Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

einen viereckigen Körperbau und fast säulenartige Beine.
Er war auch Wolfgott, Lykeios, worauf die Tragiker
anspielen, wenn es z. B. bei Äschylos heißt:

"O König Wolfgott, sei es für der Feinde Heer!"
Ein Wolf aus Erz mit alten Inschriften lag bei dem gro-
ßen Altar zu Delphi, und daß ein Wolf in eine Stier-
heerde fällt, veranlaßt die Verehrung des Apollon Lykeios
in Argos, wo man auf dem Markte die Gruppe in Erz
gebildet sah. Zu Athen war dieser Wolfgott allgemeiner
Gerichtsvorstand, daher sich vor jedem Gerichtshofe die
Statue eines Wolfes befand. Die Argiver führten den
Wolf auch auf Münzen. *) Bei Homer nimmt Phöbos
die Gestalt des taubenwürgenden Habichts an, und
auf einer Bergspitze bei Ephesus verehrte man ihn als Apol-
lon Gypaieus oder Geiergott. **) So war er ge-
wiß eine der schreckhaftesten und furchtbarsten Gottheiten
des Alterthums und in keineswegs holder und heiterer
Form gedacht und vor's Auge gestellt. Um so merkwür-
diger ist die Verwandlung und Umgestaltung desselben durch
Hervorbildung der positiven Seite, dieses Meisterstück und
Wunderwerk des hellenischen Nationalgeistes, das gewiß
nicht ohne göttliche Leitung und Kraft, wie sie schon im
Heidenthum wirkte, vollbracht worden ist. ***) Angedeutet
ist sie zwar schon bei den Indiern. Sivas ist der schreck-
liche Feuergott; aber von seinem Haupte rinnt die heilige
Ganga herab. Zur Schönheit und Grazie, wie in dem
feinsinnigen und hochbegabten Hellas, ward hier im Oriente
nicht fortgegangen. Apollon trug in alten Wandbildern
zu Delos und Delphi die Chariten oder Grazien auf der

*) Hieher gehören auch wohl die hirpi, die auf dem Berge Sorakte bei
Rom dem Apollo dienten; sie hießen so vom sabinischen hirpus, Wolf.
**) Vergl. Ottfr. Müller, Dorier I. S. 303, 245, 335.
***) Siehe unten Beilage F.

einen viereckigen Körperbau und faſt ſäulenartige Beine.
Er war auch Wolfgott, Lykeios, worauf die Tragiker
anſpielen, wenn es z. B. bei Äſchylos heißt:

„O König Wolfgott, ſei es für der Feinde Heer!“
Ein Wolf aus Erz mit alten Inſchriften lag bei dem gro-
ßen Altar zu Delphi, und daß ein Wolf in eine Stier-
heerde fällt, veranlaßt die Verehrung des Apollon Lykeios
in Argos, wo man auf dem Markte die Gruppe in Erz
gebildet ſah. Zu Athen war dieſer Wolfgott allgemeiner
Gerichtsvorſtand, daher ſich vor jedem Gerichtshofe die
Statue eines Wolfes befand. Die Argiver führten den
Wolf auch auf Münzen. *) Bei Homer nimmt Phöbos
die Geſtalt des taubenwürgenden Habichts an, und
auf einer Bergſpitze bei Epheſus verehrte man ihn als Apol-
lon Gypaieus oder Geiergott. **) So war er ge-
wiß eine der ſchreckhafteſten und furchtbarſten Gottheiten
des Alterthums und in keineswegs holder und heiterer
Form gedacht und vor’s Auge geſtellt. Um ſo merkwür-
diger iſt die Verwandlung und Umgeſtaltung deſſelben durch
Hervorbildung der poſitiven Seite, dieſes Meiſterſtück und
Wunderwerk des helleniſchen Nationalgeiſtes, das gewiß
nicht ohne göttliche Leitung und Kraft, wie ſie ſchon im
Heidenthum wirkte, vollbracht worden iſt. ***) Angedeutet
iſt ſie zwar ſchon bei den Indiern. Sivas iſt der ſchreck-
liche Feuergott; aber von ſeinem Haupte rinnt die heilige
Ganga herab. Zur Schönheit und Grazie, wie in dem
feinſinnigen und hochbegabten Hellas, ward hier im Oriente
nicht fortgegangen. Apollon trug in alten Wandbildern
zu Delos und Delphi die Chariten oder Grazien auf der

