedanken hin: wie bei einer lebenden Kreatur Kopf, Füße und ein jedes Glied zu den übrigen Gliedern wie zu dem Ganzen des Körpers in einem bestimmten Verhältnis stehen, in solcher Weise sollen auch in einem Gebäude, allermeist in einem Tempel, alle Teile dem Körper nachgebildet werden, also daß sie untereinander im Einklang sich befinden und in jedem einzelnen Gliede, welches es auch sei, die Maße aller andern schon erkennbar sind. Dieses Gleichnis scheint besonderen Beifall gefunden zu haben. Manetti (S. 937) wiederholt es und führt es mit sichtlichem Wohlgefallen nach seiner Art weiter aus. Er glaubt im Grundriß der künftigen Basilika die Gestalt eines am Boden ausgestreckten Menschen wiederzuerkennen: die Vorhalle und die Schiffe bedeuten Beine und Rumpf, das Querhaus die ausgespreiteten Arme, die Tribuna das Haupt. Wichtiger ist folgendes. Es war beschlossen, aus dem St. Peter die Gräber allesamt zu verbannen und demgemäß am äußersten Rande des ganzen Bezirks, halblinks hinter dem Dom, einen Kamposanto einzurichten, »damit nicht« — das von Manetti (S. 936) mitgeteilte Motiv ist bemerkenswert — »ein so gewaltiger, herrlicher, erlesener, eher wie ein göttliches, denn wie ein mensch- liches Werk erscheinender Tempel durch die Bergung der Leichname von Päpsten und Prälaten verunreinigt werde.« Welch ein völliges Widerspiel zur Denkweise des Mittelalters! Auch in der Renaissance ist diese Ansicht nirgends zur Herrschaft durch- gedrungen, Alberti aber hat sie ausführlich entwickelt und be- gründet, meines Wissens als der erste (VIII, c. 1—4). Nach einer begeisterten Schilderung der Via Appia und der andern Gräber- straßen vor den Toren Roms sagt er: Indes unterfange ich mich

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/217>, abgerufen am 25.11.2024.