*) Hieher gehören auch wohl die hirpi, die auf dem Berge Sorakte bei
Rom dem Apollo dienten; ſie hießen ſo vom ſabiniſchen hirpus, Wolf.
**) Vergl. Ottfr. Müller, Dorier I. S. 303, 245, 335.
***) Siehe unten Beilage F.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0118" n="96"/>
einen viereckigen Körperbau und fa&#x017F;t &#x017F;äulenartige Beine.<lb/>
Er war auch <hi rendition="#g">Wolfgott, Lykeios,</hi> worauf die Tragiker<lb/>
an&#x017F;pielen, wenn es z. B. bei <hi rendition="#g">Ä&#x017F;chylos</hi> heißt:</p><lb/>
          <p>&#x201E;O König Wolfgott, &#x017F;ei es für der Feinde Heer!&#x201C;<lb/>
Ein Wolf aus Erz mit alten In&#x017F;chriften lag bei dem gro-<lb/>
ßen Altar zu Delphi, und daß ein Wolf in eine Stier-<lb/>
heerde fällt, veranlaßt die Verehrung des Apollon Lykeios<lb/>
in Argos, wo man auf dem Markte die Gruppe in Erz<lb/>
gebildet &#x017F;ah. Zu Athen war die&#x017F;er Wolfgott allgemeiner<lb/>
Gerichtsvor&#x017F;tand, daher &#x017F;ich vor jedem Gerichtshofe die<lb/>
Statue eines Wolfes befand. Die Argiver führten den<lb/>
Wolf auch auf Münzen. <note place="foot" n="*)">Hieher gehören auch wohl die <hi rendition="#aq">hirpi,</hi> die auf dem Berge Sorakte bei<lb/>
Rom dem Apollo dienten; &#x017F;ie hießen &#x017F;o vom &#x017F;abini&#x017F;chen <hi rendition="#aq">hirpus,</hi> Wolf.</note> Bei Homer nimmt Phöbos<lb/>
die Ge&#x017F;talt des <hi rendition="#g">taubenwürgenden Habichts</hi> an, und<lb/>
auf einer Berg&#x017F;pitze bei Ephe&#x017F;us verehrte man ihn als Apol-<lb/>
lon <hi rendition="#g">Gypaieus</hi> oder <hi rendition="#g">Geiergott</hi>. <note place="foot" n="**)">Vergl. <hi rendition="#g">Ottfr. Müller,</hi> Dorier <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 303, 245, 335.</note> So war er ge-<lb/>
wiß eine der &#x017F;chreckhafte&#x017F;ten und furchtbar&#x017F;ten Gottheiten<lb/>
des Alterthums und in keineswegs holder und heiterer<lb/>
Form gedacht und vor&#x2019;s Auge ge&#x017F;tellt. Um &#x017F;o merkwür-<lb/>
diger i&#x017F;t die Verwandlung und Umge&#x017F;taltung de&#x017F;&#x017F;elben durch<lb/>
Hervorbildung der po&#x017F;itiven Seite, die&#x017F;es Mei&#x017F;ter&#x017F;tück und<lb/>
Wunderwerk des helleni&#x017F;chen Nationalgei&#x017F;tes, das gewiß<lb/>
nicht ohne göttliche Leitung und Kraft, wie &#x017F;ie &#x017F;chon im<lb/>
Heidenthum wirkte, vollbracht worden i&#x017F;t. <note place="foot" n="***)">Siehe unten Beilage <hi rendition="#aq">F.</hi></note> Angedeutet<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ie zwar &#x017F;chon bei den Indiern. Sivas i&#x017F;t der &#x017F;chreck-<lb/>
liche Feuergott; aber von &#x017F;einem Haupte rinnt die heilige<lb/>
Ganga herab. Zur Schönheit und Grazie, wie in dem<lb/>
fein&#x017F;innigen und hochbegabten Hellas, ward hier im Oriente<lb/>
nicht fortgegangen. Apollon trug in alten Wandbildern<lb/>
zu Delos und Delphi die Chariten oder Grazien auf der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0118] einen viereckigen Körperbau und faſt ſäulenartige Beine. Er war auch Wolfgott, Lykeios, worauf die Tragiker anſpielen, wenn es z. B. bei Äſchylos heißt: „O König Wolfgott, ſei es für der Feinde Heer!“ Ein Wolf aus Erz mit alten Inſchriften lag bei dem gro- ßen Altar zu Delphi, und daß ein Wolf in eine Stier- heerde fällt, veranlaßt die Verehrung des Apollon Lykeios in Argos, wo man auf dem Markte die Gruppe in Erz gebildet ſah. Zu Athen war dieſer Wolfgott allgemeiner Gerichtsvorſtand, daher ſich vor jedem Gerichtshofe die Statue eines Wolfes befand. Die Argiver führten den Wolf auch auf Münzen. *) Bei Homer nimmt Phöbos die Geſtalt des taubenwürgenden Habichts an, und auf einer Bergſpitze bei Epheſus verehrte man ihn als Apol- lon Gypaieus oder Geiergott. **) So war er ge- wiß eine der ſchreckhafteſten und furchtbarſten Gottheiten des Alterthums und in keineswegs holder und heiterer Form gedacht und vor’s Auge geſtellt. Um ſo merkwür- diger iſt die Verwandlung und Umgeſtaltung deſſelben durch Hervorbildung der poſitiven Seite, dieſes Meiſterſtück und Wunderwerk des helleniſchen Nationalgeiſtes, das gewiß nicht ohne göttliche Leitung und Kraft, wie ſie ſchon im Heidenthum wirkte, vollbracht worden iſt. ***) Angedeutet iſt ſie zwar ſchon bei den Indiern. Sivas iſt der ſchreck- liche Feuergott; aber von ſeinem Haupte rinnt die heilige Ganga herab. Zur Schönheit und Grazie, wie in dem feinſinnigen und hochbegabten Hellas, ward hier im Oriente nicht fortgegangen. Apollon trug in alten Wandbildern zu Delos und Delphi die Chariten oder Grazien auf der *) Hieher gehören auch wohl die hirpi, die auf dem Berge Sorakte bei Rom dem Apollo dienten; ſie hießen ſo vom ſabiniſchen hirpus, Wolf. **) Vergl. Ottfr. Müller, Dorier I. S. 303, 245, 335. ***) Siehe unten Beilage F.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/118
Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/118>, abgerufen am 05.05.2024.